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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

zu spielen und sie sich dienstbar zu machen. Wie er niemals im Stande gewesen war, seine Abneigung gegen das Geschäftsleben und seine Gleichgültigkeit gegen die kleinbürgerlichen Interessen zu verhehlen, so machte er auch jetzt kein Hehl aus seiner Verachtung der ganzen Umgebung, seinem glühenden Haß gegen die Fesseln, die ihn einengten, und das war es, was ihm nicht verziehen wurde. Hugo, der entschieden auf der Seite seines Bruders stand, durfte ganz offen dessen Partei nehmen, was auch bei jeder Gelegenheit geschah. Der Oheim vergab ihm das, fand es sogar natürlich, denn die Art des jungen Capitains, sich zu geben, ließ es nie zu einem Conflicte kommen, während bei Reinhold dieser Punkt nur berührt zu werden brauchte, um sofort die heftigsten Scenen zwischen ihm und den Schwiegereltern zu veranlassen.

Es war um die Nachmittagsstunde, als Hugo das Almbach’sche Haus betrat und unten an der Treppe seinem Diener begegnete, den er vorher mit einem Auftrage zu dem Bruder gesandt hatte. Jonas war eigentlich nur dem Namen nach Matrose auf der „Ellida“; er war längst von den Schiffsarbeiten entbunden und ausschließlich zur Dienstleistung bei dem jungen Capitain bestimmt worden, den er auch bei einem längeren Aufenthalte auf dem Lande nie verließ, und dem er mit zäher, unerschütterlicher Anhänglichkeit überall folgte. Beide standen ungefähr in gleichem Alter. Jonas war im Grunde nichts weniger als häßlich; er konnte in seiner Sonntagstracht sogar für einen ganz hübschen Burschen gelten, aber seine ungeschickten Manieren und sein rauhes, wortkarges Wesen ließen diese Vorzüge nie zur Geltung kommen. Er stand mit dem ganzen Dienstpersonal des Almbach’schen Hauses, zumal mit dem weiblichen, auf beinahe feindseligem Fuße, und noch Keiner davon hatte je eine freundliche Miene bei ihm gesehen oder ein Wort mehr von ihm gehört, als unumgänglich nothwendig war. Auch jetzt sah er äußerst grämlich aus, und die vier oder fünf Thaler, die er soeben in die rechte Hand zählte, schienen sein höchstes Mißfallen zu erregen, so grimmig schaute er darauf hin.

„Was giebt es denn, Jonas?“ fragte der Capitain herantretend. „Hältst Du Uebersicht über Dein Baarvermögen?“

Der Matrose blickte auf und setzte sich in Positur, aber sein Gesicht wurde nicht freundlicher.

„Zum Blumenhändler soll ich gehen und einen Strauß abholen,“ brummte er, das Geld in die Tasche steckend.

„Ei sieh! Benutzt man Dich hier auch schon zum Blumenboten?“

„Ja, hier auch,“ sagte Jonas, nachdrücklich das letzte Wort betonend, und mit einem vorwurfsvollen Blicke auf seinen Herrn fügte er hinzu: „Gewohnt bin ich’s freilich.“

„Allerdings,“ lachte Hugo. „Aber ich bin es nicht gewohnt, daß Du dergleichen Gänge für einen Andern als mich besorgst. Wer hat es Dir denn aufgetragen?“

„Herr Reinhold,“ lautete die lakonische Antwort.

„Mein Bruder – so?“ sagte Hugo langsam, während ein Schatten über seine eben noch so hellen Züge hinflog.

„Und ein wahres Sündengeld soll ich dafür bezahlen,“ murrte Jonas weiter. „Herr Reinhold versteht es noch besser als wir, die Thaler fortzuwerfen für die Dinger, die morgen verwelkt sind. Und wir sind doch wenigstens nicht verheirathet, aber er –“

„Der Strauß ist jedenfalls für meine Schwägerin bestimmt,“ schnitt ihm der Capitain kurz das Wort ab. „Was giebt es dabei zu verwundern? Glaubst Du, ich werde meiner Frau keine Blumen schenken, wenn ich erst einmal verheirathet bin?“

Die letzte Bemerkung mußte dem Matrosen wohl sehr unerwartet kommen, denn er richtete sich mit einem Rucke in die Höhe und starrte seinen Herrn im vollsten Entsetzen an, aber schon in der nächsten Minute kehrte er beruhigt zu seiner früheren Haltung zurück und sagte zuversichtlich:

„Wir heirathen nie, Herr Capitain.“

„Ich verbitte mir dergleichen Orakelsprüche, die mich ohne Weiteres zur Ehelosigkeit verdammen,“ fiel Hugo ein. „Und warum werden ‚wir‘ denn nie heirathen?“

„Weil wir uns aus den Frauenzimmern gar nichts machen,“ beharrte Jonas.

„Du hast eine höchst wunderbare Manier, immer im Plural zu sprechen,“ spottete der Capitain. „Also ich mache mir nichts aus den Frauen? Ich dächte, das Gegentheil hätte oft genug Deinen Ingrimm erregt.“

„Aber zur Heirath kommt es doch nicht,“ triumphirte Jonas im Tone unerschütterlicher Ueberzeugung. „Im Grunde machen wir uns nicht so viel aus der ganzen Gesellschaft. Weiter als bis zum Blumenschicken und Handküssen geht die Geschichte nie, dann segeln wir ab, und sie haben das Nachsehen. Es ist auch ein wahres Glück, daß es so ist. Frauenzimmer auf der ,Ellida‘ – Gott bewahre uns davor!“

Diese mit unverwüstlichem Ernste, freilich auch wieder in dem unvermeidlichen Plural gegebene Charakteristik schien leider das Richtige getroffen zu haben, denn der Herr Capitain erhob nicht den geringsten Einwand dagegen. Er zuckte nur lachend die Achseln, drehte dem Matrosen den Rücken und stieg die Treppe hinauf. Er fand Reinhold in dessen eigener Wohnung, die im oberen Stocke lag, und ein einziger Blick auf das Gesicht des Bruders, der heftig im Zimmer auf und ab schritt, zeigte ihm, daß auch heute etwas vorgefallen sein müsse.

„Du willst ausgehen?“ fragte er nach der ersten Begrüßung mit einem Blicke auf den Hut und die Handschuhe, die auf dem Tische lagen.

„Später!“ antwortete Reinhold, sich zusammennehmend. „In einer Stunde etwa. Du bleibst doch einige Zeit?“

Hugo überhörte die letzte Frage. Er stand vor seinem Bruder und sah ihn forschend an.

„Hat es wieder eine Scene gegeben?“ fragte er halblaut.

Der finstere Trotz, der einige Minuten lang aus den Zügen des jungen Mannes gewichen war, kehrte wieder zurück.

„Gewiß. Man hat wieder einmal den Versuch gemacht, mich wie einen Schulknaben zu behandeln, der, wenn er sein tägliches Arbeitspensum geleistet, sich auch noch in den Erholungsstunden überwachen lassen und von jedem Gange Rechenschaft ablegen muß. Ich habe ihnen klar gemacht, daß ich dieser ewigen Bevormundungen müde bin.“

Der Capitain fragte nicht, um welchen Gang es sich bei diesem Streite handelte; das kurze Gespräch mit Jonas schien ihn hinreichend darüber aufgeklärt zu haben; er sagte nur kopfschüttelnd: „Es ist ein Unglück, daß Du so gänzlich abhängig von dem Onkel bist. Wenn es früher oder später zwischen Euch zum Bruche kommt und Du aus dem Geschäfte trittst, so ist das für Dich eine Existenzfrage; Dein ganzes Einkommen fällt damit. Du allein könntest Dich wohl zur Noth Deinen Compositionen anvertrauen, aber ihnen jetzt schon die Erhaltung einer Familie zumuthen, hieße Deine Zukunft von vornherein in Frage stellen. Ich hatte damals nur für mich allein einzustehen; Du wirst nothgedrungen warten müssen, bis Dich ein größeres Werk in die Lage versetzt, mit Frau und Kind der ganzen kleinbürgerlichen Sphäre den Rücken zu kehren.“

„Unmöglich!“ rief Reinhold beinahe ungestüm. „Bis dahin wäre ich zehnmal zu Grunde gegangen, und was ich an Talent besitze, mit mir. Ausharren, warten, vielleicht noch Jahre lang? Das kann ich nicht, das ist für mich gleichbedeutend mit Selbstvernichtung. Meine neue Arbeit ist vollendet. Wenn sie nur einigermaßen den Erfolg der ersten erreicht, so ermöglicht sie mir wenigstens, einige Monate in Italien zu leben.“

Hugo stutzte.

(Fortsetzung folgt.)




„Die Nachtigall im Fliederbusch“.


Es ist drei Uhr Morgens. Stille, laue, sanfte Dämmerluft, wie sie der heurige Wonnemonat nicht eben oft gespendet, deutet auf einen warmen, leider den letzten Maientag.

Lauter, vollstimmiger Vogelgesang und der Gedanke an die Nachtigall im Fliederbusch haben mich heute um fast zwei Stunden früher geweckt als sonst. Ich trete hinaus in meine von wildem Wein umrankte Veranda. Ringsum frisches Grün, ein Stückchen Wald, blühende Apfelbäume, blühende Fliederhecken, Goldregen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_414.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)