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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Ihrer Leistungen wegzuspotten,“ entgegnete er. „Ich bleibe deshalb nicht weniger in Ihrer Schuld, auch wenn Sie es mir unmöglich machen, sie Ihnen in irgend einer Weise abzutragen. Uebrigens glaube ich nicht, daß Ihnen die Erzählung dieses Abenteuers bei den Damen schaden wird, im Gegentheil. Und da Sie jede Schilderung desselben so entschieden ablehnen, so behalte ich mir dies für die nächste Gelegenheit vor.“

Frau Erlau wandte sich mit gewinnender Freundlichkeit zu Hugo. „Sie sind uns kein Fremder mehr, Herr Capitain, schon um Ihrer Familie willen nicht. Wir hatten erst kürzlich die Freude, Ihren Bruder bei uns zu sehen.“

„Jawohl, ein einziges Mal,“ bestätigte der Consul. „Und auch da nur durch Zufall. Almbach scheint es mir nun einmal nicht vergeben zu können, daß meine Art zu leben von der seinigen abweicht. Er hält sich und die Seinigen absichtlich entfernt und hat uns schon seit Jahren den Besuch unseres Pathenkindes entzogen – wir wissen kaum mehr, wie Eleonore aussieht.“

„Die arme Eleonore!“ bemerkte Frau Erlau mitleidig. „Ich fürchte, sie ist verschüchtert durch eine allzustrenge Erziehung und eine allzuweit getriebene Abgeschlossenheit. Ich kenne sie nicht anders als scheu und still, und ich glaube, sie schlägt in Gegenwart Fremder niemals die Augen auf.“

„Doch, gnädige Frau,“ sagte Hugo mit ganz eigenthümlicher Betonung. „Sie thut es bisweilen, aber freilich zweifle ich daran, daß mein Bruder das je gesehen hat.“

„Ihr Bruder ist also nicht anwesend?“ fragte die Dame.

„Nein. Er verweigerte es, mich zu begleiten, ich begreife das nicht, da ich seine Begeisterung für die Musik und speciell für den Gesang der Biancona kenne. Mir soll ja heute zum ersten Male diese Sonne des Südens aufgehen, deren Strahlen bereits ganz H. blenden.“

Der Consul drohte ihm scherzend mit dem Finger. „Spotten Sie nicht, Herr Capitain, und wahren Sie lieber Ihr eigenes Herz vor diesen Strahlen! Euch, Ihr jungen Herren, ist dergleichen am gefährlichsten. Sie wären nicht der Erste, der dem Zauber dieser Augen erliegt.“

Der junge Seemann lachte übermüthig. „Und wer sagt Ihnen denn, Herr Consul, daß ich ein solches Schicksal fürchte? Ich unterliege in solchen Fällen immer mit dem größten Vergnügen und dem tröstlichen Bewußtsein, daß der Zauber nur dem gefährlich wird, der ihn flieht. Wer Stand hält, pflegt gewöhnlich sehr bald entzaubert zu werden, oft viel früher, als ihm lieb ist.“

„Es scheint, Sie haben bereits viel Erfahrung in solchen Dingen,“ bemerkte Frau Erlau mit leisem Vorwurfe.

„Mein Gott, gnädige Frau, wenn man so jahraus, jahrein von Land zu Land fliegt und nirgends Wurzel faßt, nirgends daheim ist, als auf der wogenden, ewig bewegten See, da lernt man den ewigen Wechsel als etwas Unabänderliches hinzunehmen und ihn schließlich lieben. Ich stelle mich Ihrer vollsten Ungnade zur Verfügung mit diesem Geständniß, aber ich muß Sie wirklich bitten, mich als einen Wilden zu betrachten, der in den tropischen Meeren und Ländern längst verlernt hat, den Anforderungen norddeutscher Civilisation zu genügen.“

Die Art, wie der junge Capitain sich dabei verbeugte und die Hand der Dame küßte, verrieth gleichwohl eine ganz hinreichende Vertrautheit mit diesen Anforderungen, und Doctor Welding bemerkte trocken zu dem Consul gewandt:

„Die tropische Uncivilisirtheit dieses Herrn wird sich in unseren Salons gerade nicht allzu schlimm ausnehmen. Der Held unserer vielgenannten Hansa-Affaire ist also wirklich[WS 1] der Bruder des jungen Almbach, dem Signora Biancona soeben drinnen im Versammlungszimmer eine Audienz ertheilt?“

„Wem? Reinhold Almbach?“ fragte Erlau überrascht. „Sie hören ja, daß er sich nicht hier befindet.“

„Nach der Ansicht des Herrn Capitains allerdings nicht,“ sagte Welding ruhig. „Nach der meinigen ganz entschieden. Bitte, erwähnen Sie nichts davon! Das heutige Concert scheint bestimmt zu sein, uns irgend eine Ueberraschung zu bringen; ich habe einen gewissen Verdacht, und es wird sich ja zeigen, ob er gegründet ist oder nicht. Signora liebt die Theatereffecte auch außerhalb der Bühne; Alles muß unerwartet, blitzähnlich, überstürzend sein. Eine prosaische Ankündigung würde Alles verderben. Der Capellmeister ist jedenfalls mit im Complot, war aber nicht zum Reden zu bringen. Wir wollen es abwarten.“

Er schwieg, denn jetzt trat Hugo, der bisher mit den Damen gesprochen hatte, zu ihnen, und gleich darauf nahm das Concert seinen Anfang.

Der erste Theil und die Hälfte des zweiten gingen programmmäßig unter mehr oder weniger lebhafter Theilnahme der Zuhörer vorüber. Erst gegen den Schluß hin erschien Signora Biancona, deren Leistung trotz Allem, was man bisher gehört, doch nun einmal den Glanzpunkt des Abends bildete. Das Publicum empfing und begrüßte seinen Liebling, dessen blasses Aussehen heute entzückender war als je, mit einem lauten Applaus. Beatrice war aber auch in der That blendend schön, als sie so dastand, im strahlenden Glanze des Kronleuchters, in dem blumenbestreuten duftigen Florgewande, mit den Rosen im dunklen Haare. Sie dankte lächelnd nach allen Seiten, und nachdem der Capellmeister, der diesmal selbst die Begleitung übernahm, sich am Flügel niedergelassen hatte, begann der Vortrag.

Es war eine jener großen italienischen Bravour-Arien, die in jedem Concert, wie auf jeder Bühne ihres Erfolges sicher sind und den Beifall des Publicums herausfordern, ohne gleichwohl höheren Ansprüchen zu genügen. Eine Menge glänzender Passagen und Effecte mußten hier die Tiefe ersetzen, die der Composition durchaus abging, aber sie bot der Italienerin die vollste Gelegenheit zur Entfaltung ihrer herrlichen Stimme. All diese Läufe und Triller perlten so glockenrein von ihren Lippen, nahmen so schmeichelnd Ohr und Sinn der Zuhörer gefangen, daß jede Kritik, jeder ernstere Anspruch unterging in der reinen Lust des Hörens. Es war ein reizendes Spiel mit den Tönen, freilich nur ein Spiel, nichts weiter, aber es wirkte, im Verein mit der vollendeten Sicherheit und Anmuth des Vortrags, zündend auf das Publicum, das die Sängerin reichlicher als je mit dem gewohnten Beifall überschüttete und stürmisch die Arie da capo verlangte.

Signora Biancona schien auch gewillt, diesem Wunsche nachzugeben, denn sie trat von Neuem vor, aber zugleich verließ der Capellmeister den Flügel, und ein junger Mann, den bisher Niemand unter den mitwirkenden Künstlern bemerkt hatte, nahm seinen Platz ein. Verwundert schauten die Zuhörer, überrascht der Consul und dessen Gattin zu ihm hinüber; selbst Hugo sah im ersten Augenblicke fast erschreckt auf den Bruder, dessen Hiersein er nicht vermuthet hatte, aber er begann den Zusammenhang zu ahnen. Nur Doctor Welding sagte ruhig und ohne das mindeste Erstaunen: „Dachte ich es doch!“ Reinhold sah bleich aus, und seine Hände bebten auf den Tasten; aber Beatrice stand an seiner Seite – ein leise geflüstertes Wort aus ihrem Munde, ein Blick aus ihrem Auge gab ihm den verlorenen Muth zurück. Er begann fest und ruhig die ersten Accorde, die dem Publicum sofort klar machten, daß es sich hier nicht um eine Wiederholung seines Lieblingsstückes handelte. Alles horchte auf mit Befremdung und Spannung, und jetzt fiel Beatrice ein.

Das war nun freilich etwas Anderes, als die eben gehörte Bravour-Arie. Die Melodien, die jetzt emporquollen, hatten nichts gemein mit jenen Läufen und Trillern, aber sie brachen sich Bahn zu den Herzen der Zuhörer. In diesen Tönen, die bald aufwogten wie in stürmischem Jubel, bald zusammensanken wie in düsterer Klage, schien das ganze Glück und Weh eines Menschenlebens zu athmen, schien ein lang gefesseltes Sehnen sich endlich emporzuringen. Es war eine Sprache von ergreifender Gewalt und Schönheit, und wenn sie auch nicht überall ganz verstanden wurde, man fühlte doch, daß in ihr etwas Mächtiges, Ewiges klang; selbst die gleichgültigste, oberflächlichste Menge bleibt nicht empfindungslos, wenn der Genius zu ihr spricht.

Und hier hatte dieser Genius einen Ebenbürtigen gefunden, der ihm zu folgen und ihn zu ergänzen wußte. Es war nicht die Rede mehr von einem Wagnisse der Beiden; denn Eines kam der Auffassung des Anderen entgegen. Das sorgfältigste Studium hätte kein so vollendetes Ineinandergreifen geben können, wie es hier der Moment und die Begeisterung schufen. Reinhold sah sich in jedem Tone verstanden, in jeder Wendung begriffen, und nie hatte Beatrice so hinreißend gesungen, nie war die Seele ihres Gesanges so hervorgetreten. Mit glühender Hingebung erfaßte sie ihre Aufgabe. Die Begabung der Sängerin und die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wirlich
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_412.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)