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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

so viele gehört hatte – aber der Blick des jungen Mannes mußte die einsilbige Antwort wohl wieder gut machen. Zwar begegnete er nur einen Moment lang dem der Signora Biancona, aber das Aufleuchten darin war gesehen und verstanden worden; es sagte unendlich mehr als alle die Schmeicheleien.

Die übrigen Herren mochten keinen hohen Begriff von den gesellschaftlichen Talenten des neuen Ankömmlings erhalten, der es nicht einmal verstand, einer schönen Frau irgend eine Artigkeit zu sagen. Sie ignorirten ihn vollständig. Die Unterhaltung, an der sich jetzt auch der Consul betheiligte, wurde allgemeiner; man sprach von der Musik, von einem bekannten Componisten und einem gerade epochemachenden Werke desselben, über dessen Auffassung Signora Biancona und Doctor Welding in Meinungsdifferenz geriethen. Erstere begeisterte sich dafür, während der Letztere ihm gar keinen höhern Werth beimaß. Die Signora vertheidigte ihre Ansicht mit südlicher Lebhaftigkeit und wurde dabei von sämmtlichen Herren unterstützt, die von vornherein ihre Partei nahmen; der Doctor beharrte kühl auf der seinigen. Der Streit wurde hartnäckiger, bis sich endlich die Sängerin unmuthig und etwas gereizt von ihrem Widersacher abwandte.

„Ich bedaure sehr, daß unser Capellmeister verhindert war, die heutige Einladung anzunehmen. Er spielt gerade diese Composition meisterhaft, und ich fürchte, es bedarf eines Vortrages, um die Gesellschaft zum Richter darüber zu machen, wer von uns Beiden Recht hat.“

Die Gesellschaft war auch dieser Meinung und vermißte den Herrn Capellmeister sehr schmerzlich; zum Ersatz erbot sich Niemand. Die sehr zur Schau getragene Begeisterung für die Musik schien bei Keinem mit der Ausübung derselben gleichen Schritt zu halten, bis auf einmal Almbach vortrat und ruhig sagte:

„Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung, Signora.“

Diese wendete sich rasch und mit sichtlicher Genugthuung zu ihm. „Sie sind musikalisch, Signor?“

„Wenn Sie und die Gesellschaft mit dem Versuche eines Dilettanten vorlieb nehmen wollen –“ er machte eine fragende Bewegung nach dem Herrn des Hauses hin, und als dieser eifrig beistimmte, trat er an den Flügel.

Die in Rede stehende Composition, ein modernes Paradestück im vollsten Sinne des Wortes, verdankte ihre allgemeine Beliebtheit wohl weniger ihrem innern Gehalte – sie besaß in der That nicht allzu viel davon – als der enormen Schwierigkeit der Ausführung. Schon die bloße Möglichkeit, sie zu spielen, erforderte eine Meisterschaft in der Beherrschung des Flügels. Man war gewohnt, diesen Vortrag nur von Virtuosen ersten Ranges zu hören, und blickte daher halb überrascht, halb spöttisch auf den jungen Mann, der sich ohne Weiteres dazu erbot. Er hatte sich freilich mit seinem Dilettantismus entschuldigt, aber es war doch immerhin eine Keckheit, diesen im Salon des Consuls Erlau zu probiren, wo man schon das Spiel so mancher Berühmtheit gehört und bewundert hatte.

Um so erstaunter war daher die Gesellschaft, als Almbach sich all diesen Schwierigkeiten vollkommen gewachsen zeigte, als er, ohne auch nur eine Note vor sich zu haben, sie gleichsam spielend überwand, mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, die einem Künstler von Fach Ehre gemacht hätte. Zugleich aber wußte er in seinen Vortrag ein Feuer zu legen, das selbst die älteren und anspruchsvolleren Zuhörer mit fortriß. Das Musikstück schien unter seinen Händen eine ganz andere Gestalt anzunehmen; er lieh ihm eine Bedeutung, die bisher noch Niemand, vielleicht der Componist selbst am wenigsten, hineingelegt hatte, und besonders der in etwas stürmischem Tempo vorgetragene Schluß trug ihm von allen Seiten den reichsten Beifall ein.

„Bravo, bravissimo, Herr Almbach!“ rief der Consul, der zuerst hervortrat und ihm herzlich die Hand schüttelte. „Wir müssen wirklich der Signora und dem Doctor dankbar sein, daß ihr musikalischer Streit uns zur Entdeckung eines solchen Talentes verhalf. Da kündigen Sie uns ganz bescheiden einen Versuch an und geben uns eine Leistung, deren sich der vollendetste Künstler nicht zu schämen hätte. Sie haben unserer Signora zu einem glänzenden Siege verholfen; sie hat Recht, unbedingt Recht, und der Doctor bleibt diesmal mit seinem Angriffe entschieden in der Minorität.“

Die Sängerin war gleichfalls vor den Flügel getreten. „Auch ich bin Ihnen dankbar, daß Sie meinem Wunsche so ritterlich nachkamen,“ sagte sie lächelnd; „aber“ – hier senkte sie die Stimme – „aber nehmen Sie sich in Acht! Ich fürchte, mein kritischer Gegner wird noch mit Ihnen rechten über die Art, wie Sie meiner Ansicht Geltung verschafften. War das Spiel und vor Allem der Schluß so ganz correct?“

Eine verrätherische Gluth flog über das Antlitz des jungen Mannes, aber er lächelte gleichfalls. „Er entsprach Ihrer Auffassung und fand Ihren Beifall, Signora – das ist für mich genug.“

„Wir sprechen noch darüber,“ flüsterte die Sängerin schnell, denn jetzt trat die Dame des Hauses heran, um ihrem jungen Gaste gleichfalls einige Artigkeiten zu sagen, und der größte Theil der Gesellschaft folgte ihrem Beispiele. Ein Strom von Redensarten und Complimenten rauschte auf Almbach ein; man war entzückt von seinem Spiele, seiner Auffassung; man wollte wissen, wo er seine musikalischen Studien gemacht; je weniger man ihn früher beachtet hatte, je unbekannter er den Meisten war, desto mehr überraschte sein plötzliches Hervortreten, und dazu die Bescheidenheit des jungen Mannes, die ihm kaum erlaubte, auf all die an ihn gerichteten Fragen zu antworten; ein Jeder aus der Gesellschaft fühlte augenblicklich etwas vom Kunstmäcen in sich und war bereit, diesem jungen Talente seine volle Protection angedeihen zu lassen.

Ob es wirklich nur Bescheidenheit war, was Almbach’s Lippen schloß? Es blitzte bisweilen wie eine Art von Spott in seinem Auge, wenn man immer und immer wieder seine geniale Auffassung hervorhob und behauptete, die Composition noch nie in dieser Vollendung gehört zu haben. Er benutzte die erste Gelegenheit, sich der auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit zu entziehen, und ward bei diesem Versuche von Doctor Welding in Beschlag genommen.

„Kann man endlich auch einmal zu Ihnen gelangen? Man läuft ja förmlich Sturm auf Sie mit Complimenten. Nur ein Wort, Herr Almbach! Wollen wir hier eintreten?“

Er wies in ein Nebenzimmer, das Beide kaum betreten hatten, als der Doctor in ziemlich scharfem Tone fortfuhr:

„Signora Biancona hat Recht behalten, das heißt in Folge Ihres Vortrages. Mein Angriff richtete sich gegen die Composition, wie sie im Original existirt. Darf ich fragen, wo Sie diese sehr eigenthümliche Bearbeitung aufgefunden haben? Mir war sie bis zu dieser Stunde völlig unbekannt.“

„Wie meinen Sie, Herr Doctor?“ fragte der junge Mann kühl. „Ich kenne das Musikstück nur in dieser Gestalt.“

Welding sah ihn von oben bis unten an; in seinem Gesichte stritt ein ärgerlicher Ausdruck mit einem unverhohlenen Interesse, als er entgegnete:

„Sie scheinen die Musikkenntniß der Gesellschaft ganz richtig zu taxiren, da Sie ihr dergleichen zu bieten wagen. Man hört das bekannte Thema heraus und ist zufrieden; aber es giebt doch zuweilen Ausnahmen. Mich zum Beispiel würde es sehr interessiren, zu wissen, von wem gewisse Variationen stammen, die den Charakter des Ganzen total verändern, und was nun vollends den Schluß betrifft – war diese kühne Improvisation vielleicht auch der ‚Versuch eines Dilettanten‘?“

Almbach hob ein wenig trotzig den Kopf. „Und wenn sie es nun wäre, was würden Sie dazu sagen?“

„Daß es ein arger Mißgriff der Ihrigen war, Sie zum – Kaufmann zu machen.“

„Herr Doctor, wir sind im Hause eines Kaufmanns.“

„Gewiß,“ sagte Welding ruhig, „und ich bin der Letzte, diesen Stand gering zu schützen, zumal wenn er, wie bei unserm Wirthe, mit tüchtiger rastloser Arbeit beginnt und mit dem Ausruhen auf Millionen endigt; aber er paßt eben nicht für Jeden. Es gehört vor allen Dingen ein klarer kühler Kopf dazu, und der Ihrige scheint mir gerade nicht dazu geschaffen, sich einzig mit dem nüchternen Soll und Haben abzugeben. Verzeihen Sie, Herr Almbach! Das ist nur so meine unmaßgebliche Meinung; im Uebrigen tadele ich Sie gar nicht wegen Ihrer Keckheit. Was thut man nicht, um dem Eigensinne einer schönen Frau Recht zu geben! In diesem Falle war das Manöver sogar äußerst genial; ein Anderer hätte das mit dem besten Willen nicht fertig gebracht. Ich gratulire Ihnen dazu.“

Er machte eine halb ironische Verbeugung und verließ das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_365.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)