Seite:Die Gartenlaube (1874) 452.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Unrecht angesehen hat. In diesem Falle beantrage ich ebenfalls Freisprechung.“

Die Geschworenen kehrten nach wenigen Minuten zurück; ihr Spruch lautete auf „Nichtschuldig“. – –

An die Schilderung dieses Ereignisses, welches ich zu den glücklichsten meines Lebens zähle, erlaube ich mir eine Frage zu schließen, die bei der Berathung über die großen Reichsjustizgesetze vielleicht Erwägung finden wird.

Mancher hat ein Vergehen gegen das Gesetz und die Sitte durch ein langes schuldfreies Leben gesühnt; er hat vielleicht, um seine Schuld ganz der Vergessenheit zu überliefern, den Wohnsitz gewechselt, da fällt es Jemandem ein, ihn als Zeugen vorzuschlagen. – Ist es gerecht und nothwendig, daß er seine Bestrafung wieder hervorzuziehen, sich selbst bloßzustellen hat, daß ihm die ungeheure Versuchung zum Meineide so nahe gelegt wird? Und wenn es nothwendig ist, kann nicht diese seine Aussage ein Geheimniß zwischen ihm und dem Richter bleiben?

P.     




Ein unvergeßliches Schwesternpaar.

Zugleich ein Blick in den „patriarchalischen“ Staat.


Am 15. December 1793 notirte der Thorschreiber des unteren oder Römhilder Thores zu Hildburghausen unter Anderm: „Seine Herzogliche Durchlaucht Prinz Karl von Mecklenburg nebst zwei Prinzessinnen Töchtern.“ Dies waren Louise und Friederike von Mecklenburg-Strelitz, welche ihrem Glücke entgegenfuhren, indem auf den Weihnachtsabend die Feier ihrer Doppelhochzeit zu Berlin festgesetzt war. Die jugendlichen Schwestern hatten bei einer Begegnung zu Frankfurt am Main die Herzen eines fürstlichen Brüderpaares gewonnen, welches die der französischen Revolution folgenden kriegerischen Ereignisse dahin gerufen.

Louise oder Keine sonst auf Erden,“ so tönte es wider in dem Herzen des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, während sein jüngerer Bruder Ludwig sich zu Friederiken hingezogen fühlte. Nachdem König Friedrich Wilhelm der Zweite zu Darmstadt die Geschwisterpaare verlobt hatte, reisten die Bräute in Begleitung ihres Vaters nach Hildburghausen, um ihre Schwester Charlotte zu besuchen, welche mit dem dort residirenden Herzog Friedrich vermählt war.

Während Louise als Königin von Preußen zur Zeit der tiefsten Erniedrigung des Staats und zugleich der höchsten Erhebung des Volksgeistes durch ihre Größe im Unglück die gefeiertste Frau ihrer Zeit wurde, blieb Charlotte, die gleichbegabte und gleich ausgezeichnete Schwester, an die Unbedeutendheit eines kleinen Hofs gefesselt, der noch außerdem nach einer kaum, und zwar durch eine kaiserliche Debitcommission, beseitigten Ueberschuldung des Ländchens, auf eine Einnahme angewiesen war, welche heute die erste beste Primadonna verschmäht. Daher ist ihr Name neben dem ihrer königlichen Schwester in der großen Oeffentlichkeit kaum genannt worden. Dieses Unrecht des Schicksals auszugleichen, die ihrer Zeit nur in beschränkten Kreisen würdig verehrte Herzogin Charlotte vollbürtig neben ihre Schwester Louise vor das Auge der lebenden Generation zu stellen, ist der Zweck dieses Artikels.

Charlottens Gemahl, der durch übel geleitete Erziehung wenig gebildete, aber talentvolle und wohlmeinende Herzog Friedrich, begann seine Regierung damit, daß er seine Hofhaltung möglichst einzuschränken suchte. Für das geistige Wohl des Volkes sorgte die Herzogin; mit ihrem Erscheinen durchwehte ein neuer, frischer Geisteshauch die Residenz an der Werra. Ja, es erscheint als ein Glück dieser Ehe, daß die Erziehung der Herzogin ebenso trefflich, wie die des Herzogs verwahrlost gewesen war. Ihr Vater, der damalige Erbprinz und spätere Herzog und Großherzog Karl von Mecklenburg-Strelitz, der zur Zeit ihrer Geburt, den 17. November 1769, als Gouverneur und Befehlshaber der englisch-hannöverischen Truppen in Hannover residirte, hatte nach dem Tode seiner Gemahlin Friederike Caroline Louise von Hessen-Darmstadt seinen sechs Kindern, deren ältestes, Charlotte, erst dreizehn Jahre alt war, in der Schwester der Verstorbenen, Charlotte Wilhelmine Christiane, eine zweite Mutter gegeben; sie gebar ihm den Prinzen Karl, einen Helden auf dem Schlachtfelde wie auf der Bühne, auf letzterer nicht nur als Schauspieler in seiner Darstellung des Mephisto, sondern auch als Dichter des Lustspiels „die Isolirten“ von Bedeutung, welches er unter dem Namen Weißhaupt erscheinen ließ.

Ein Mann von hoher Geistesbildung, Menschenkenntniß und Welterfahrung und erfüllt von den Ideen des Philanthropismus, überwachte der Vater auf das Sorgfältigste die Erziehung seiner Kinder, welche ein Fräulein von Wolzogen leitete, eine mit hervorragenden Geistesgaben ausgestattete Dame, die namentlich den Sinn für Poesie und Musik frühzeitig zu wecken verstand und somit zuerst die Bahn vorzeichnete, die namentlich Charlotte mit großem Eifer und Erfolg beschritt. Auch die Großmutter, Wittwe des Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt, nahm sich der Enkel liebreich an und sah sie oft an ihrem Hofe.

Am ersten September 1785 zog die Sechszehnjährige, schön wie ein Maimorgen, in ihrer neuen Heimath Hildburghausen ein, geleitet von ihren Eltern und Geschwistern Therese Amalie, nachherigen Fürstin von Thurn und Taxis, Friederike, die sich nach dem frühen Tode ihres ersten Gemahls mit Friedrich von Solms-Braunfels, dann mit Ernst August von Hannover vermählte, Georg, welcher im Jahre 1860 als Großherzog von Mecklenburg-Strelitz starb, und der elfjährigen Louise.

Die Neuvermählten, die sich vorher nie gesehen hatten, faßten eine innige Zuneigung zu einander, und bald äußerte sich ein sehr wohlthuender Einfluß der jungen Frau auf ihren äußerst gutherzigen und bildsamen Gemahl, dessen Schwächen sie mit feinem Tacte zu übersehen verstand. Während sie sich nicht direct in die Regierungsangelegenheiten mischte, wußte sie doch durch Vermittelung ehrenhafter Männer, die ihr volles Vertrauen besaßen, auf den Herzog einzuwirken, wenn es das Wohl des Landes galt.

Dreizehn Kinder, von denen jedoch sechs früh starben, entsproßten der glücklichen Ehe. Aber nicht nur ihren Kindern, deren Erziehung sie selbst mit äußerster Sorgfalt leitete, auch den Bewohnern des Ländchens war Charlotte eine wahre Mutter. Noch lebende Zeugen wissen nicht genug zu rühmen, wie sie, wenn es noth that, überall, auch persönlich, helfend und fördernd sorgte, soweit es die freilich mitunter sehr knappen Geldverhältnisse erlaubten. Eine Reihe von Schul- und Wohlthätigkeitsanstalten hat Stadt und Land ihrem Einflusse und der jugendlichen Energie des von Pestalozzi unterrichteten „Educationsrathes“ Dr. L. Nonne (nachmaligen Begründers der „Dorfzeitung“) besonders zu verdanken.

Für ihre weiteren Bestrebungen fand sie in Hildburghausen einen gut vorbereiteten Boden. Bald schaarte sich ein Kreis edler, für Wissenschaft, Ton- und Dichtkunst begeisterter Männer um die liebenswürdige Fürstin, die wie ein geschickter Bühnenleiter es meisterhaft verstand, einem Jeden die passendste Rolle zuzutheilen.

So übertrug sie die poetische Inscenirung der damals sehr beliebten theatralisch-musikalischen Feste, die nicht nur im Schlosse, sondern auch in Wald und Flur, namentlich bei der malerischen Ruine Straufhain, dem einstigen Sitze hennebergischer Grafen, und in dem nahe daran gelegenen herzoglichen Landsitze Seidingstadt veranstaltet wurden, dem Dichter Johann Christian Wagner. Einer Enkelin desselben verdanken wir die Mittheilung des schönen Pastellbildes, nach welchem unser Holzschnitt gefertigt ist, der die Herzogin in ihrer Jugendblüthe darstellt. Er war ein Hofpoet im edelsten Sinne des Wortes. Jenen Festen, vorher in langweilig verzopftem Damon- und Galatheastil, wußte er größeres Interesse, geschmackvollere Form und tiefern Gehalt zu geben. Besonders liebte es die Herzogin, solche Rollen zu wählen, die ihr Gelegenheit gaben, durch launige und witzige Worte oder durch heitern Scherz die Versammlung anzuregen. So liegt uns ein nettes Gedichtchen vor, welches sie als Milchmädchen recitirte. Alte Leute gedenken noch mit Freuden, wie einst der ganze Hof in Bauerntracht am sogenannten Eichelsbrunnen lagerte, wobei die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_452.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2021)