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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

zu lassen. Man geht zur Post und zahlt diese Summe ein mit der Weisung, dieselbe telegraphisch zu befördern. Will man dem Adressaten noch irgendwelche Mittheilungen machen, so übergiebt man sie ebenfalls der Post. Diese vermittelt nun die telegraphische Beförderung und sofortige Auszahlung des Geldes an den Adressaten, und dafür ist zu entrichten: die Postanweisungsgebühr, die Gebühr für das von der Post zu redigirende Telegramm, das Expreßbestellgeld für Besorgung der Depesche am Aufgabeorte vom Postbureau bis zur Telegraphenstation, wenn letztere sich nicht im Postgebäude mit befindet, und endlich – sofern die Anweisung nicht poste restante oder bureau restant adressirt ist – das Expreßbestellgeld für die Bestellung am Adreßorte zur Erhebung.

Setzen wir nun einen andern Fall: Man sei auf einer Reise begriffen und es sei Einem durch irgend eine unglückliche Verkettung von Umständen das Reisegeld ausgegangen, so ist nichts leichter, als sich solches schnellstens aus der Heimath zu requiriren – vorausgesetzt natürlich, daß dort das Requiriren etwas hilft. Man depechirt: „Sendet mir telegraphisch so und so viel Thaler bureau restant hierher!“ In kurzer Zeit wird die Depeschenanweisung bureau restant eingegangen sein, und dieser Zusatz ermächtigt die Telegraphenstation, dem Reisenden nach vorausgegangener Legitimirung die betreffende Summe gleich selbst auszuzahlen, ohne daß dieser erst zur Post zu gehen nöthig hätte. – Man sieht, daß diese beiden Elemente, Post und Telegraphie, innig gesellt, nicht nur die Welt beherrschen, sondern auch sehr viel zur Erleichterung der süßen Gewohnheit des Daseins beitragen können. Freilich giebt es auch Fälle, wo dem Telegraphen recht herzlich gemeinte Flüche und Verwünschungen nicht erspart bleiben, wenn z. B. flüchtige Cassirer etc. durch telegraphische Steckbriefe erkannt und an der Sicherung ihrer sauer erworbenen Gelder gehindert werden.

Eine andere Erleichterung gewährt die Telegraphenverwaltung dem Publicum insofern, als es gestattet ist, dieselbe Depesche an mehrere Adressaten gleichzeitig für einen geringern Satz befördern zu lassen, als zu entrichten wäre, wenn man an jeden eine besondere Depesche richten müßte. Man kann Depeschen mit mehreren Adressen aufgeben entweder an mehrere Adressaten an demselben Orte oder an denselben Adressaten in verschiedenen Wohnungen an demselben Orte.

Dies wird durch ein Beispiel klar werden: Ich sei Banquier und stehe am Vorabende einer großen vorkrachlichen Gründung, zu welcher mir fremde Capitalien sehr erwünscht, wenn nicht unentbehrlich sind. Ich will meinen Geschäftsfreunden an den anderen Börsenplätzen hiervon Mittheilung machen, was damals Anstands halber nur per Draht geschehen konnte, und will ihnen bestimmte Summen zur Consortial- oder Syndicatsbetheiligung offeriren. Die betreffende Depesche zähle sechszig Worte, koste also von Berlin nach Hamburg einen Thaler. Die Zahl meiner Hamburger Geschäftsfreunde möge sich auf einundfünfzig belaufen, und ich will sie alle gleichzeitig glauben machen, daß ich jedem Einzelnen nur aus ganz besonderer Rücksicht Gelegenheit biete, sein und anderer Leute Geld bei meiner Gründung auf anständige Manier loszuwerden. Müßte ich nun an jeden Einzelnen dieselbe Depesche richten, so würde dies Kosten in der Höhe von einundfünfzig Thalern verursachen. Statt dessen schreibe ich auf meine Depesche alle einundfünfzig Adressen und bezahle nun – wenn diese einundfünfzig Adressen hundertzwei und der Text der Depesche achtundfünfzig Worte enthalten – die Gebühr für eine achtfache Depesche, gleich zwei Thalern zwanzig Silbergroschen, in Summa also sechs Thaler fünfundzwanzig Silbergroschen; ich erspare daher vierundvierzig Thaler fünf Silbergroschen. Bei Depeschen nach außerdeutschen Stationen erhöht sich der Satz für die zweite und jede folgende Adresse auf vier Silbergroschen.

Es kann aber auch der Fall eintreten, daß ich Jemandem, dessen Wohnung ich nicht genau kenne, etwas Wichtiges mitzutheilen habe. Er ist vielleicht auf einer Reise begriffen und hat mir sein Absteigequartier nicht bekannt gegeben, oder sein Bureau liegt von seiner Wohnung ziemlich entfernt. Ich kann in diesem Falle meine Depesche an denselben Adressaten nach verschiedenen Wohnungen dirigiren. Zum Beispiel: An Herrn N. N., Berlin, Hôtel Rom, oder Thiergartenhôtel, oder Hôtel Petersburg. Dies sind drei Adressen: mit denselben soll die Depesche zwanzig Worte zählen, kostet also von Metz nach Berlin fünfzehn Groschen; hierzu die Gebühr für zwei weitere Adressen à zwei einen halben Groschen, macht in Summa zwanzig Groschen, während ich für drei separate Depeschen desselben Inhalts einen Thaler fünfzehn Groschen hätte bezahlen müssen. Es wird nun an jede Adresse eine Abschrift der Depesche gesandt.

Nehmen wir ferner an, Jemand will eine Reise unternehmen und den Zurückbleibenden die Möglichkeit bieten, ihm jederzeit telegraphische Nachrichten zukommen zu lassen, so giebt er ihnen ein Verzeichniß der von ihm in Aussicht genommenen Nachtquartiere nebst ungefährer Angabe der Daten und beauftragt sie, ihren Depeschen den Zusatz: „Nachzusenden“, beizufügen, gefolgt von den Adressen, unter welchen ihn an den bestimmten Tagen Mittheilungen erreichen können. Er reist z. B. von Leipzig nach Nürnberg, Augsburg, München, Salzburg, Wien, Prag, Dresden und zurück; er gedenkt an jedem Orte fünf Tage zu bleiben und weiß im voraus, in welchen Hôtels er absteigen wird. Am zehnten Tage will man ihm von Leipzig etwas Wichtiges melden, weiß aber nicht genau, ob er nicht schon von Augsburg nach München gereist ist. Man adressirt dann die Depesche wie folgt: „Herrn N. N., Drei Mohren, Augsburg, nachzusenden München, Vier Jahreszeiten.“ Nun wird in Augsburg versucht, ihm die Depesche zu behändigen; ist er schon nach München weitergereist, so besorgt die Telegraphenstation Augsburg die Abtelegraphirung der Depesche nach München, wo sie ihn im Hôtel „Zu den Vier Jahreszeiten“ erreicht und ihm gegen Zahlung der Depeschengebühr Augsburg–München ausgeliefert wird.

Vermuthet man in einer empfangenen Depesche eine Verstümmelung, so steht es Einem frei, eine Wiederholung entweder der ganze Depesche oder der betreffenden Stelle zu verlangen. Sei die Depesche z. B. von Hamburg nach Dresden gekommen und heiße es darin: „Herr N. heute gestorben, wird morgen begraben,“ so wird man sich mit Recht über diese Schnelligkeit wundern und auf die Vermuthung kommen, die Depesche sei Einem fehlerhaft übermittelt worden. Um hierüber Gewißheit zu erlangen, hinterlegt man in Dresden die Gebühr für eine bezahlte Antwort nach Hamburg gleich einem Thaler, und die Station Dresden ersucht nun die Station Hamburg um Wiederholung der Worte „wird“ bis „begraben“. Stellt sich dann heraus, daß es vielleicht heißen muß: „wird Montag begraben“, daß also die Depesche durch Schuld der Telegraphenverwaltung verstümmelt worden ist, so wird Einem der Betrag von einem Thaler sofort zurückerstattet. Andernfalls geht er Einem verloren. Derartige Reclamationen müssen aber stets innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden nach Empfang der Depesche erhoben werden.

Dies wäre so ungefähr das Wichtigste, was dem depeschirenden Publicum zu wissen nöthig ist; ein specielleres Eingehen auf alle möglichen Fälle dürfte leicht zu weit führen. Daß der Inhalt der Depeschen nicht gegen die Gesetze des Staats und der Sittlichkeit verstoßen darf, versteht sich wohl von selbst. Es ist ferner überflüssig, dem Annahmebeamten Fragen zu stellen, wie zum Beispiel: Wann kommt die Depesche dort an? Wann werde ich Antwort haben? Der Beamte kann ja nicht wissen, welche Hindernisse sich einer sofortigen Zustellung der Depesche an den Adressaten oder dem Abgange von dessen Antwort entgegenstellen. Freilich will dies manchmal blaustrumpfigen jungen Damen nicht in den Kopf. Kürzlich wurde mir auf meine Aeußerung, ich könne nicht bestimmen, wann die Depesche ankommen werde, eingeworfen: „Das wissen Sie nicht? Weiß man es doch von jedem Eisenbahnzug. Das ist ja scandalös; ich werde es meinem Vater erzählen, damit er es einmal in seiner Zeitung bespricht.“ Solcher Naivetät ist natürlich nur mit ausdrucksvollem Lächeln beizukommen. – Auch darf man dem Beamten nicht zumuthen, wie mir dies gleichfalls geschah, über die Lage aller mögliche Hôtels in London oder Paris Auskunft zu ertheilen, oder Adreßbücher dieser Städte zur Hand zu haben: Die Telegraphie bringt eben nicht so viel ein, daß man derlei hôtelologische Studien an Ort und Stelle machen könnte.

Lassen wir es denn hiermit genug sein! Etwa noch auftauchende Zweifel wird jeder Telegraphenbeamte gern bereit sein zu beseitigen.

Reinhold Billig.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_420.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)