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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 29.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Der Capitain mußte wohl wissen, was der Brief enthielt, denn er stand dicht an Ella’s Seite, augenscheinlich bereit, sie zu stützen, wie damals im Theater, aber diesmal verrieth die junge Frau keine Schwäche. Sie blickte stumm nieder auf die eisigen Abschiedsworte, mit denen ihr Gatte sich lossagte von Weib und Kind. Mit welcher Hast ergriff er den Vorwand, den die Härte ihres Vaters und ihre eigenen Worte ihm boten, mit welchem Aufathmen schüttelte er die belästigenden Bande ab! Unvorbereitet traf sie der Schlag freilich nicht mehr. Seit jener letzten Unterredung kannte sie ihr Schicksal.

„Er ist bereits abgereist?“ fragte sie, ohne das Auge von dem Briefe zu erheben, den sie noch immer in der Hand hielt.

„Vor einer Stunde.“

„Und – mit ihr?“

Hugo schwieg; er hatte kein ‚Nein‘ auf diese Frage. Ella erhob sich scheinbar ruhig, aber sie stützte sich doch schwer auf das Bettchen des Knaben.

„Ich wußte es. Und jetzt – lassen Sie mich allein! Ich bitte Sie.“

Der Capitain zauderte. „Ich kam gleichfalls, um Ihnen Lebewohl zu sagen,“ entgegnete er. „Meine Abreise war ohnedies bestimmt, und jetzt, nach der Entfernung meines Bruders, hält mich hier nichts mehr. Ich mache keinen Versuch, das erneute Vorurtheil des Onkels gegen mich zu brechen, aber von Ihnen, Ella, wollte ich ein Abschiedswort mit hinaus nehmen. Werden Sie es mir verweigern?“

Die junge Frau schlug langsam das Auge empor, es begegnete dem seinigen, und wie einer unwillkürliche Regung folgend, streckte sie ihm beide Hände hin.

„Ich danke Ihnen, Hugo. Leben Sie wohl!“

Er schloß mit einer raschen Bewegung die Hände in die seinigen. „Ich habe Ihnen immer nur Schmerz bringen können,“ sagte er leise. „Von mir kam die erste Nachricht, die Ihren Frieden rettungslos zerstörte; sie kam zu spät, und heute war es wieder meine Hand, die Ihnen die letzte brachte. Aber wenn ich Ihnen wehe that, Ella, wehe thun mußte – bei Gott! leicht ist es mir nicht geworden.“

Seine Lippen ruhten einen Moment lang auf ihrer Hand, dann ließ er sie fallen und verließ rasch das Zimmer; wenige Minuten darauf war er im Freien.

Es war ein rauher, echt nordischer Frühlingsabend. Einförmig plätscherte der Regen nieder; schwer und dicht hing der Nebel in den Straßen; selbst die Flammen der Laternen schimmerten nur röthlich trübe in dem grauen Dunste. In diesem Nebel trug der rollende Bahnzug Reinhold Almbach nach dem Süden, wo ihm Ruhm und Liebe, wo ihm sonnenhell die Zukunft winkte, und in derselben Stunde lag sein junges Weib daheim auf den Knieen, an der Wiege ihres Kindes und drückte das Haupt tief in die Kissen, um den Verzweiflungsschrei zu ersticken, der jetzt, wo sie sich allein wußte, doch endlich hervorbrach. Er war nicht einmal gekommen, ihr Lebewohl zu sagen; er hatte nicht ein letztes freundliches Wort für sie, nicht einmal einen Abschiedskuß für sein Kind. Sie waren Beide verlassen, aufgegeben – wahrscheinlich schon vergessen.




Die flammende Pracht des Sonnenunterganges schien Erde und Himmel in ein Meer von Gluth und Verklärung zu tauchen. Das ganze wunderbare Farbenspiel des Südens leuchtete auf am westlichen Horizonte, und die Lichtfluth ergoß sich weithin über die Stadt mit ihren Kuppeln, Thürmen und Palästen. Es war ein unvergleichliches Panorama, das sich rings um die Villa ausbreitete, die außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe lag, weithin sichtbar mit ihren Terrassen und Säulengängen und umgeben von den tiefer gelegenen Gärten, in denen sich die üppigste Fülle südlicher Vegetation entfaltete. Da hoben die ernsten Cypressen ihre dunklen Häupter; da schwankten Pinien im leisen Abendwinde, weiße Marmorstatuen blickten aus Lorbeer- und Myrthengebüschen hervor; der Strahl der Fontainen rauschte und sprühte nieder auf den Rasenteppich, und Tausende von Blumenkelchen sandten ihren berauschend süßen Duft empor. Ueberall Schönheit und Kunst, Duft und Blüthen, Licht und Farbenglanz.

Auf der Terrasse und in den angrenzenden Partien des Parkes befand sich eine zahlreiche Gesellschaft, die den Genuß des herrlichen Abends und die wundervolle Aussicht hier draußen dem Aufenthalte in den Sälen drinnen vorziehen mochte. Sie schien in ihrer überwiegenden Mehrheit der Aristokratie anzugehören, doch sah man auch manche Gestalt darunter, die unzweifelhaft den Künstler verrieth, und hier und da erschien das dunkle Gewand eines Geistlichen neben den hellen Toiletten der Damen oder den glänzenden Uniformen. Die verschiedensten Elemente schienen sich hier zu vereinigen. Man promenirte, plauderte, und saß oder stand in zwanglosen Gruppen beisammen.

In einer dieser Gruppen, die sich am Fuße der Terrasse, dicht neben der großen Fontaine zusammengefunden hatte, wurde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_459.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)