Seite:Die Gartenlaube (1874) 372.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Und wo sind sie?“ fragte er dann.

„Im Walde, sonst hätte ich nicht gehen können,“ war die Antwort.

Die beiden Glücklichen hatten das Anfahren eines Wagens überhört, denn die ganze Welt war für sie untergegangen, sie hätten die Posaunen des jüngsten Gerichtes nicht vernommen.

„Jetzt wollen wir aber auch nach unserm Schatze sehen,“ begann Felix, der ruhiger geworden war. „Er wird sich hoffentlich unter unseren Händen nicht in dürres Laub verwandeln.“

Nachdem er die schönste Perle, die Haselnuß, sorgfältig geborgen hatte, ging er an die Untersuchung des Schatzes. Er nahm Stück um Stück heraus und murmelte beim Lesen der Inschriften und der Jahreszahlen: „Maria Theresia, Kaiser Ferdinand, Hamburg, 1246, 1525 – das sind ja lauter alte Münzen, einige Jahreszahlen sind gar nicht mehr zu erkennen. Herr des Himmels!“ fuhr er auf einmal auf, „das ist nichts Anderes als die alte Münzsammlung, von der mir der Baron Bisam erzählte. O Gott, jetzt ist Alles verloren. Das Geld gehört Niemandem anders, als dem Barone.“ Er schlug die Hände vor’s Gesicht.

„Jawohl, dem Baron, Niemand anders als dem Baron,“ krächzte eine überschnappende Fistel aus dem Schiffe der Kirche herauf, und der alte Baron schlittete in höchster Eile in den Chor herauf, während er die Arme in die Luft warf und kreischend lachte.

Ihm nach trippelte die Dohle und schrie aus Leibeskräften: „Nero, Nero!“

An der Kirchthür aber stand der alte Diener in seiner fadenscheinigen Livrée, rieb die Hände und lächelte stumpf vor sich hin. Als wäre ein Geist erschienen, fuhren die beiden Liebenden auf und sahen mit neugierigem Entsetzen, wie der kindische Bavon die Arme um die Urne schlang, dann mit den Händen in den Silberstücken wühlte und wie wahnsinnig auflachte.

Auf einmal schien er einem neuen Gedanken zu folgen, denn er schüttete den ganzen Inhalt der Urne auf die Altarplatte, wühlte darin mit zitternden Händen umher und schrie dann mit seiner spitzen Stimme, wie wahnwitzig: „Ein Nero, mein Nero, mein Kaiser Nero!“

„Nero, Nero!“ kreischte auch die Dohle und flatterte auf den Altar, um dem alten Barone das gefundene Goldstück aus den Händen zu picken. Aber er ließ es nicht los, sondern murmelte immer nur entzückt vor sich hin:

„Jetzt kann sich der Graf Hinko von Hackenburg trollen mit seinem Nero. Der meinige ist zehnmal schöner, jawohl, zehnmal schöner.“

Und es war wirklich ein schönes Goldstück, mit deutlicher Inschrift und dem scharfausgeprägten Brustbilde des Kaisers Nero. Ellen und Felix mußten es wohl zwanzigmal von beiden Seiten betrachten, und der Alte wurde nicht müde, ihnen den hohen Werth des Goldstücks zu erklären. Er war ruhiger geworden, denn die schönste Hoffnung seiner alten Tage war erfüllt. Er schien die Anwesenheit der Beiden gar nicht auffallend zu finden, und erst nach einer langen Pause fragte er, welches Wunder ihn in den Besitz der alten Münzsammlung gesetzt habe.

Felix erklärte ihm Alles, und der Alte starrte mit Verwunderung auf die Haselnuß, der er eine eigenthümlich geheimnißvolle Kraft zuzuschreiben schien, denn er streichelte sie schüchtern mit seinen kleinen runzeligen Händen und flüsterte andächtig: „Ellen – Nüsse – Küsse! Es ist merkwürdig! – Sie brauchen nicht so traurig zu sein, junger Mann!“ sagte er dann zu Felix. „Der alte Baron Bisam weiß schon, was sich schickt.“ Er rieb die Hände. „Felix heißen Sie? Felix – der Glückliche. Hm, wir werden’s schon machen. Sie sollen Geld genug haben und – der Kaiser Nero wird’s recht machen.“ Er versank wieder in den Anblick des goldenen Wütherichs.

Zu der schweigenden Gruppe traten auf einmal der Förster Waldraff mit dem kleinen Felix und einem hübschen jungen Manne, der aufmerksam die alten Inschriften an den Wänden betrachtete.

„Was zum Henker ist denn da?“ fragte Waldraff mit einem Gemische von Zorn und Verwunderung.

Ellen war todtenbleich, Felix aber stand mit hochgehobenem Haupte. Er wollte ein Mann sein in der Gefahr.

„Ei, Papa, sieh doch das viele Geld!“ jauchzte der kleine Felix. „Und der Geist ist auch dabei. Man sagt ja, bei einem Schatze müsse jedesmal ein Geist sein.“

Der Baron lachte wie ein Kind bei dem unbeabsichtigten Witze des kleinen Knirpses und fragte dann: „Wie kommen wir denn hier eigentlich zusammen?“

„Entschuldigen Herr Baron!“ sagte Waldraff trocken, „wir haben den gnädigen Herrn schon auf eine große Strecke jubeln und declamiren hören, und wir gingen der Stimme nach.“

„Ebenso ist’s mir gegangen,“ kicherte der Alte, „ich habe den jungen Mann da schon von weiter Ferne jauchzen hören und fuhr dem Klange nach. Es war Felix – der Glückliche, bei meinem Nero! Hurrah!“

„Was thust Du hier, Ellen?“ fragte der Förster mit grollender Stimme, aber der Baron fiel ihm in die Rede und erzählte in seiner abgebrochenen Weise den seltsamen Vorgang von der Auffindung der Münzsammlung. Felix mußte auch die Haselnuß zeigen, und Waldraff faltete finster die Stirn, als er den Namen „Ellen“ und das eingravirte Herz erblickte.

Der Fremde hatte staunend zugehört und sagte dann lächelnd:

„Es liegt also auch eine merkwürdige Kraft in der Frucht des Haselnußstrauches; sie entdeckt Schätze wie der Zweig, der als Wünschelruthe dient. Wie mag aber diese werthvolle Sammlung da unter den Stein gekommen sein?“

Der Förster antwortete leise:

„Wenn der frühere Besitzer, der Großvater des Barons, so kindisch war wie sein Nachfolger, so war es eben eine Schrulle. Er machte es wie die Elstern und Dohlen, die alles Glänzende verstecken, so daß man es erst nach Jahren findet.“

Herr Eiler lächelte fein und sagte zum Baron:

„Es mögen vielleicht Kriegsereignisse den früheren Besitzer dieser Münzen zum Begraben derselben veranlaßt haben.“

Den Alten schien das wenig zu kümmern; er starrte nur mit einem blöden Lächeln auf den jungen Mann, den ihm der Förster dann mit den Worten vorstellte:

„Herr Leo Eiler aus der Hauptstadt, der Bräutigam meiner Tochter.“

Maßloses Erstaunen malte sich auf dem Gesichte des Vorgestellten, während Felix überrascht ausrief: „Bist Du’s wirklich, Leo? Ich hätte Dich kaum wiedererkannt.“

„Jawohl bin ich’s,“ rief der Angeredete, „und Du bist Felix – der Glückliche, wie wir Dich auf dem Gymnasium hießen. Komm an mein Herz, altes fideles Haus!“ Und die beiden Studiengenossen umarmten sich zum Erstaunen aller Anwesenden.

Dann wandte sich Herr Eiler an den Förster mit den Worten:

„Bitte, Herr Waldraff, erklären Sie mir doch, wie ich zu der Ehre komme, von Ihnen als der Bräutigam Ihres Fräulein Tochter vorgestellt zu werden!“

Ellen horchte in athemloser Spannung.

„Ja zum Henker,“ fuhr der Förster auf, „hat Ihnen denn Ihr Herr Vater nichts von unserer Verabredung gesagt?“

„Keine Silbe.“

„Ich kam doch mit ihm überein, daß Sie mit Ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahre unser Vorhaben erfahren sollten. Auch hat Ihnen meine Ellen bei Ihrem letzten Besuche bei uns sehr gefallen.“

„Das ist nicht zu leugnen,“ lächelte Herr Eiler, „ich finde sie auch heute noch höchst begehrenswerth. Leider kann ich aber auf Bräutigamsehren keinen Anspruch mehr machen, da ich schon zwei Jahre verheirathet bin.“

Es ließe sich schwer sagen, wer am meisten überrascht war. Wer aber förmlich aufathmete, das war Ellen, das war Felix.

„Und warum habe Sie mir das nicht gesagt?“ brauste der Förster auf.

Herr Eiler erwiderte ruhig:

„Sie haben mich nicht darnach gefragt, und ich schwieg auch, weil ich aus Ihrem seltsamen Gebahren seit meinem Hiersein nicht recht klug werden konnte.“

„Da werde der Teufel klug!“ polterte Waldraff. „Warum hat mir denn Ihr Herr Vater nicht geschrieben?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_372.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)