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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Ich kann Herrn Reinhold im ganzen Hause nicht finden, und da will ich den Strauß doch lieber gleich hier abgeben.“

Ella sah erstaunt auf das prachtvolle Rosenbouquet nieder, das, mit ebenso viel Kunst wie Geschmack zusammengefügt, eine Auswahl der herrlichsten Blüthen zeigte.

„Von wem kommen die Blumen?“ fragte sie.

„Vom Blumenhändler,“ berichtete Jonas. „Herr Reinhold hat sie bestellt, und ich habe sie abgeholt; da ich ihn aber nirgends finde –“

„Es ist gut. Du kannst gehen,“ fiel ihm Hugo in’s Wort, während er rasch zu seiner Schwägerin trat und die Hand, wie beschwichtigend, auf ihren Arm legte. Ein befehlender Wink gab der Weisung noch mehr Nachdruck, und Jonas trollte ab, konnte aber doch nicht umhin, sich darüber zu wundern, daß die junge Frau Almbach die Artigkeit ihres Mannes in so seltsamer Weise aufnahm. Sie war ja auf einmal zusammengezuckt, als habe sie ein Stich in das Herz getroffen, und kreideweiß war sie dabei geworden. Aber der Herr Capitain hatte mit gerunzelter Stirn und einem Ausdruck im Gesicht dabei gestanden, als möchte er die theuren Blumen am liebsten zum Fenster hinauswerfen. Jonas besaß zum Glück allzu viel Phlegma, als daß er sich um die Verhältnisse im Almbach’schen Hause viel hätte kümmern sollen; bei seiner feindseligen Stellung zu dem Dienstpersonal erfuhr er auch wenig genug davon; so ließ er es denn bei einer mäßigen Verwunderung bewenden und kümmerte sich in der Ueberzeugung, seinen Auftrag gewissenhaft erfüllt zu haben, nicht weiter um den Auftraggeber.

Drinnen im Zimmer herrschte einige Secunden lang tiefes Schweigen. Ella hielt das Bouquet noch krampfhaft fest in der Hand; aber das sonst so stille, leblose Antlitz der jungen Frau mit dem leeren, beinahe stumpfen Ausdrucke war seltsam verändert. Jetzt war jeder Zug desselben gespannt, wie im peinigenden Schmerze, und die Augen hafteten starr und unverwandt auf der bunten Blüthenpracht, auch jetzt noch, als sie sich zu ihrem Schwager wandte.

„Reinhold gab den Auftrag?“ fragte sie, wie nach Athem ringend. „Dann kamen die Blumen wohl nur durch – Irrthum in meine Hände?“

„Nicht doch,“ sagte Hugo mit einem vergeblichen Versuch, sie zu beruhigen. „Reinhold hat den Strauß bestellt, nun ja! Jedenfalls doch für Sie?“

„Für mich?“ Es klang ein ergreifendes Weh aus dem Tone. „Ich habe noch niemals eine Blume von ihm erhalten. Für mich sind diese hier sicher nicht bestimmt.“

Hugo sah, daß er nicht auf halbem Wege stehen bleiben dürfe – der Zufall hatte entschieden; jetzt galt es, dem Winke des Schicksals zu gehorchen. „Sie haben Recht, Ella,“ versetzte er entschlossen, „und es wäre nutzlos und gefährlich, Sie noch länger darüber zu täuschen. Reinhold hat mir nicht gesagt, wem das Bouquet bestimmt ist; ich weiß aber, daß es noch heute Abend in den Händen der Signora Biancona sein wird.“

Ella zuckte zusammen, und der Blumenstrauß fiel zu Boden. „Signora Biancona?“ wiederholte sie tonlos.

„Die Sängerin, die sein erstes Lied vor dem Publicum sang,“ fuhr der Capitain mit Nachdruck fort, „der auch seine neue Composition gilt. Dieselbe, zu der er täglich geht, die bereits sein ganzes Denken und Empfinden einnimmt. Sie wußten bisher noch nichts davon – ich sehe es an Ihrem Gesichte; aber Sie müssen es jetzt erfahren, ehe es zu spät ist.“

Die junge Frau gab keine Antwort; ihr Antlitz war so farblos, wie die weißen Blüthen, die den Rand des Bouquets umgaben; stumm bückte sie sich danach, hob es vom Boden auf und legte es auf den Tisch nieder; aber kein Laut, keine Entgegnung kam von ihren Lippen. Hugo wartete vergeblich darauf.

„Glauben Sie, daß ich Freude habe an der Grausamkeit, Ihnen zu enthüllen, was man sonst jeder Frau verbirgt?“ fragte er mit unterdrückter Bewegung. „Glauben Sie, daß ich nicht mit irgend einer Erfindung die Ungeschicklichkeit des Burschen wieder gut machen und mich selbst für den Spender der unglückseligen Blumen ausgeben könnte? Wenn ich das nicht thue, wenn ich Ihnen die ganze Wahrheit schonungslos aufdecke, so geschieht es, weil die Gefahr auf’s Aeußerste gestiegen ist, weil nur Sie allein noch retten können – und dazu müssen Sie klar sehen. Signora Biancona steht im Begriffe nach ihrer Heimath abzureisen, und Reinhold erklärte mir vorhin, daß er seine Studien in Italien fortsetzen wolle und müsse. Begreifen Sie den Zusammenhang?“

Ella fuhr auf. Jetzt zum ersten Male brach eine verzweiflungsvolle Angst mitten durch die starre Ruhe ihres Wesens.

„Nein, nein!“ rief sie wie außer sich. „Das kann er nicht. Das darf er nicht. Wir sind ja vermählt.“

„Er darf nicht?“ wiederholte Hugo. „Sie kennen die Männer schlecht, Ella, und Ihren eigenen Mann am wenigsten. Trauen Sie nicht zu sehr auf das Recht, das die Kirche Ihnen gab; auch diese Macht hat ihre Grenze, und ich fürchte, Reinhold steht bereits jenseits derselben. Sie freilich haben keine Ahnung von jener glühenden, dämonischen Leidenschaft, die einen Mann willenlos in Fesseln legt, ihn so mit ihrem Banne umstrickt, daß er um ihretwillen Alles vergißt und Alles opfert. Signora Biancona ist eine von jenen dämonischen Naturen, die solche Leidenschaften einflößen können, und hier steht sie im Bunde mit Allem, was Reinhold’s eigentliches Leben ausmacht, mit der Musik, der Kunst, dem Ideale. Da schützt keine Kirche und kein Trauschein mehr, wenn sich die Frau nicht selbst zu schützen weiß. Sie sind sein Weib, die Mutter seines Kindes. Vielleicht hört er Ihre Stimme noch, wo er sonst nichts mehr hört.“

Die schweren Athemzüge der jungen Frau zeigten, wie schwer sie litt, und ein paar Thränen, die ersten, rollten langsam aus ihren Augen, als sie kaum hörbar erwiderte: „Ich werde es versuchen.“

Hugo trat dicht an ihre Seite. „Ich weiß, daß ich heute einen Zündstoff in die Familie geworfen habe, dem vielleicht der letzte Rest von Frieden zum Opfer fällt,“ sagte er ernst. „Hunderte von Frauen würden jetzt verzweiflungsvoll zu ihren Eltern stürzen, um mit ihnen, oder allein, den Gatten zur Rede zu stellen und eine Scene herbeiführen, die das letzte Band zerreißen und ihn unwiderruflich aus dem Hause treiben würde. Sie werden das nicht thun, Ella; ich weiß es, deshalb habe ich bei Ihnen gewagt, was ich so leicht bei keiner andern Frau gethan hätte. Was Sie Reinhold sagen, wie Sie ihn halten wollen, das steht ja bei Ihnen, aber lassen Sie ihn jetzt nicht von Ihrer Seite, lassen Sie ihn nicht nach Italien!“

Er schwieg und schien eine Antwort zu erwarten – vergebens! Ella saß da, das Gesicht ist beiden Händen verborgen, sie regte sich kaum, als er ihr Lebewohl sagte. Der junge Capitain sah, daß sie den Schlag allein verwinden mußte, und so ging er denn. –

Als Reinhold eine halbe Stunde später aus dem Comptoir zurückkam, lag das Rosenbouquet ist seinem eigenen Zimmer auf dem Schreibtische, und er nahm es an sich, in der festen Meinung, Jonas habe es dorthin gelegt. Inzwischen saß Ella im Schlafzimmer ihres Kindes und wartete, nicht auf ein Lebewohl ihres Mannes – an dergleichen Zärtlichkeiten war sie in ihrer Ehe nicht gewöhnt – aber sie wußte, daß er nie das Haus verließ, ohne erst noch nach seinem Knaben zu sehen. Die junge Frau fühlte nur zu gut, daß sie selbst ihrem Gatten nichts war, daß ihre ganze Bedeutung für ihn einzig in dem Kinde wurzelte; sie fühlte, daß die Liebe zu seinem Kinde der einzige Punkt war, auf dem sie seinem Herzen näher treten konnte, und deshalb erwartete sie ihn gerade hier zu der so unendlich schweren und qualvollen Unterredung; er mußte ja kommen. Aber sie sollte heute vergebens warten. Reinhold kam nicht. Zum ersten Male vergaß er auch den Abschiedskuß auf die Stirn seines Kindes, vergaß er das letzte und einzige Band, das ihn noch an die Heimath fesselte. In seiner Seele war jetzt nur noch Raum für einen Gedanken, und der hieß: Beatrice Biancona.




Die Oper war zu Ende. Aus dem Theatergebäude fluthete ein Menschenstrom hervor, der sich nach verschiedenen Richtungen hin vertheilte, und von allen Seiten rollten die Wagen herbei, um die ihnen bestimmten Insassen aufzunehmen. Das Haus war heute bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen; denn die italienische Operngesellschaft hatte ihre Abschiedsvorstellung gegeben, und ganz H. hatte sich bemüht, den Sängern und vor Allem der schönen Primadonna zu zeigen, wie sehr es von ihren Leistungen entzückt war und wie ungern es sie verlor, jetzt, wo die Zeit des Scheidens kam. Die Treppen und Corridore waren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_429.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)