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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

gedacht, welche ganz dazu angethan erscheint, dem Andenken desselben zu schaden. Der Verfasser zieht die Person des Regisseurs Weiß in den Kreis seiner Betrachtung.

Weiß war eine der ausgezeichnetsten Persönlichkeiten, welche überhaupt die Geschichte des deutschen Theaters aufzuweisen hat. Nicht allein glänzte er als Darsteller in dem ihm zugewiesenen Rollenfache, seine hohe geistige Begabung, sein glänzendes Talent für den geistigen Theil der Regie, die Macht des Wortes, welche ihm namentlich in der Unterhaltung über künstlerische Gegenstände zu Gebote stand, seine großartige Anschauungsweise – dies Alles machte ihn schon zu einem Gegenstande hoher Verehrung für alle diejenigen, welche das Glück hatten ihm naher treten zu können. Vermehrt aber wurde diese Hochachtung noch besonders durch das Beispiel des regsten Eifers für die Sache der Schauspielkunst, welcher Weiß thatsächlich sein ganzes Leben gewidmet hat, durch die fast übertriebene Pflichttreue, welche er – oft im Kampfe gegen die Leiden seines zarten Körpers – an den Tag legte.

Mit dem Glockenschlage erschien er zur bestimmten Zeit auf den Proben. Gleichviel ob ausübender Darsteller oder nur mit der Regie betraut, fand er sich jeden Abend zur rechten Zeit im Theater ein. Er nahm, wenn er nicht als Darsteller beschäftigt war, sofort seinen Sitz im Versammlungszimmer ein. Ehe die Vorstellung begann, revidirte er genau die Bühne, die Requisiten etc. und kehrte dann wieder zu seinem Platze in das Versammlungszimmer zurück. Hier saß er in der Ecke des noch heute vorhandenen Sophas; hier konnte man in freien Momenten sich an seiner hochinteressanten Unterhaltung, an den Spenden seines seltenen Geistes erfreuen; hier war es, wo man sich oftmals Rath und treffliche Hinweise erholen durfte, mit denen der ausgezeichnete Mann niemals kargte. Er war von der liebenswürdigsten, vollendetsten Form im gesellschaftlichen Umgange und schätzte jedes Talent; wodurch aber auch der Begabteste seine Gunst verscherzen konnte, das war eine Verletzung der Dienstpflicht, eine Unpünktlichkeit. Er verzieh dergleichen nur schwer – er vergaß es nie.

Einen solchen Mann läßt der Verfasser in Nr. 19 mit Warnicke und Zäger, dem Friseur und dem Theaterdiener, schach- und kartenspielend auftreten, während draußen die Vorstellung stattfindet, in welcher Weiß beschäftigt ist, der denn auch natürlich den richtigen Moment des Auftretens versäumt und dafür ein Mal vom Publicum durch Pfeifen und Zischen, das andere Mal von der Intendanz durch ein Mandat, welches die Spielpartie in der Garderobe verbietet – gestraft wird.

Ich enthalte mich der näheren Bezeichnungen, welche diesen Mittheilungen gebühren, aber dem Herrn Verfasser kann ich die Versicherung geben, daß sie eine wahrhafte Entrüstung bei allen den Mitgliedern des Hoftheaters wach gerufen haben, welche jemals in irgend einer Beziehung zu Weiß standen. Ihm nahte man sich nur mit jener Ehrerbietung, die uns unwillkürlich erfaßt, wenn wir ausgezeichneten Menschen gegenübertreten; sie macht bei aller Liebenswürdigkeit jede Cordialität unmöglich. Die hervorragendsten Persönlichkeiten hatten vor Weiß gewaltigen Respect. Er hatte es vermocht, Ludwig Devrient, als diesen die unselige Leidenschaft des Trunkes erfaßt hatte, eine Zeitlang von der Champagnerflasche fern zu halten. Als leider Devrient im Kampfe gegen seine Gelüste erlag, wagte er es nicht, Weiß sofort gegenüber zu treten, und als dieser ihm, ohne ein Wort zu sprechen, den Blick fest auf das gewaltige Antlitz des großen Menschendarstellers geheftet, nahte, senkte Devrient beschämt seine Feueraugen zur Erde und stotterte, mit der von der Gicht gekrümmten Hand jene bekannte, schnellende Bewegung machend: „Ach – was Du Dir wieder denkst!“ Weiß war ein aristokratischer Schauspieler. Er würde niemals mit Leuten wie Warnicke und Zäger vertraulich geworden sein, so sehr er sie auch als brave Männer schätzte. Er war in den ersten Kreisen gesucht, und jene Beiden zählten sich, bescheiden und sich ihrer Stellung bewußt, zu den Untergebenen des Regisseurs, dem sie, wie Alle, ihre Hochachtung zollten.

Warnicke schlich nicht in das Theater, um hier und da an den Frisuren der Damen etwas zu ordnen; als er pensionirt worden war, besuchte er wohl hin und wieder die Stätte seines ehemaligen Wirkens, aber er that keine Dienste daselbst. Diese Pensionirung soll nun nach Nr. 19 schon zu jener Zeit und zwar damals „schon lange“ stattgehabt haben, als Hendrichs zum ersten Male die Hofbühne betrat. Dieses Auftreten geschah am 28. Juni 1838. Warnicke ist pensionirt worden am 1. November 1846, also etwa acht Jahre später, als der Artikel in Nr. 19 angiebt.

Weiß spielte überhaupt weder Schach noch Karten. Er kannte beide Spiele nur dem Namen und dem Ansehen nach. Die noch lebende Gattin und die beiden Söhne, die Herren Maler Ferdinand und Professor Hermann Weiß, Vorsteher des königlichen Kupferstich-Cabinets und Verfasser des berühmten Werkes über Costümkunde, können dies bezeugen.

Hendrichs ist nicht bei seinem ersten Erscheinen an der Berliner Hofbühne als Don Carlos, sondern als Don Cesar (Braut von Messina) aufgetreten, hat überhaupt während jenes Gastspiels nur den Clavigo, den Isidor, den Prinzen in Emilia Galotti und den Sittig in „Bürgerlich und romantisch“, nicht aber den Infanten Don Carlos dargestellt. Weiß konnte daher auch nicht als Domingo bei dem Gastspiele eines Künstlers fungiren, der den Carlos nicht darstellte. Wenn aber Hendrichs auch den Sohn des zweiten Philipp zur Darstellung gebracht hätte, so würde Weiß den Domingo nicht gespielt haben, da jene Rolle sich schon seit 1837 gar nicht mehr in seinen Händen, sondern im Besitze von Emil Franz, gegenwärtig am kaiserlich königlichen Hofburgtheater zu Wien, befand.

Eines Vorfalles, der irgend welche Aehnlichkeit mit dem in Nr. 19 angeführten haben konnte, weiß sich Niemand bei uns zu erinnern, er müßte aber zu ermitteln sein, und zwar amtlich, denn der Verfasser jenes Aufsatzes theilt mit, daß durch ein Mandat der Intendanz dem Trifolium das Vergnügen des Spiels zu Wasser gemacht worden sei. Ein solches Mandat ist in den Acten des königlichen Hoftheaters, welche mit größter Gewissenhaftigkeit durch Herrn Geheimerath Heuser geführt werden, nicht zu finden. Heuser ist zu jener Zeit schon längst in Function gewesen, und bezeugt, daß solcher Vorgang nie zur Kenntniß der Intendanz gekommen oder irgend eine darauf bezügliche Anordnung erlassen worden sei. Es konnte also auch dem alten Warnicke deshalb nicht der Zutritt zur Bühne verboten werden. Er besuchte sie noch öfter nach seiner Pensionirung, Niemand weigerte ihm dies. Und damit der Artikel in Nr. 19 auch bis zum letzten Satze mit Unrichtigkeiten angefüllt bleibe, wird noch erzählt, daß Zäger kurze Zeit nach seinem Freunde (!) Warnicke gestorben sei. Warnicke starb 1851 den 1. October, Zäger am 29. März 1861 (!!) – Es dürfte mit diesem Allen wohl dargethan sein, was von der Richtigkeit jener Schilderungen in Nr. 19 zu halten sei. Sie zu widerlegen erschien als Pflicht. Die Verhältnisse des Theaters sind ohnehin schon, ebenso wie die Leistungen der Darsteller, mit dem traurigen Vorzuge begabt, eine willkommene Beute für Jeden zu sein, der sich ihrer bemächtigen will. Dagegen giebt es eben kein Mittel als das der Widerlegung, das leider nicht immer zur Hand ist, das aber, wo es irgend thunlich scheint, angewendet werden muß. Verhehlen kann ich mein Erstaunen darüber nicht, daß der Herr Verfasser, der selbst darstellender Künstler war (oder es noch ist?), mit so wenig Vorsicht und ohne alle Prüfung gewisse ihm zugegangene Mittheilungen benutzt, in denen unrichtige und entstellte Thatsachen über Personen beigebracht werden, von deren hoher Bedeutung für die Bühne er als Darsteller und Schilderer vergangener Zeiten ohne Zweifel Kenntniß haben mußte. Genaue Prüfung des zugegangenen Materials war hier um so mehr geboten, als die Redaction der Gartenlaube in solchen Fällen der Zuverlässigkeit ihrer Mitarbeiter vertrauen muß.

George Hiltl.




Blätter und Blüthen.

Paul Bürde, der talentvolle Zeichner der Gartenlaube, ist todt. Er erlag einem Brustleiden am Nachmittage des 23. vorigen Monats in Berlin, nachdem er noch in der letzten Stunde seines Lebens den Rest seiner Kräfte einer Holzzeichnung gewidmet, welche wir in einer der nächsten Nummern unseren Lesern mitzutheilen gedenken. Bürde’s Talent wurde neben einer anerkennenswerthen Erfindungs- und Compositionsgabe durch die glückliche Anlage charakterisirt, die Mannigfaltigkeit der Stoffe, welche Leben und Zeit ihm boten, frisch und unmittelbar zu ergreifen und schnell und keck, gewissermaßen noch mit dem Duft ursprünglicher Inspiration malerisch zu verkörpern. Als Portraiteur, namentlich Berliner Persönlichkeiten, hat er sowohl mit der Kreide wie mit dem Pinsel Vortreffliches geleistet. Ungemein fein fühlend in der Wahl seiner Gegenstände, wußte er auch bei Leistungen auf anderen Gebieten der Malerei durch Vorzüge der Composition und der Technik, sowie durch Eigenartigkeit der Charakteristik eine oft sehr ansprechende Wirkung zu erzielen. Aus seinen Zeichnungen und Bildern spricht die zarte Sinnigkeit und Reinheit seines Gemüthes den Beschauer äußerst wohlthuend an. Seine Beiträge für die Gartenlaube – wir erinnern nur an seine Pendants „Der Landwehrmann und die Picarde“ und „Der Landwehrmann und die Kurmärkerin“ (Nr. 1, 1873), an seine beiden Jugend-Portraits Bismarck’s (Nr. 25, 1873) und an seine Zeichnung „Bischof Ketteler segnet die Leiche des Fürsten Lichnowsky ein“ (Nr. 40, 1873) – sind fast ausnahmslos mit so allgemeinem Beifall aufgenommen worden, daß wir uns der Hoffnung hingeben dürfen, der Name Paul Bürde werde im Gedächtnisse der Freunde der Gartenlaube fortleben als derjenige eines der liebenswürdigsten unter den Künstlern unseres Blattes.




Zur Notiznahme. Zu dem in Nr. 9 erschienenen Bilde „Am Beichtstuhl“ von H. von Angeli ist nachträglich zu bemerken: „Nach einer Photographie aus dem Verlage der photographischen Gesellschaft in Berlin.


Kleiner Briefkasten.

Abonnent von R. in S. Auf Ihre Frage: „Ob sich Leichenverbrennungen auch im criminalistischen Interesse empfehlen würden?“ ist zu erwidern, daß durch Ausgraben der Leiche keineswegs jede „Vergiftung noch längere Zeit nach dem Tode nachzuweisen“ ist, wie Sie voraussetzen, sondern daß dies nur bei wenigen Giften der Fall ist. Die Ausgrabungen von Leichen haben auch nur in sehr geringer Zahl ein für den Richter verwendbares Beweismaterial geliefert. Im schlimmsten Falle ist es aber, wie Statthalter Dr. Schauberg in Zürich sehr treffend bemerkt hat, „besser, es bleibe bei Tausend Vergiftungsfällen ein Mal der Missethäter ungestraft, als daß durch die jetzt übliche Bestattungsweise Tausende vergiftet werden.“ Uebrigens läßt sich auch dem Durchschlüpfen des einzelnen Verbrechers erfolgreich vorbeugen, wenn man eine von geschworenen Aerzten ausgeübte Todtenschau einrichtet, welche zugleich den für die Gesundheitspflege des Volkes hoch anzuschlagenden Nebenvortheil einer zuverlässigen „Sterblichkeits-Statistik“ ergeben würde. Eine solche Leichenschau besteht bereits in einzelnen Städten (zum Beispiel in Leipzig) und hat sich bewährt. Sie beugt zugleich dem „Lebendigbegrabenwerden“ vor, von dessen angeblich zahlreichen Fällen übrigens im laufenden Jahrhundert kein einziger sich nachweisen ließ. Nichtsdestoweniger fühlen sich die Laien durch die bloße Möglichkeit eines solchen Falles in sehr begreiflicher Weise beängstigt. Bei gutem Willen läßt sich in jeder Gemeinde ärztliche Todtenschau ausführen. Wem auch sie nicht genügen sollte, der müßte einen allgemeinen „Sections-Zwang“ beim Reichstage beantragen, ein Zwang, welcher mindestens ebenso berechtigt wäre, wie der „Impf-Zwang“.

K. L. in B. Wird in den nächsten zehn Tagen, nach der Rückkehr des Herrn Ernst Keil, erledigt werden.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_394.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2022)