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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

vielleicht Dessoir, sonst Keiner, gleichgekommen und in der persönlichen Begabung am allerwenigsten.

Charlotte von Hagn fesselte durch ihre Schönheit nicht minder wie durch die ungemeine Feinheit ihrer Zeichnungen und die meisterhafte Sicherheit und Beherrschung des Stoffes, mit welcher sie in und über ihren Rollen stand. Den ganzen Nüancenreichthum ihrer Virtuosität brachte sie im Lustspiele zur Anschauung, in welcher Gattung sie namentlich als „Vicomte von Letorières“, als „Christoph“ in „Christoph und Renate“ bei ihrem Gastspiel brillirte. Auch die „Margarethe“ im „Faust“ spielte sie ebenfalls mit großem Beifall, aber nicht mit allseitiger, gleichmäßiger Zustimmung, weil man statt der Unmittelbarkeit der Empfindung, der ungekünstelten Natürlichkeit zu viel Berechnung in der Naivetät und in den tragischen Formen nicht genug Gewalt der Leidenschaft gefunden haben wollte. Wie die Schröder-Devrient, so gehörte übrigens auch die Hagn zu jenen Bühnenerscheinungen, welche sich, einmal gesehen, in dem mächtigen Eindrucke auf den Zuschauer für dessen Lebenszeit zu behaupten wußten. Die Natur hatte sie wunderbar ausgestattet und die Kunst ihr alle Attribute der Majestät verliehen.




Vom Meister Kaulbach.


München hat im Laufe der letzten Jahre von der großen Reihe glänzender Namen, die es mit Stolz als seine Bürger aufweisen konnte, die weithin leuchtendsten verloren. Rasch nach einander sind Pfeufer, Schwind, Liebig, Lindwurm und Kaulbach dahingegangen und mit ihnen ein Stück Münchener Glanzzeit, wie es so bald nicht wieder erstehen wird. Vor zehn Jahren noch gaben ihre allbekannten und einflußreichen Persönlichkeiten dem öffentlichen und geselligen Leben der Stadt das Gepräge, nun sind sie todt, aber nicht ersetzt und die Lücken bleiben für Jeden fühlbar, welcher die schöneren Zeiten noch gekannt hat. Die Erinnerung aber an die unvergeßlichen Gestalten knüpft sich an die Stätte ihrer Wirksamkeit und drängt plötzlich, auch wenn der gleichgültigste Geschäftsgang daran vorüberführt, die Tagesgedanken zurück. So ging es mir nach Kaulbach’s Tode beim erstmaligen Anblicke des altersgrauen Akademiegebäudes in der Neuhausergasse. Es zog mich in den öden Hof, dessen Westseite von einer hohen, fensterlosen gelben Wand begrenzt wird. In der Ecke rechts befindet sich eine sehr primitive Thür – Tausenden von Münchenreisenden wird sie erinnerlich sein – es steht darauf von Kaulbach’s Hand geschrieben: „Zu sprechen von neun bis zehn Uhr.“ Ich ließ mir die jetzt fest verschlossene Thür öffnen und betrat mit dem wehmüthigen Ernste, welcher Jeden vor der jüngst verlassenen Umgebung eines großen Todten überkommt, den hohen Raum, dessen Schwelle ich sonst so oft erwartungsvoll überschritten hatte.

Jetzt herrschte die tiefste Stille und Einsamkeit darin; im Gegensatze zu dem grellen Sonnenlichte der Straße wirkte der altersschwarze Saal um so mächtiger. Aus seinem Hintergrunde ragte die Kolossalfigur des Rossebändigers vom Monte Cavallo über alle davor gestellten Bilder und Cartons imposant auf. Alles stand und lag noch, wie an dem Abende, da Kaulbach guten Muthes und ahnungslos die Thür zum letzten Male hinter sich abschloß, nur eine leichte Staubschicht deckte den großen runden, höchst einfachen Tisch, auf dem ein buntes Durcheinander von großen und kleinen Firnißflaschen und Gläsern, Farbensäckchen, Pinseln und Paletten wie ehemals sich ausbreitete. Da lagen noch einige Geschichtswerke, mit deren Studium Kaulbach seine Erholungsstunden auszufüllen pflegte; da stand noch die angebrochene Flasche Rothwein neben dem Cigarrenkistchen. Ein Glas dieses Weines und ein Stückchen Brod dazu war Alles, was der äußerst mäßige Mann als zweites Frühstück zwischen neun Uhr Morgens und fünf Uhr Abends genoß; er bedurfte keiner äußeren Reizmittel für seine Phantasie, die stets bereit war, in verschwenderischer Fülle zu gestalten. Nun liegt er tief und still, aber der beste Theil seines Wesens redet laut aus all den lebensfreudigen Compositionen, die sich hier neben und über einander aufthürmen – eine Welt von Geist und Gedanken.

Da stehen dicht beisammen die Zeichnungen zu den großen Berliner Treppenhausgemälden, vor Allem das figurenreiche, prächtige Reformationsbild. Darüber, zu den Füßen des Kolosses, lehnt der große Nerocarton, überragt von zwei Portraits, die zu Kaulbach’s besten gehören: das der reizenden Prinzessin von Sayn-Wittgenstein, im blauen Atlasgewande und duftigen Schleier, welches später unverändert als Leonore von Este unter Goethe’s Frauengestalten Platz fand, und daneben, düster aus ungewisser Beleuchtung auftauchend, das blasse Profil Franz Liszt’s, geistreich, melancholisch und interessant, mit dem unzufrieden fragenden Blicke nach oben, den sich der nunmehrige römische Abbé vielleicht mittlerweile abgewöhnt hat. Wohin das Auge blickt, ein solcher Reichthum von Gemälden und Entwürfen, daß zum flüchtigen Ueberblicke Stunden erforderlich wären.

Sonst blieb wohl der zum ersten Male hier Eintretende unter dem Eindrucke dieses von allen Seiten auf ihn eindringenden Gestaltenreichthums einige Augenblicke stehen, um sich zu orientiren, und übersah vielleicht gänzlich, wie mittlerweile hinter einer der aufgespannten Leinwandflächen eine ziemlich unscheinbare Figur im einfachsten Röckchen, die schwarze Schirmmütze auf den schlichten langen Haaren, hervorgetreten war und einen scharfen Blick nach ihm herüberwarf. Aber sobald er diesen feingezeichneten, geistreichen Kopf mit den durchdringenden Augen näher ansah, wußte er, vor wem er stand, und auf seine eigene Bedeutung kam es an, wie der fernere Empfang ausfiel. Die gute Hälfte der von Lohndienern tagtäglich in dem Atelier präsentirten Kaulbachbesucher wird nur von einem höflich-ironischen „Morgen!“ nebst sehr kurzem Griffe an die obenerwähnte Schirmmütze zu berichten wissen. Dann wandte ihnen der Meister gemüthsruhig den Rücken und setzte die angefangene Arbeit oder Unterhaltung fort. Es konnte sogar noch schlimmer kommen, wenn allenfalls eine Schaar transatlantischer Reisender in bekannter Unverschämtheit mit schlechtem Französisch auf ihn eindrang. Der Ton, mit welchem er dann rief: „Wir sind hier in Deutschland und sprechen deutsch!“ war schneidend genug, um sofort verstanden zu werden und einen verdutzten Rückzug zu veranlassen.

Jeder berühmte Künstler leidet unter diesen immer wiederkehrenden Invasionen der ödesten Neugier, und Schwind z. B., dessen dicht an der großen Aufgangstreppe gelegene Thür so recht dem ersten Anprall ausgesetzt war, schloß meistens unerbittlich ab und blieb allen draußen erschallenden Rufen und Bitten taub. Oder er erfand einen sinnreichen Ausweg, sich die bereits Eingedrungenen vom Halse zu schaffen, wie einmal drei langen „schreckbar garstigen“ Engländerinnen gegenüber, die plötzlich vor ihm standen und einen Namen nannten, der wie Shorn (Schorn) klang. Der nahen Erlösung froh, sagte Schwind ganz freundlich: „Il est mort!“ Da deutete die Eine mit dem Finger in’s rothe Buch und er las: Schwind. „Il est mort depuis longtemps!“ schrie er nun entsetzt auf und die Drei wandten auf dem Flecke um, ohne auch nur einen Blick auf die gerade dastehenden „sieben Raben“ zu werfen.

Schwind indessen sowohl wie Kaulbach konnten einer sympathischen Menschenseele gegenüber rasch warm werden, und der Letztere besonders wußte dann so herzgewinnend einfach und liebenswürdig mit dem Besucher zu plaudern, daß diesem bald alle Befangenheit verflog, ja sogar Mancher der Versuchung unterlag, das vertrauliche „lieber Freund“ etwas allzu buchstäblich zu nehmen. Denn Kaulbach, der Zeichner des Reinecke Fuchs, der große Spötter der Pinakothek-Fresken, war allerdings nicht so harmlos, wie er sich zu Zeiten geben konnte, und sah mit scharfen Augen die kleinen und großen menschlichen Schwächen unter jeder Hülle durch. Je nachdem eine persönliche Erregung dazu kam, griff er auch wohl zum Stift und zeichnete in schonungsloser Satire die Opfer seiner Entrüstung auf das nächste fliegende Blatt, was dann nicht immer in der Mappe verwahrt blieb, sondern gelegentlich einmal dem davon Betroffenen als unerfreuliche Ueberraschung vor die Augen kam und manche Feindschaft verursachte. Begreiflicher Weise. Nur hätten die Betheiligten manchmal bedenken sollen, daß übrigens Kaulbach selbst ein gegen ihn gerichtetes Witzwort mit der größten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_437.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)