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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Hofmusici in Gestalt einer Zigeunerbande lustig aufspielten. Da nahte gravitätischen Zuges die ganze Gemeinde des nahen Dorfes Häselrieth und begrüßte unter Vortritt des Schulzen an ihrer Flurgrenze die neuen Standesgenossen, die sich durch eine reichliche Bewirthung revanchiren mußten.

Verbunden mit Wagner durch gleiches poetisches Schaffen war der Superintendent Christian Hohnbaum, der Rodacher Patriarch, „ein lebender Mann und doch ein Gedicht“, dessen Lebensbild C. Kühner in seinem Buche „Dichter, Patriarch und Ritter“ mit Meisterhand gezeichnet. Oft zog ihn die Herzogin in ihre vertrauten Kreise und veranlaßte ihn, ihre sinnigen Feste durch seine Lieder zu verherrlichen. Frisch sprudelte in den Hofcirkeln der Quell seines Witzes, und vor seinem freimüthigen und treffenden Worte hatte nicht nur manches schnippische Kammerkätzchen und üppige Hofjunkerchen, sondern sogar der Herzog selbst großen Respect. Dieser hatte dem Superintendenten einen „Gaul“ versprochen, der aber durchaus nicht kommen wollte. Da gab es einst an der Hoftafel sogenannte „Windbeutel“.

„Echtes Hofgebackenes,“ meinte Hohnbaum.

„Wie so?“

„Verspricht viel und hält wenig.“

Der Herzog nahm sich Das zu Herzen, und heimgekehrt fand Jener ein stattliches Pferd im Stalle. – Einmal sprach der Fürst bei dem Pfarrer Kühner zu Eishausen, dem Lehrer seiner Töchter, ein, wo Hohnbaum gerade anwesend war. Bei einem Gespräche über den großen Wildstand, der dem Bauer das Feld verwüste, entfiel diesem das Wort: „Ich glaube, Durchlaucht haben Ihre Hirsche lieber als Ihre Bauern.“ Da verließ der hohe Herr ohne Gruß das Zimmer und ging zornig im Garten auf und ab, mächtige Wolken aus seiner Meerschaumpfeife blasend. Bald war aber der Zorn verraucht, und er rief dem Superintendenten zu: „Brauchen nicht gleich so grob zu sein! Aber da, da, da – hab’ grad weiter nichts zum Verschenken, da nehmen Sie Das!“ Sprach’s, nahm seine Pfeife aus dem Munde und schenkte sie dem Freimüthigen.

Auch der „letzte Ritter des Frankenlandes“, wie ihn Jean Paul nennt, Freiherr Christian Truchseß von Wetzhausen auf Bettenburg, wie mit so vielen literarisch und poetisch thätigen Zeitgenossen, so auch mit der Herzogin Charlotte in regem Ideenaustausche, war ein Hauptmitglied an der Tafelrunde der Ritter vom Geiste zu Hildburghausen. Eine Strecke in dem die Bettenburg umgebenden prächtigen Parke, wo die Nachtigallen am schönsten sangen, nannte der Freiherr mit sinniger Anspielung auf die herrliche Stimme der Herzogin „Charlottenplatz“.

Wo Patriarch und Ritter weilten, durfte der Dritte im Bunde nicht fehlen; auch des Dichters Spuren finden sich in Hildburghausen: Friedrich Rückert verfaßte hier im Jahre 1808 seine ersten Jugendgedichte; auch im Jahre 1810 verweilte er daselbst einige Monate bei einem Oheim. Konnte auch den in der Stille Schaffenden das geräuschvolle Leben am Hofe nicht anziehen, so gelang es eifrigen Bemühungen doch, seine Muse dahin zu citiren. Davon zeugen drei liebliche Gedichte; das eine verfaßte er, als Prinzessin Theresa dem Kronprinzen von Baiern die Hand reichte, die beiden andern verherrlichen die Festlichkeit, als sich Prinzessin Louise drei Jahre später mit dem Erbprinzen von Nassau vermählte. Und als im Jahre 1814 einem aus Frankreich zurückkehrenden preußischen Kürassierregimente in Hildburghausen ein feierlicher Empfang zu Theil wurde, da rief Rückert den Tapfern mit Bezug auf die von einer am Regierungsgebäude angebrachten Tribüne herabschauende Fürstin zu:

Seht ihr sie wieder?
Kennt ihr sie schon?
Eure Louise,
Die euch zur Schlacht
Vom Paradiese
Lenkte mit Macht!
Denkt ihr der Theuern?
Sehet, der Euern
Schwester ist diese;
Naht mit Bedacht!

Unter denen, welche diese Truppen begrüßten, befand sich auch der vom Feldzuge glücklich heimgekehrte älteste Sohn der Herzogin, Erbprinz Joseph. Während Rückert mit seinem zurückhaltenden, mitunter schroffen Wesen dem Hofe fern blieb, hatte dagegen ein anderer Dichter mit demselben im intimsten Verkehre gestanden, unter dessen Aegide man Hildburghausen sogar zu einem Werra-Athen zu machen gedachte, nämlich Jean Paul, der von der gesammten gefühlsseligen Frauenwelt angebetete Lieblingsdichter Charlottens. Mit offenen Armen von seinen Verehrern und Verehrerinnen empfangen, saß er hier bald „recht weich“. Hören wir, wie er in einem Briefe an seinen Freund Otto die Herzogin portraitirt: „Erstlich denke Dir, male Dir die himmlische Herzogin mit schönen, kindlichen Augen, das ganze Gesicht voll Liebe und Reiz und Jugend, mit einer Nachtigallenstimmritze und einem Mutterherzen; dann,“ fährt er fort, „denke Dir die noch schönere Schwester, die Fürstin von Solms, und ebenso gut, und die Dritte, die Fürstin van Thurn und Taxis, welche Beide mit mir an einem Tage mit den gesunden und frohen Kindern ankamen. … Diese Wesen lieben und lesen mich, und wollen nun, daß ich noch acht Tage bleibe, um die erhabene schöne vierte Schwester, die Königin von Preußen, zu sehen, Gott wird es aber verhüten.“ Dies ist jedenfalls so zu verstehen, als graue ihm, wie vor der Götter Neide, vor so einem außerordentlichen Glücke. In der überschwenglichsten Weise aber feiert er die Schwestern in der Vorrede zu dem ihnen gewidmeten „Titan“, was wir dort nachzulesen bitten.“*[1]

Wie der Dichter für die Herzogin schwärmte, sehen wir ferner aus einem anderen Briefe vom 27. October 1799, wo es heißt: „Ich wußte voraus, daß der Hof in Seidingstadt war, wo ich heute auf eine Nacht hinfuhr. Die schöne Herzogin war gerade bei meinem Einfluge hier und ließ mich sogleich auf ein paar Minuten vor dem Einsteigen kommen. Außer einer Geliebten weiß ich nichts Schöneres als diese süße Gestalt. Hätt’ ich nur Zeit und Wetter, eine Woche lang blieb ich unter ihrem Dache. In Seidingstadt logirt’ ich im Schloß – die Herzogin sang, sowie man sie besingen sollte – ich las ihr vor. Sie und der Mann nöthigten mich zum zweiten Tag und sie fuhr im regnerischen Abende mit mir in eine zwei Stunden ferne schöne Gegend.“

Der Mann, das heißt der Herzog, hatte nämlich mit ihm zuerst nicht viel Wesens gemacht, merkte aber bald, daß der Dichter auch in materiellen Dingen kein Kostverächter war; er sah mit Betrübniß, daß er sich nicht genug Spargel genommen, und pries ihm das zarte Fleisch eines Hirschkalbes an, das der leckere Gourmand aber nicht sonderlich fand. Im Eifer der Unterhaltung soll der Verehrer von Frau Rollwenzel’s trefflichem Gebäcke einst an der Hoftafel sämmtlichen Johannisbeerkuchen aufgezehrt haben, so daß nichts mehr da war, als er weiter gereicht werden sollte. Ueberhaupt wirkt der Gegensatz von sphärenhafter Ausdrucksweise, gefühlsseliger Schwärmerei und materieller Gesinnung in Jean Paul höchst komisch. Wir sind nämlich so indiscret, aus seinen Briefen zu verrathen, wie er unmuthig darüber war, daß, was er sich durch den Hof an Gasthofessen und Trinken erspare, der Bader wieder forttrage, da er sich den „verdammten Kinn-Igel“ öfter scheeren lassen müsse.

Schließlich machte ihn sein Wohlgefallen an einem guten Tropfen Hildburghäuser und Ilmenauer Bier bei Hofe unmöglich; denn derselbe böse, dem Gerstensaft entstiegene Dämon, der ihn einst beim „Hofbüttner“ auf das Bett warf, so daß er, zu Hofe befohlen, nicht in der Verfassung war, zu erscheinen, packte ihn zu Ilmenau mit eiserner Faust und verhinderte ihn, in die Arme seiner Geliebten, Caroline von Feuchtersleben, zu eilen, mit der ihn Herder, nebst Wieland auch ein gern gesehener Gast Charlottens, verloben wollte. Es scheint, als ob die Lösung dieses Herzensbundes dem Dichter nicht viel Schwierigkeiten bereitet habe; er wandte sich nach Meiningen, von Herzog Georg auf das Wärmste empfangen, und später nach Coburg. Aber weder hier noch dort hielt der flatterhafte Liebling der Musen lange Stand; doch zog es ihn immer wieder nach Hildburghausen zu der angebeteten Herzogin zurück.

Wenn diese auf dem Gebiete der Poesie zwar anregend, doch nicht selbst schaffend wirkte, so leistete sie dagegen in musikalischer Hinsicht ganz Außerordentliches. Und da mag Jean Paul in seiner Schwärmerei kaum übertrieben haben, wenn er sagt, sie singe „wie eine Himmelssphäre, wie ein Echo, wie aus Nachtigallen gemacht“; denn sie war nicht etwa Dilettantin, sondern Virtuosin, ja, wir können kühn behaupten, eine der größten Sängerinnen ihrer Zeit. Von der Natur mit einer silberreinen, volltönenden

  1. * Auch mitgetheilt im Jahrg. 1860 der Gartenl., S. 213. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_453.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)