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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

gestorben und verdorben, wie es die verwandtschaftliche Liebe ohne Zweifel hundertmal prophezeit und noch öfter gewünscht hat, er kehrt zurück als höchst respectabler Capitain eines höchst vortrefflichen Schiffes, mit allen nur möglichen Empfehlungen an Eure ersten Handelshäuser. Sollten die maritimen und mercantilischen Vorzüge nicht endlich das Herz des zürnenden Hauses Almbach und Compagnie erweichen?“

Reinhold unterdrückte einen Seufzer. „Spotte nicht, Hugo! Du kennst den Onkel nicht, kennst nicht das Leben in seinem Hause.“

„Nein, ich ging noch zu rechter Zeit durch,“ bekräftigte der Capitain. „Und das ist überhaupt das Gescheidteste – so solltest Du es auch machen.“

„Was fällt Dir ein? Meine Frau, das Kind –“

„Ja so!“ sagte Hugo etwas verlegen. „Ich vergesse immer, daß Du verheirathet bist. Armer Junge, Dich haben sie bei Zeiten festgekettet. Solch ein Traualtar ist der sicherste Riegel, den man allen etwaigen Freiheitsgelüsten vorschiebt. Nun, fahre nur nicht gleich auf! Ich glaube ja gerne, daß man Dich zu dem Jawort nicht geradezu gezwungen hat. Wie Du aber dazu gekommen bist, das wird wohl der Onkel zu verantworten haben, und die melancholische Stellung, in der ich Dich traf, spricht auch nicht gerade sehr für die Glückseligkeit eines jungen Ehemannes. Laß Dir doch einmal in’s Auge blicken, damit ich sehe, wie es drinnen ausschaut!“

Er ergriff ihn ohne Umstände beim Arme und zog ihn nach dem Fenster hin. Erst hier im hellen Tageslichte sah man, wie unendlich ungleich die beiden Brüder waren, trotz einer unleugbaren Aehnlichkeit in ihren Zügen. Der Capitain, der Aeltere von Beiden, war von kräftiger und doch eleganter Gestalt, das hübsche, offene Antlitz gebräunt von Luft und Sonne; sein Haar kräuselte sich leicht, und die braunen Augen sprühten Lebenslust und Lebensmuth. Seine Haltung war leicht und sicher, wie die eines Mannes, der gewohnt ist, sich in den verschiedensten Umgebungen und Verhältnissen zu bewegen, und das ganze Wesen hatte einen Zug kecker, übermüthiger Laune, die bei jeder Gelegenheit hervorbrach, aber zugleich eine so frische, offene Liebenswürdigkeit, daß es schwer war, ihm zu widerstehen.

Der um einige Jahre jüngere Reinhold machte einen durchaus verschiedenen Eindruck. Er war schlanker, bleicher als der Bruder; Haar und Augen waren dunkler, und die letzteren blickten ernst, ja düster. Aber es lag etwas auf dieser Stirn und in diesen Augen, das um so mehr anzog, als sich nicht leicht enträthseln ließ, was sich eigentlich dahinter barg. Hugo war vielleicht der Hübschere von Beiden, und doch entschied eine Vergleichung unbedingt zu Gunsten des jüngeren Bruders, der im vollsten Maße jenen seltenen und gefährlichen Reiz des „Interessantseins“ besaß, dem oft genug die vollendete Schönheit weichen muß.

Der junge Mann machte einen hastigen Versuch, sich der angedrohten Beobachtung zu entziehen. „Hier darfst Du nicht bleiben,“ sagte er bestimmt. „Der Onkel kann jeden Moment eintreten, und dann giebt es eine furchtbare Scene. Ich bringe Dich vorläufig nach dem Gartenhause, das ich für mich allein habe einrichten lassen. Du wirst schwerlich der Familie vor die Augen kommen dürfen, aber Deine Ankunft muß sie doch – erfahren. Ich werde sie ihr mittheilen –“

„Und den ganzen Sturm allein aushalten?“ unterbrach ihn der Capitain. „Bitte, das ist meine Sache! Ich gehe jetzt stehenden Fußes hinauf zu dem Herrn Onkel und der Frau Tante und stelle mich ihnen als gehorsamer Neffe vor.“

„Aber Hugo! Bist Du denn ganz von Sinnen? Sie ahnen ja noch gar nichts von Deinem Hiersein.“

„Eben deshalb! Mit Ueberrumpelung nimmt man die stärksten Festungen, und ich habe mich lange darauf gefreut, einmal wie eine Bombe mitten unter die grollende Verwandtschaft zu fahren und zu sehen, was für ein Gesicht sie macht. Aber noch eins, Reinhold, Du giebst mir das Versprechen, ruhig hier unten zu bleiben, bis ich zurückkomme. Du sollst nicht in die peinliche Lage gerathen, Zeuge davon zu sein, wie die ganze Schale des Familienzornes auf mein sündiges Haupt geleert wird. Du könntest in brüderlicher Aufopferung etwas davon auffangen wollen, und das stört mir den ganzen Feldzugsplan. – Jonas, komm einmal herein!“

Er öffnete die Thür und ließ eine Mann ein, der bisher draußen im Hausflur geharrt hatte. „Das ist mein Bruder. Sieh ihn Dir ordentlich an! Du hast Dich bei ihm zu melden und Dein Compliment zu machen. Noch einmal, Reinhold, Du versprichst mir, während der nächsten halben Stunde das Familienzimmer nicht zu betreten. Ich werde schon allein da oben Ordnung schaffen, und müßte ich die ganze Baracke mit Sturm nehmen.“

Er war zur Thür hinaus, ehe der jüngere Bruder auch nur eine Einwendung machen konnte. Noch halb betäubt von dem schnellen Wechsel der letzten zehn Minuten, blickte er auf die breite vierschrötige Gestalt des neuen Ankömmlings, der jetzt einen eleganten Reisekoffer auf die Dielen niedersetzte und sich dicht daneben aufpflanzte.

„Matrose Wilhelm Jonas von der ,Ellida‘, jetzt zur Dienstleistung bei dem Herrn Capitain Almbach!“ rapportirte er vorschriftmäßig, und versuchte dabei eine Bewegung, die wahrscheinlich eine Verbeugung ausdrücken sollte, mit dem anbefohlenen Complimente aber nicht die geringste Aehnlichkeit hatte.

„Es ist gut,“ sagte Reinhold zerstreut. „Lassen Sie das Gepäck einstweilen hier! Ich muß erst hören, wie lange mein Bruder zu bleiben gedenkt.“

„Wir bleiben einige Tage hier bei dem Herrn Onkel,“ versicherte Jonas in großer Gemüthsruhe.

„So? Ist das schon fest bestimmt?“

„Ganz fest.“

„Ich begreife Hugo nicht,“ murmelte Reinhold. „Er scheint keine Ahnung von dem zu haben, was ihm hier bevorsteht, und doch müssen meine Briefe ihn darauf vorbereitet haben. Unmöglich kann ich ihn den ganzen Sturm allein aushalten lassen.“

Er machte eine Bewegung nach der Thür hin, aber diese war vollständig blockirt durch die breite Gestalt des Matrosen, die auch auf den unwillig fragenden Blick des jungen Mannes sich nicht vom Platze rührte.

„Der Herr Capitain hat gesagt, er würde schon allein da oben Ordnung schaffen,“ erklärte er lakonisch, „also schafft er sie auch. Der setzt Alles durch.“

„Wirklich?“ fragte Reinhold, etwas betroffen von der unerschütterlichen Zuversicht dieser Worte. „Sie scheinen meinen Bruder sehr genau zu kennen.“

„Ganz genau.“

Unschlüssig, ob er dem Wunsche Hugo’s Folge leisten solle oder nicht, trat Reinhold an das nach dem Hofe hinausgehende Fenster und gewahrte dort drei oder vier Gesichter, dem Dienstpersonal angehörig, die mit dem Ausdruck grenzenloser Wißbegierde einen Einblick in das Comptoir zu gewinnen strebten. Der junge Mann ließ einen Ausruf unterdrückten Aergers hören und wandte sich wieder zu dem Matrosen.

„Die Ankunft meines Bruders scheint bereits im Hause bekannt zu sein,“ sagte er hastig. „Fremde sind doch sonst nicht eine solche Seltenheit im Comptoir, und die Neugierde gilt offenbar Ihnen.“

„Hat nichts zu sagen,“ brummte Jonas. „Wenn auch das ganze Nest rebellisch wird und uns angafft. Dergleichen ist uns gar nichts Neues mehr. Die Wilden auf den Südseeinseln machen es gerade ebenso, wenn unsere ,Ellida‘ anlegt.“

Es mag dahingestellt bleiben, ob der eben gezogene Vergleich den Hausbewohnern gerade besonders schmeichelhaft erschienen wäre. Zum Glück vernahm ihn Niemand als Reinhold, der es jetzt doch für nothwendig hielt, den Gegenstand dieser Neugierde zu entfernen. Er hieß ihn in das Nebenzimmer treten und dort warten; er selbst blieb zurück und horchte unruhig, ob sich nicht etwa streitende Stimmen vernehmen ließen, aber freilich, das Familienzimmer lag im oberen Stockwerk, und auf der anderen Seite des Hauses. Der junge Mann kämpfte mit sich selber, ob er dem halb und halb gegebenen Versprechen treu bleiben und Hugo gewähren lassen oder ob er nicht wenigstens versuchen solle, ihm den unvermeidlichen Rückzug zu decken, denn daß ein solcher bevorstand, glaubte er ganz genau zu wissen. Er war zu oft Zeuge des Verdammungsurtheils gewesen, das in der Familie über seinen Bruder gefällt wurde, um nicht eine Scene zu fürchten, der selbst dieser nicht Stand halten konnte, aber er kannte seine eigene Stellung dem Onkel gegenüber zu genau, um sich nicht zu sagen, daß sein Einschreiten die Sache nur verschlimmern würde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_381.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)