Seite:Die Gartenlaube (1874) 438.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Seelenheiterkeit hinnahm. Man hat ihm oft vorgeworfen, daß seine aus schöpferischer Phantasie quellenden und größtentheils ohne Modell entworfenen Figuren und namentlich deren Köpfe eine stets wiederkehrende Familienähnlichkeit zeigen. Besonders gilt dies von den Frauengesichtern, die man, von wenigen portraitartigen Ausnahmen abgesehen, geradezu in die zwei stereotypen „runden“ und „langen“ Köpfe eintheilen kann. Kaulbach war darüber durchaus nicht im Unklaren und pflegte selbst lachend ein Urtheil seines Freundes Clemens Brentano anzuführen, der nach langer schweigender Betrachtung einer figurenreichen Composition endlich auf zwei im Vordergrunde befindliche Frauenköpfe deutete und lakonisch dazu sprach: „Ulmer Façon, Butzbacher Façon!“*[1]

Mit der rücksichtslosen Schroffheit gegen alles von ihm für verächtlich Erkannte paarte sich aber in Kaulbach’s Seele eine großartige Begeisterung für die hohen Ziele der Menschheit, für jede hervorragende Leistung in Wissenschaft und Kunst. Er dünkte sich nicht zu hoch, um fortwährend zu lernen und sich in lebendigster Berührung mit den nachrückenden Generationen zu erhalten. Ich erinnere mich lebhaft des Morgens, als er bei meinem Eintritt in’s Atelier mit ausgestreckter Hand auf ein von ihm angekauftes Makart’sches Erstlingswerk, die „modernen Amoretten“, hindeutete und dazu rief: „Dort sehen Sie hin! Da werden Sie merken, wem die Zukunft angehört. Das können wir nicht, davor müssen wir alten Herren einpacken. Kann der Mensch malen!“ Und so ging es in einem Strome von Ausrufen fort. Oder ein anderes Mal, als er einem Fremden, der in wortreicher Bewunderung kein Ende finden konnte, mit seinem feinen Lächeln auf die Achsel klopfte und sagte: „Wenn Sie wissen wollen, wie ein schönes Bild aussieht, so gehen Sie hinüber zu Schwind und sehen sich seine ‚Hochzeitsreise‘ an!“ Bedenkt man dabei, daß er mit Schwind persönlich durchaus nicht immer zum Besten stand, so wird man diese neidlose Bewunderung um so höher stellen müssen. Bekannt ist ja auch, daß er seinen alten Meister Cornelius, trotz scharfer persönlicher Differenzen und des endlich erfolgten Bruchs, dennoch unwandelbar als Künstler verehrte und hochhielt.

Solche Züge soll man sich vergegenwärtigen, ehe man von Kaulbach als dem kühlen Egoisten spricht, dem niemals, auch in seiner Kunst, etwas Ernst gewesen. Wer keine Augen für den hohen Enthusiasmus hat, aus welchem diese weltgeschichtlichen Bilder geboren sind, der braucht nur einen Blick nach der finstern Längenwand des Saales zu richten, um dort in großen Zügen eine That der uneigennützigsten Entrüstung, einen lodernden Protest gegen Aberglauben und Heuchelei vor sich zu sehen. Es ist der später so viel verbreitete „Peter von Arbues“, wie ihn Kaulbach im ersten Zorne über die neuerfolgte Canonisation auf die räucherige Mauer hinwarf. Das wutherfüllte Pfaffengesicht grinst noch viel dämonischer hier von dem rauhen geschwärzten Hintergrunde als in den weichen Tönen der Carton-Wiederholung.

„Ich weiß, daß ich mit diesem Bilde in ein Wespennest steche,“ sagte Kaulbach damals seinen Freunden, „aber ich kann nicht anders; eine solche Verhöhnung aller Vernunft darf man nicht stillschweigend hinnehmen.“

Er hatte wirklich hineingestochen, und es schwärmte gehörig von Schmähartikeln, persönlichen Verdächtigungen und Drohbriefen. Seine Antwort war die öffentliche Ausstellung des Bildes im Atelier. Nun kannte die ultramontane Wuth aber keine Grenzen mehr; die Verwünschungen und Drohungen fielen hageldicht, ohne ihn aus seiner kühlen Gelassenheit zu bringen. Erst als ihm wiederholt anonyme Briefe zukamen, man werde das Akademiegebäude anzünden, um auf diese Weise das verruchte Bild mit zu zerstören, schloß er seine Thür wieder ab und erklärte, die gegen seine Person gerichteten Drohungen habe er ignoriren können, nicht so die gegen das Staatseigenthum. Das Bild hat in der Welt seine Wirkung gethan, am unvergeßlichsten wird es aber Dem bleiben, der es hier in dem alten Saale gesehen hat, wo ferne Zeiten und kommende Generationen es noch als Denkmal unabhängiger Gesinnung sehen werden.

Nimmt man heutzutage den Reinecke Fuchs zur Hand und vergegenwärtigt sich, daß diese beißenden Satiren auf das absolute Königthum in der schlimmsten Reactionszeit gezeichnet und veröffentlicht worden sind, betrachtet man das Bild der Lola Montez, dem Kaulbach absichtlich den Stempel der niedrigsten Gemeinheit in Physiognomie und Haltung aufdrückte, unbekümmert um den Zorn des hohen Bestellers, der sich sammt dem des schwergereizten Originals in einer sehr drastischen Scene Luft machte, so wird man sich über die sämmtlichen schneidigen Eigenschaften eines so unbeugsamen Charakters nicht mehr verwundern. War er doch schon früh im Kampfe mit Noth und Schicksal hart gegen außen geworden und hatte sich im Anfange Schritt für Schritt seines Weges erkämpfen müssen, sogar noch in Zeiten, wo äußerlich die Bahn zu Ruhm und Ehre schon geebnet schien. Aller spätere Sonnenschein des Glücks, der ihm, wie Wenigen, zu Theil geworden, hat nicht mehr vermocht, jene erste seiner Seele eingegrabene Bitterkeit wieder auszutilgen; sie offenbarte sich gelegentlich als höhnische Ironie und richtete sich mit Vorliebe gegen eine gewisse schleichende Art von Frömmigkeit, die er von Herzen verabscheute.

Als sein Reformationsbild beinahe vollendet war, erschien unter anderen Beschauern auch ein bekannter Ultramontaner und fragte, nachdem er den Carton längere Zeit betrachtet, mit süßlicher Freundlichkeit, was denn das Bild eigentlich vorstelle?

„Lauter Ketzer,“ antwortete Kaulbach kurz und grob.

„Aber,“ fing der Andere wieder an, indem er auf die linke Vordergruppe deutete, „da steht ja Columbus – das war doch kein Ketzer.“

„Was, das war ja der Allerärgste,“ rief Kaulbach lachend, „der hat sich herausgenommen, einen Welttheil zu entdecken, von dem nichts in der Bibel steht. Denken Sie doch nur, es müßte dann ja von Rechtswegen vier heilige drei Könige gegeben haben. Nein, der Mann war ein Erzketzer.“

Kaulbach’s wirkliche Ueberzeugung von der Religion und ihrer Bestimmung kann man am besten aus der schönen Mittelgruppe jenes Bildes entnehmen, wo Melanchthon die Hände des katholischen Reichskanzlers Zasius und des protestantischen Reichsritters Eberhard von der Tann über die Urkunde des Augsburger Religionsfriedens zusammenfügt und mit der andern Hand auf die von Luther hocherhobene Bibel deutet mit dem Spruche: „Du sollst deinen Nächsten lieben, als Dich selbst.“ Kaulbach schließt sich mit diesem greifbaren Hauptgedanken seines Bildes der langen Reihe erleuchteter Geister an, die seit Lessing, wenn auch bis jetzt ohne allzu großen Erfolg, dem Menschengeschlechte Toleranz gepredigt haben.

Seine völlig gesicherte äußere Stellung erleichterte ihm allerdings die unumwundene Meinungsäußerung sehr, allein auch diese Stellung verdankte er nur sich selbst, seinem glänzenden Talente und einer Eigenschaft, die allen großen Männern gemeinsam ist, dem staunenswerthesten Fleiße. Wenn alle Anderen, auch die wirklich Thätigen, sich draußen an irgend einem schönen See wochenlang der Sommerruhe hingaben und nicht im Geringsten an’s Arbeiten dachten, so schritt Kaulbach Tag für Tag durch die heißen Straßen der Akademie zu. Nur auf diese Weise war es möglich, einen Reichthum an Schöpfungen zu entfalten, der selbst für ein langes Menschenleben, wie das seinige, fast unbegreiflich scheint. Ihm waren Arbeit und Erholung keine getrennten Begriffe; er hat seinen Reinecke an den Winterabenden, im Kreise der Familie, gezeichnet, während er den Tag über im Atelier angestrengt an der „Schlacht von Salamis“ arbeitete. So sind die verschiedenen Blätter des „Todtentanzes“ als eine Art von tragisch-satirischer Spielerei zwischen anderen, größeren Arbeiten entstanden.

Wie schön und rührend ist dies Nächste: Humboldt, gebeugt unter der Last des Kosmos, der als riesige Kugel auf seinen Schultern ruht, ist auf der langen Wanderung unvermerkt am Rande der Grube angelangt. Dort erwartet ihn der Tod und nimmt ihm mit freundlichen Geberden die Last ab. Gegenüber auf dem nächsten Bilde sitzt Marie Louise, den kleinen König von Rom auf den Knieen. Die deutschen Fürsten bilden in nichts weniger als schmeichelhafter Auffassung den Huldigungschor, während das Bübchen verlangend seine Hände nach einer aus Todtenbeinchen zierlich geflochtenen Krone ausstreckt, die der knöcherne Mann im Cardinalsornate ihm grinsend präsentirt. Auf einem andern Blatte klopft derselbe, als protestantischer Pastor angethan, in demselben Moment, wo ein aufgeblähter Papst seine Gottähnlichkeit proclamirt, sachte an die prachtvolle Palastthür, und so folgt Blatt um Blatt voll tiefsinniger Ironie.

  1. * Bekanntlich die zwei gangbarsten Sorten Pfeifenköpfe.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_438.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)