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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

noch dicht gefüllt; unten im Vestibül drängte sich Kopf an Kopf, und an den Ausgängen wuchs das Menschengewühl zu einer unbequemen und fast bedrohlichen Höhe an.

„Es ist ganz unmöglich, hier durchzukommen,“ sagte Doctor Welding, der in Begleitung eines andern Herrn soeben die Treppe herabkam. „Man geräth ja in Lebensgefahr bei dem Gedränge da unten. Lassen Sie uns lieber noch einige Minuten warten, bis die Menge sich etwas verlaufen hat!“

Der Begleiter stimmte bei, und die Beiden traten seitwärts in eine der tiefen und dunkeln Nischen des Corridors, wo bereits vor ihnen eine Dame Schutz gesucht hatte. Sie war einfach, aber doch nach Art der besseren Stände gekleidet, hatte den Schleier dicht über das Gesicht gezogen und schien das Menschengewühl sehr zu scheuen, auch wohl ganz unbekannt im Theatergebäude zu sein, denn sie drückte sich mit sichtbarer Aengstlichkeit fest an die Wand, als die beiden Herren herantraten, die, ohne sie weiter zu beachten, ihr vorhin unterbrochenes Gespräch wieder aufnahmen.

„Ich habe es gleich anfangs prophezeit, dieser Almbach nimmt einen großartigen Aufschwung,“ sagte Welding. „Seine zweite Composition übertrifft die erste in jeder Hinsicht, und schon die erste war bedeutend genug für einen Anfänger. Ich dächte, mit der Aufnahme könnte er auch diesmal zufrieden sein; sie war womöglich noch enthusiastischer. Freilich, es hat nicht Jeder das Glück, eine Biancona für seine Töne zu finden und sie so dafür zu begeistern, daß sie ihre höchste Kraft dafür einsetzt. Es war jedenfalls ihre Idee, diese neueste Composition Almbach’s als Einlage im letzten Act der Oper zu singen, noch dazu heute, bei ihrem Scheiden, wo der Beifallssturm selbstverständlich war; sie sicherte ihm damit von vornherein den Erfolg.“

„Nun, ich glaube, an Dankbarkeit läßt er es auch nicht fehlen,“ spöttelte der andere Herr. „Man spricht so allerlei. So viel steht fest, der ganze Verehrerkreis ist außer sich über diesen Eindringling, der, kaum aufgetaucht, schon auf dem besten Wege ist Alleinherrscher zu werden. Die Sache scheint übrigens ziemlich ernst und hochromantisch angelegt zu sein, und ich bin wirklich gespannt, was schließlich daraus wird, wenn die Biancona abreist.“

Der Doctor knöpfte ruhig seinen Paletot zu. „Das ist unschwer zu errathen. Eine Entführung in bester Form.“

„Sie glauben, daß er sie entführt?“ fragte der Andere ungläubig.

„Er sie? Das würde wohl keinen Zweck haben. Die Biancona ist ja vollkommen frei ist ihren Entschlüssen, wie in der Wahl ihres Aufenthaltsortes. Aber sie ihn. Das könnte eher der Fall sein; die Fessel ist auf seiner Seite.“

„Freilich, er ist ja verheirathet,“ stimmte der Begleiter bei. „Die arme Frau! Kennen Sie sie persönlich?“

„Nein,“ sagte Welding gleichgültig, „aber nach der Schilderung des Consuls Erlau kann ich mir ein ziemlich treffendes Bild von ihr entwerfen. Beschränkt, passiv, unbedeutend im höchsten Grade, dazu gänzlich untergegangen in Küche und Hauswirthschaft – ganz die Frau danach, einen genialen Feuerkopf wie diesen Almbach zu irgend einem Verzweiflungsschritte zu treiben, und da es eine Biancona ist, die ihr gegenübersteht, so wird dieser Schritt wohl nicht allzulange auf sich warten lassen. Für Almbach selbst wäre es vielleicht ein Glück, wenn er gewaltsam den beengenden Umgebungen entrissen und auf die Bahn des Lebens geworfen würde, aber freilich das bischen Familienfrieden würde dabei rettungslos zu Grunde gehen. Das gewöhnliche Schicksal solcher Künstlerehen, in denen sich die Frau auch nicht entfernt zu der Bedeutung des Mannes erheben kann!“

Er wandte sich bei den letzten Worten etwas verwundert um; die Dame hinter ihnen hatte unwillkürlich eine heftige Bewegung gemacht, aber gerade in dem Momente, wo der Doctor sie schärfer in’s Auge fassen wollte, öffnete sich eine Seitenthür, und Reinhold Almbach erschien, in Begleitung Hugo’s, des Capellmeisters und noch einiger Herren.

Hier freilich war Reinhold ein Anderer als zu Hause im Kreise der Seinigen. Die Düsterheit, welche dort immer und immer auf seinen Zügen ruhte, die Verschlossenheit, die ihn so oft ganz unzugänglich machte, waren wie mit einem Schlage abgeworfen; er strahlte von Aufregung, Glück und Triumph. Seine Stirn hob sich frei und stolz; aus seinen dunklen Augen blitzte das vollste Siegesbewußtsein, und sein ganzes Wesen athmete leidenschaftliche Genugtuung, als er sich zu seinen Begleitern wandte.

„Ich danke Ihnen, meine Herren. Sie sind sehr freundlich, aber Sie werden mich entschuldigen, wenn ich mich heute Abend der schmeichelhaftesten Anerkennung entziehe. Signora wünscht meine Begleitung bei der Festlichkeit, die zum Abschiede noch einmal die Mitglieder der Oper vereinigt. Sie werden begreifen, daß ich diesem Befehle vor allem nachkommen muß.“

Die Herren schienen das durchaus zu begreifen und nebenbei sehr zu bedauern, daß sie sich nicht einem ähnlichen Befehle zu fügen hatten, als Doctor Welding in ihren Kreis trat.

„Ich gratulire,“ sagte er, dem jungen Componisten die Hand reichend. „Das war ein großer und mehr noch, es war ein verdienter Erfolg.“

Reinhold lächelte. Das Lob aus dem Munde des sonst so anspruchsvollen Kritikers ließ ihn keineswegs gleichgültig

„Sie sehen, Herr Doctor, ich habe doch schließlich noch vor Ihrem Richterstuhle zu erscheinen,“ entgegnete er verbindlich. „Consul Erlau war leider im Irrthume, als er mich vor der Gefahr ein für alle Mal gesichert wähnte.“

„Man soll Niemand vor seinem Ende glücklich preisen,“ bemerkte der Doctor lakonisch. „Warum stürzen Sie sich so kopfüber in die Gefahr und wenden dem edlen Kaufmannsstande den Rücken? Ist es wahr, daß wir mit Signora Biancona auch Sie verlieren werden? Sie wollen gleichfalls Ihren Flug nach dem Süden richten?“

„Nach Italien, ja!“ sagte Reinhold mit vollster Bestimmtheit. „Es war schon längst mein Plan. Der heutige Abend hat ihn zum Entschluß gereift, aber jetzt – verzeihen Sie, meine Herren, ich kann Signora unmöglich warten lassen.“

Er grüßte und ging, von seinem Bruder begleitet. Der sonst nicht gerade schweigsame Capitain hatte während des Gesprächs eine auffallende Zurückhaltung beobachtet. Er war leise aufgezuckt, als beim Herantreten Welding’s die Nische frei wurde, in der die dunkle Frauengestalt sich tief in den Schatten der Wand geschmiegt hatte, als wollte sie um keinen Preis gesehen werden; es sah sie auch Niemand weiter, wenigstens nahm Niemand Notiz von ihr; sie konnte ihren Zufluchtsort nicht verlassen, ohne den ganzen Kreis zu passiren, der auch nach der Entfernung der Brüder noch seinen Platz behauptete. Die Herren kannten sich sämmtlich, und sie benutzten dieses Zusammentreffen, um ihre Ansichten über den jungen Componisten, Signora Biancona und das muthmaßliche Verhältniß der Beiden zu einander auszutauschen. Das letztere besonders mußte sich eine ziemlich schonungslose Kritik gefallen lassen. Die spöttischen, witzigen und boshaften Bemerkungen fielen hageldicht, und es dauerte eine geraume Zeit, bis der Kreis sich endlich auflöste.

Jetzt, wo der Corridor völlig leer war, richtete sich auch die Dame in der Nische empor und schickte sich an, zu gehen, aber sie wankte schon nach den ersten Schritten und griff, wie zusammenbrechend, nach dem Geländer der Treppe, als ein kräftiger Arm sie stützte und aufrecht erhielt.




(Fortsetzung folgt.


Die Kaninchen-Zucht in Deutschland.


Von Prof. Dr. Friedrich Anton Zürn.


Von höchstem volkswirthschaftlichen Interesse ist für uns die an sehr vielen Orten unseres Vaterlandes gegenwärtig angeregte Frage über den Werth einer richtig und in großem Maßstabe betriebenen deutschen Kaninchenzucht.

Hier bringen unsere Zeitungen Aufforderungen, die Zucht von Kaninchen zu fördern, damit namentlich für die Armen ein billiges Fleisch gewonnen werde; dort findet man Anzeigen und Anpreisungen über den Verkauf von Zuchtkaninchen und das Lucrative der Kaninchenzucht; Broschüren sind geschrieben worden, welche vielversprechende und verlockende Titel, z. B. „Ein Californien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_430.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)