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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

werden zusammengenommen, um trotz der hemmenden und die Quellen der Nahrung verstopfenden Elemente treu in dem begonnenen Unternehmen auszuharren. Mit unermüdlicher Sorgfalt schützen die Brutvögel ihre Eier vor dem Zutritt der Kälte, indem sie die Brutfedernlage am Bauche fester an die Brut anschmiegen und sich tiefer in das Nestinnere niederdrücken, während der Ehegatte pflichtgetreu der Nahrung nachgeht, um sich und die Gefährtin dem drohenden Verderben zu entziehen. In vielen Fällen beobachtete ich Tage lang unter solchen Verhältnissen Schwarzamselpaare, die wahrhaft heldenmüthig sich durchkämpften und ihre Brut retteten. Es kommt dabei wesentlich darauf an, ob die Eier längere Zeit schon bebrütet worden sind oder ob das Brüten kürzlich erst begonnen hatte; in letzterem Falle bedürfen die Eier der gleichmäßigen und höheren Erwärmung nicht in dem Maße, wie in dem ersteren. Auch entscheidet der Grad der Härte des Frostes vor dem Schneefalle, da Drossel und Amsel den Boden mit dem Schnabel bearbeiten müssen, um sich Nahrung zu verschaffen. Gar häufig habe ich übrigens unter der Ungunst solcher Frühlingswitterung die Nester der Drosseln und theilweise auch der rauheren Amseln verlassen und den Lebenskeim der Eier durch die Kälte getödtet gefunden. Mein Bruder Adolf fand in Frühjahren bei Spätfrost mehrmals schon erstarrte Brut in Drossel- und Amselnestern. Aehnliche Beobachtungen machte ich bei Edelfinken, die ihre vollständig ausgebauten Nester beim Eintritte strenger Unwirthlichkeit der Witterung gänzlich verließen. Nicht minder gefährlich als Frost mit Schneefall ist der Brut schwerer Hagelschlag, der den brütenden Vogel zuweilen verletzt oder ihn nöthigt, das Nest zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Entweder zerschlägt dann der Hagel die Eier oder er häuft sich im Neste an und wirkt zerstörend durch die Kälte. In gleicher Weise wird im Sommer gar manchen Nestern der Gewitterhagel, der sie sammt Eiern oder Jungen zerschlägt, verderblich.

Heftige Stürme, die während der Fortpflanzungsperiode der Vögel sich erheben und, wenn auch nur durch Gewitter veranlaßt, kurze Zeit toben, zerreißen das eine oder andere Nest auf Baum und Strauch, oder werfen es auf die Seite, so daß der Inhalt über Bord geschleudert wird oder durch die defecten Stellen zu Boden fällt.

Selbstverständlich leiden die solid und dauerhauft gebauten Nester unter solchen Umständen nicht so leicht, wie die lose und lüderlich gebauten, sowie im Allgemeinen die auf schwankenden Zweigen stehenden den Gefahren durch Sturm weit mehr ausgesetzt sind, als die auf stärkerer Grundlage erbauten. So werden zum Beispiel Eier und Junge des wagehalsig bauenden Stieglitzen bei solchen Naturereignissen aus den Nestern geworfen, obschon die Eltern gewöhnlich durch festes Anklammern auf den Nestern das Ihrige aufbieten, um das Herausgeworfenwerden der Brut zu verhindern.

Anhaltende Regenströme erweichen nach und nach die freistehenden Nester und durchwässern den brütenden Vogel dermaßen, daß er sich zur Bewegung und Einölung seines Gefieders bewogen fühlt, ja in gar nicht seltnen Fällen das Nest gänzlich seinem Schicksale überläßt. Bei solcher andauernden Nässe fand ich nackte Junge im Neste liegen, die erstarrt waren; selbst halbflügge Nestlinge werden unter Tage lang währendem Landregen zur Flucht aus der durchnäßten Wohnung bewogen und sterben dann auf dem Boden, wenn sie nicht einen sicheren Schutzwinkel erreichen. Die frühere oder spätere Zeitigung der Eier wird wesentlich durch die Witterungseinflüsse bedingt.

Unter der Herrschaft naßkalter Tage und Nächte steht den Insectenfressern natürlich weit weniger Nahrung zu Gebote, als zur Zeit trockener und warmer Witterung. Da wird der brütende Vogel nicht immer von dem ihm Futter zutragenden Gatten in der erforderlichen Weise versorgt, und seine Entfernung von den Eiern zum Zwecke des Aufsuchens von Insecten und deren Larven wiederholt sich öfter, wodurch eine langsamere Entwickelung der Embryonen eintritt. Ebenso unleugbar ist die günstigere oder ungünstigere Entwicklung der ausgeschlüpften Jungen von der Fülle oder dem Mangel der Ernährung abhängig, welche letztere durch den Witterungseinfluß gefördert oder geschmälert wird. Die Erscheinung stärkerer oder schwächerer Exemplare unter den Vögeln derselben Art ist nicht blos zurückzuführen auf die ursprünglich in Stärke und Größe sehr verschiedenen Insassen eines jeden Nestes, sondern auch auf die durch bedeutende Witterungseinflüsse bedingte Ernährung während der Zeit der Unmündigkeit.

Die in Feldern und Wiesen bauenden Lerchen und Wiesenschmätzer erfahren es häufig, daß Platzregen ihre Nester zerstört, zumal an abschüssigen Stellen, wo sich rasch durch starken Zufluß Wassermengen zur Fluth zusammendrängen. Die an den Ufern der Gewässer nistenden Vögel haben es der Gunst der Witterung in erster Linie zu danken, wenn ihre Brut gedeiht. Wie oft aber machen der Eisvogel in der Uferhöhle, die Wasseramsel unter den Wurzelausschlägen, die gelbe und die Gebirgsstelze in ihrem Schlupfwinkel, der Rohrsänger in seinem angehängten Kunstbaue die schlimmste Erfahrung! Anhaltende Regengüsse verursachen Anschwellungen der Gewässer und das Eindringen des Wassers in die Wohnungen der liebenswürdigen Flußbewohner. Man hat von einem Ahnungsvermögen der Rohr- und Schilfsänger selbst von wissenschaftlicher Seite geschrieben, welches die Thierchen bestimmen soll, in denjenigen Sommern, welche Fluthen und Hochwasser mit sich führen, ihre Nester in gefahrloser Höhe anzulegen, aber damit ein Dogma verkündet, welches genügender Begründung entbehrt, ja sogar durch unsere Erfahrung widerlegt wird. Noch jedesmal habe ich viele Jahre hindurch an schilf- und rohrbewachsenen Flüssen und Bächen nach zurückgetretenem Hochwasser überschwemmte Nester der Rohrfänger gefunden. Das Anlegen der Nester in Sicherheit versprechender Höhe kann nur, wenn nicht zufällig die anlockende passende Gelegenheit geboten ist, auf die Erfahrung älterer und gewitzigter Paare zurückgeführt werden.

Tiefer noch greifen befiederte und unbefiederte Räuber aus der Thierwelt in das Familienheiligthum unserer Lieblinge ein. Hier ist’s die sausende Wucht des Falken oder Sperbers, dem der eine oder andere Ehegatte zur Beute wird, und durch den Schlag des Mörders wird zugleich ein ganzes Gelege der Eier oder das Leben hülfloser Nestlinge vernichtet. In seltenen Fällen füttert der überlebende Gatte dennoch die Kleinen unter doppelter Anstrengung groß, ja ich habe wahrgenommen, daß das Weibchen einer schwarzköpfigen Grasmücke, das vor meinen Augen den Ehegatten durch den geschickt ausgeführten Sprung eines alten Katers nach dem Neste verlor, die stark bebrüteten Eier völlig ausbrütete und die Jungen sämmtlich allein erzog. Das war auch nur dadurch möglich, daß die Brütezeit beinahe beendigt und das Wetter warm und schön war.

Während die edleren Raubvögel nicht als unmittelbare Nestzerstörer gelten können, sondern nur in der erwähnten Weise mittelbar die Brut vernichten, erscheinen die Bussarde hier und da als wirkliche Plünderer der auf dem Boden angelegten Nester. Derartige Plünderungen beobachtete ich mehrmals auf Wiesen, auf welchen durch die Schur Lerchennester bloßgestellt worden waren. Die Würgerarten erlauern auf Büschen und Bäumen den Standpunkt der Nester an dem Ab- und Zufliegen der sie umgebenden Paare der Kleinvögel und rauben Eier und Junge. Elster und Heher durchforschen Baumgruppen und junge Hegen und ermitteln mit ebenso viel Scharfsinn wie List in der Benutzung des günstigen Augenblicks die Nester vieler Singvögel, von denen nur diejenigen Gnade vor ihnen finden, die leer stehen. Aber sie wissen genau die ausgedienten von den neuerrichteten zu unterscheiden, und ich habe mit Bewunderung ihrer Intelligenz und Berechnung ihre tägliche Wiederkehr zur Stelle ihrer Entdeckungen wahrgenommen. Sobald ein Ei gelegt war, stahl es der Heher während der kürzeren oder längeren Abwesenheit der Nesteigenthümer. So trieb es der Frevler einige Male, bis das Weibchen des betrogenen Paares, mißtrauisch und der ferneren Hingabe an das Legegeschäft müde, dem Männchen das wohlverstandene Zeichen zum Verlassen des Nestes gab. Kolkrabe, Krähe und Dohle entdecken auf der Flur manches Nest, das sie plündern, ersterer nicht minder häufig in der Nähe seines Brutortes zur Zeit, wo das Gebüsch noch nicht belaubt ist, Amsel- und Drosselnester, die er schonungslos ihres Inhaltes beraubt. Der mordsüchtige Storch findet auf seinen Gängen durch Flur und Wiesengründe theils zufällig und unwillkürlich, auf Grund solcher Zufälligkeiten nachher aber auch auf dem Wege der Ausspähung manches Vogelnest. Selbst unser vielgepriesener Staar verdient insofern an den Pranger gestellt zu werden, als er im Frühjahre die Nester der Finken und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_357.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)