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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Damen, aber auch andere Frauen, für sieben und einen halben Groschen, im Abonnement für sechs Groschen, einen guten, kräftigen Mittagstisch erhalten. Der zahlreiche Besuch spricht ebenso sehr für die Nothwendigkeit einer besonderen Speiseanstalt für Damen, wie auch für die Güte und Solidität der Bewirthung. In der überaus freundlichen und sauberen Küche, die sich im Souterrain befindet, werden junge Mädchen auf Wunsch im Kochen einer guten Hausmannskost und anderen wirthschaftlichen Arbeiten unterrichtet. Steigen wir eine Treppe höher, so gelangen wir aus der materiellen Sphäre der Küche in die geistige Region der Schule, die auch hier als die Wurzel und der Schwerpunkt des Ganzen angesehen wird. Durchschnittlich erhalten hier jährlich hundert Schülerinnen in den verschiedensten Fächern eine hinreichende Ausbildung theils für den kaufmännischen, theils für einen gewerblichen Beruf.

Gegen ein Honorar von fünfzig Thalern wird in der Handelsschule bei genügenden Vorkenntnissen der nöthige Unterricht im Buchführen, kaufmännischen Rechnen, in Comptoirarbeit und Correspondenz, Handels- und Gewerbekunde, Geld- und Wechselwesen, in englischer und französischer Sprache, im Deutschen und in der Geographie von den besten Lehrern und Lehrerinnen ertheilt. Ebenso wird in der Gewerbeschule in ein-, zwei- und mehrmonatlichen Cursen gewerbliches Zeichnen, Kleider- und Wäschezuschneiden nach wissenschaftlichen Principien, Nähen mit der Hand und mit der Maschine, französische Blumenfabrication, Putzfach, Handschuhnähen, Malen auf Porcellan, in Aquarell und Guache gelehrt. Eine große Zahl der zwischen fünfzehn bis dreißig Jahren stehenden Schülerinnen, deren Gesammtzahl schon jetzt weit über tausend beträgt, hat bereits in den verschiedensten Geschäften lohnende Stellungen gefunden und fast ohne Ausnahme sich bewährt. Der Verein verleiht auch Freistellen für junge, talentvolle Mädchen, die sich besonders auszeichnen und sich durch ihre Zeugnisse empfehlen.

Zu der Handels- und Gewerbeschule ist noch in letzter Zeit das telegraphische und typographische Institut hinzugetreten. Nachdem die Petition des Vereins an den deutschen Reichstag um Zulassung der Frauen zum Eisenbahn- und Postdienst eine günstige Aufnahme gefunden, erfolgt jetzt die Ausbildung weiblicher Aspiranten nach den gesetzlichen Bestimmungen unter Leitung und Aufsicht der Kaiserlichen Telegraphendirection unentgeltlich in einem besondern Saale des Hauses, worin die jungen Mädchen unter Aufsicht eines höhern Beamten mit dem Morse’schen Apparate arbeiten.

Vom 1. October 1873 bis Ende Februar 1874 sind im Ganzen bereits achtundvierzig Telegraphengehülfinnen ausgebildet worden, von denen dreizehn ihr Examen gut bestanden und eine vorläufige Anstellung im Staatsdienste mit einem Gehalte von sechs Thalern wöchentlich erhalten haben. Im Allgemeinen lautet das Urtheil der Kaiserlichen Telegraphendirection über ihre Leistungen folgendermaßen: „Die Gehülfinnen lassen es ohne Ausnahme nicht an Fleiß und Eifer beim Erlernen fehlen, und die Fortschritte, die sie gemacht haben, sind zufriedenstellend. Einzelne sind im Telegraphiren verhältnißmäßig schon ziemlich gewandt, während das Reguliren der Apparate ihnen fast ausnahmslos schwer fällt. Den Gehülfinnen werden zur Zeit nur die weniger frequenten Apparate zur Bedienung überwiesen, weil die Aufregung während der immerhin nicht leichten Beschäftigung des Telegraphirens dieselben mehr oder weniger so angreift, daß ihnen eine anhaltende Beschäftigung noch nicht zugemuthet werden kann.“

Bedenkt man die kurze Zeit und die zugestandene Schwierigkeit des Dienstes, so wird man nicht an dem günstigen Erfolge zweifeln können. Noch bedeutender und hoffnungsvoller sind jedoch die Leistungen des typographischen Instituts, welches sich unter Leitung des Herrn Buchdruckereibesitzers Schwabe vorläufig noch in der Wilhelmstraße Nr. 122 befindet. In der kurzen Zeit von einigen Monaten sind bereits zweiundzwanzig Setzerinnen so weit ausgebildet worden, daß sie den an sie gestellten Anforderungen genügen und durchschnittlich sechs bis sieben Thaler in der Woche verdienen. Die jungen Damen arbeiten in einem besondern Raume, theils sitzend, theils stehend, acht bis zehn Stunden am Tage, ohne daß sich bis jetzt ein nachtheiliger Einfluß auf ihre Gesundheit zeigt. Ihr Lehrherr rühmt ihren Fleiß, und die von ihnen gelieferten Arbeiten zeichnen sich durch Sauberkeit und Correctheit aus, wie die vorgelegten Proben beweisen.

Von ganz besonderer Wichtigkeit ist das in der dritten Etage gelegene Arbeitsnachweisungsbureau unter der Leitung der Frau Betty Lehmann, einer hochgebildeten Dame, welche täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage die gewünschte Auskunft ertheilt und die nöthige Correspondenz besorgt. Von dem Umfange dieser Thätigkeit kann man sich erst einen Begriff machen, wenn man erfährt, daß im vergangenen Jahre dreitausendfünfhundertneun Briefe eingegangen und zweitausendachthundertachtundachtzig geschrieben worden sind. Außerdem verzeichnen die sorgfältig geführten Listen zweitausendvierhundertdrei Besuche, darunter tausendsechshundertfünfzig Stellensuchende und neunhundertfünfzig Stellenbietende. Durch unentgeltliche Vermittlung erhielten vierhundertsechszehn Personen theils ein dauerndes Unterkommen, theils eine vorübergehende Beschäftigung. Darunter befanden sich hundertneunzig Lehrerinnen für Sprachen, Schulwissenschaften, Musik und Zeichnen, neunundachtzig Bonnen und Kindergärtnerinnen, acht Gesellschafterinnen, achtundneunzig Handarbeiterinnen, drei Directricen für Wäschegeschäfte, neun Comptoiristinnen, sechs Verkäuferinnen, elf Wirthschafterinnen und zwei Stenographinnen.

In neuester Zeit hat das so nützliche Arbeitsnachweisungsbureau noch eine zweckmäßige Erweiterung und Ergänzung dadurch gefunden, daß es auf Bestellung Arbeiten nach ausgelegten Mustern anfertigen läßt. Zweimal in der Woche sind zu diesem Zwecke zwei dem Ausschusse angehörende Damen anwesend, um sowohl die eingegangenen Muster zu prüfen, wie auch die eingehenden Bestellungen entgegenzunehmen und den Preis festzusetzen. Auf diese Weise werden die Frauen vor jeder Ausbeutung geschützt und wird ihnen die Gelegenheit zu einem lohnenden Erwerbe geboten.

Das in der dritten und vierten Etage befindliche Victoriastift, ursprünglich eine Schöpfung der Frau Kronprinzessin und erst seit einigen Jahren mit dem Vereine verbunden, bietet den in Berlin verweilenden Erzieherinnen, aber auch andern Damen, die sich wegen ihrer Ausbildung hier aufhalten, für den mäßigen Preis von zwanzig Thalern monatlich ein sicheres Asyl und eine gute Verpflegung, auch ärztliche Behandlung und noch andere Vortheile. In zwölf geräumigen und comfortable eingerichteten Zimmern können achtunddreißig Pensionairinnen ein ebenso angenehmes wie billiges Unterkommen finden. Ein großes, elegantes Conversationszimmer mit einer kleinen auserlesenen Bibliothek und einem trefflichen Pianino dient zur gemeinschaftlichen Benutzung. Die jungen Damen, welche ohne Ausnahme den höheren gebildeten Ständen angehören, darunter Künstlerinnen, welche die Hochschule für Musik oder das Atelier eines berühmten Malers besuchen, genießen hier alle Vortheile eines schönen Familienlebens. Außer vier Freistellen hat die hohe Protectorin noch zur Weihnachtsbescheerung eine ansehnliche Summe gewährt, welche mit einem Zuschusse aus der Stiftscasse zur Anschaffung eines gemüthlichen Weihnachtsbaumes und passender Festfreuden verwendet wurde. Für das Inventar bewilligte die Gnade des Kaisers außerdem noch fünfhundert Thaler aus den Ueberschüssen der im Winter abgehaltenen Subscriptionsbälle.

Nicht minder wohlthätig und segensreich bewährte sich die aus dem Vermächtnisse des verstorbenen Präsidenten gebildete Lette-Stiftung und der damit verbundene Nähmaschinenfond. Beide Institute verfolgen den Zweck, Frauen und Mädchen durch ein Darlehn bis zur Höhe von dreihundert Thalern gegen genügende Bürgschaft und bei allmählicher Abzahlung die Gründung eines selbstständigen Geschäftes zu ermöglichen. Durchschnittlich werden im Jahre zweitausend bis dreitausend Thaler ausgeliehen, deren Zurückzahlung meist pünktlich erfolgt ist. An Nähmaschinen wurden vom 1. März 1873 bis 8. Februar 1874 siebenundfünfzig Stück an unbemittelte Frauen überlassen und dafür durch Abschlagszahlungen die Summe von tausendvierhundertdreißig Thalern und fünfzehn Silbergroschen abgetragen. Zahlreiche Familien, besonders verlassene Wittwen, verdanken dieser Einrichtung nicht nur ihre Existenz, sondern in einzelnen Fällen sogar einen stets wachsenden Wohlstand.

In dieser Weise wirkt der Letteverein nach allen Seiten und mit allen Kräften für die Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts, die keineswegs mit der sogenannten Emancipation

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_401.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)