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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die Unterhaltung mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit geführt; es mußte sich wohl um einen Gegenstand von allgemeinerem Interesse handeln. Die einzelnen Worte und Namen, die genannt wurden, schienen die Aufmerksamkeit eines der Gäste zu erregen, der, von der Terrasse kommend, gerade an der Gruppe vorüberging. Es war offenbar ein Fremder; das verrieth das helle Braun des Haares und der Augen, wie überhaupt das ganze Gesicht, das, obwohl gebräunt von Luft und Sonne, dennoch nicht das dunkle Colorit des Südländers zeigte. Die Capitainsuniform kleidete die kräftig männliche Gestalt äußerst vortheilhaft, und Haltung und Bewegungen vereinigten sehr glücklich das freie, etwas ungebundene Wesen des Seemannes mit den Formen der guten Gesellschaft. Er blieb in der Nähe der lebhaft debattirenden Herren stehen und folgte deren Gespräch mit offenbarer Theilnahme.

„Diese neue Oper ist und bleibt aber doch nun einmal das Hauptereigniß der Saison,“ sagte ein Officier in der Uniform der Carabinieri, „und da begreife ich nicht, wie man sie so ohne Weiteres verschieben kann. Die Aufführung ist bereits festgesetzt; die Proben haben begonnen; die sämmtlichen Vorbereitungen sind fast geendigt, da auf einmal wird das Alles unterbrochen, und die ganze Aufführung bis zum Herbste verschoben – das Alles ohne irgend einen ersichtlichen Grund.“

„Der Grund liegt einzig in dem souverainen Belieben des Signor Rinaldo,“ entgegnete ein anderer Herr in etwas hämischem Tone. „Er ist es nun einmal gewohnt, Oper und Publicum ganz nach Laune und Willkür zu behandeln.“

„Ich fürchte, Sie irren, Signor Gianelli,“ fiel ein junger Mann von vornehmem Aeußeren ein wenig erregt ein. „Wenn Rinaldo selbst den Aufschub forderte, so wird man ihm wohl Anlaß dazu gegeben haben.“

„Um Vergebung, Signor Marchese, das that man nicht,“ versetzte Jener. „Ich, als Capellmeister der großen Oper, weiß am besten, welch eine unendliche Mühe und welche immensen Opfer an Zeit und Geld es gekostet hat, um den Wünschen Rinaldo’s zu entsprechen. Er brachte mit seinen Anforderungen und Bedingungen die ganze Theaterwelt in Verwirrung; denn er verlangte Aenderungen im Personale, wie sie noch nicht dagewesen sind, und dergleichen mehr. Es wurde ihm, wie gewöhnlich, in Allem nachgegeben, und man glaubte nun endlich seines hohen Beifalls sicher zu sein, aber jetzt, wo er aus M. eintrifft, findet er Alles noch tief unter seiner Erwartung, befiehlt Abänderungen und dictirt Neuerungen in der rücksichtslosesten Weise. Es war vergebens, daß man den Versuch machte, ihn durch Signora Biancona umzustimmen; er drohte die ganze Oper zurückzuziehen, und,“ hier zuckte der Maestro spöttisch die Achseln, „die Verantwortung für ein solches Unglück wollten Eccellenza, der Intendant, denn doch nicht auf sich nehmen. Er versprach Alles, gewährte Alles, und da es schlechterdings nicht möglich war, die dictatorisch geforderten Aenderungen in der kurzen Zeit auszuführen, selbst auf den Herrscherbefehl Signor Rinaldo’s nicht, so muß die Aufführung bis zur nächsten Saison verschoben werden.“

„Der Intendant hat ist diesem Falle ganz recht gethan, dem Wunsche oder meinetwegen der Laune des Componisten nachzugeben,“ sagte der junge Marchese bestimmt. „Die Gesellschaft hätte es ihm nie verziehen, wenn eine übel angebrachte Consequenz sie einer Oper Rinaldo’s beraubt hätte. Man weiß, daß dieser im Stande ist, seine Drohung auszuführen, und sein Werk in der That zurückzuziehen, und einer solchen Alternative gegenüber blieb eben nichts weiter übrig als unbedingtes Nachgeben.“

„Freilich! Mein Widerspruch gilt nur dieser Art von Terrorismus, den sich ein fremder Künstler hier im Herzen Italiens erlaubt, indem er die Einheimischen zwingt, sich seiner speciell deutschen Auffassung der Musik zu fügen.“

„Besonders wenn diese Einheimischen schon zweimal mit einer Oper Fiasco gemacht haben, während jede neue Schöpfung Rinaldo’s vom stürmischen Beifall des Publicums getragen wird,“ flüsterte der Marchese seinem Nachbar zu.

Dieser, ein Engländer, sah äußerst gelangweilt aus. Er war des Italienischen nur theilweise mächtig, und die rasch und lebhaft geführte Unterhaltung blieb ihm daher größtentheils unverständlich. Nichtsdestoweniger beantwortete er die leise und verächtliche Bemerkung seines jugendlichen Nachbars mit einem würdevollen Kopfnicken und sah sich darauf hin aufmerksam den Maestro an, als sei ihm dieser auf einmal eine Merkwürdigkeit geworden.

„Wir sprechen von der neuen Oper Rinaldo’s,“ wandte sich der Officier artig erklärend an den Fremden, der bisher einen stummen Zuhörer abgegeben hatte, und jetzt in fremdartig klingendem, aber doch geläufigem Italienisch antwortete.

„Ich hörte soeben den Namen. Irgend eine musikalische Größe vermuthlich?“

Die Herren blickten den Fragenden in sprachlosem Erstaunen an, nur das Gesicht des Maestro verrieth eine unverkennbare Genugthuung darüber, daß es doch wenigstens einen Menschen auf der Welt gab, der diesen Namen nicht kannte.

„Irgend eine?“ betonte Marchese Tortoni. „Verzeihung, Signor Capitano, aber Sie sind wohl sehr lange auf der See gewesen und kommen vermuthlich aus einer andern Hemisphäre?“

„Direct von den Südsee-Inseln!“ bestätigte der Capitain, trotz des ironischen Tones der Frage mit einem verbindlichen Lächeln. „Und da man dort leider noch nicht so vertraut ist mit den künstlerischen Erzeugnissen der Neuzeit, wie es im Interesse der Civilisation wohl zu wünschen wäre, so bitte ich, meiner bedauernswerthen Unkenntniß zu Hülfe zu kommen.“

„Es handelt sich um den ersten und genialsten unserer jetzigen Componisten,“ sagte der Marchese. „Er ist zwar von Geburt ein Deutscher, aber seit Jahren schon gehört er ausschließlich uns an. Er lebt und schafft nur auf italienischem Boden, und wir sind stolz darauf, ihn den Unseren nennen zu dürfen. Uebrigens würde es Ihnen leicht sein, heute Abend seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Er erscheint jedenfalls.“

„Mit Signora Biancona – selbstverständlich!“ fiel der Officier ein. „Hatten Sie schon Gelegenheit, unsere schöne Primadonna zu hören?“

Der Capitain machte eine verneinende Bewegung. „Ich bin erst vor einigen Tagen hier angekommen, indessen sah ich sie bereits vor Jahren in meiner Heimath, wo sie damals ihre ersten Lorbeeren einsammelte.“

„Ah, damals war sie ein aufsteigendes Gestirn,“ rief der Andere. „Freilich, im Norden hat sie ihren Ruhm gegründet; sie kam bereits als gefeierte Künstlerin zu uns zurück. Jetzt aber steht sie unbedingt auf der Höhe ihres Talentes. Sie müssen sie hören und zwar in einer von Rinaldo’s Opern hören, wenn Sie sie in ihrem vollen Glanze bewundern wollen.“

„Gewiß, denn da flammt ein Feuer in das andere,“ bestätigte der junge Marchese. „Jedenfalls werden Sie auch heute schon in der Signora eine blendend schöne Erscheinung finden. Versäumen Sie ja nicht eine Vorstellung und Unterredung mit ihr.“

„Falls dies nämlich dem Signor Rinaldo genehm ist,“ mischte sich der Maestro jetzt wieder ein. „Sonst würden Sie ganz vergeblich eine Annäherung versuchen.“

„Hat Rinaldo darüber zu bestimmen?“ warf der Capitain flüchtig hin.

„Nun, wenigstens nimmt er sich das Recht dazu. Er ist so gewöhnt, überall den Herrn und Gebieter herauszukehren, daß er dies auch hier versucht, und leider nicht ohne Erfolg. Ich begreife die Biancona nicht. Eine Künstlerin von ihrer Bedeutung, eine Frau von ihrer Schönheit – und sie läßt sich so gänzlich von einem Manne beherrschen.“

„Aber dieser Eine ist Rinaldo,“ lachte der Officier, „und damit ist genug gesagt. Gestehen wir es nur, Tortoni, wir Alle können uns nicht mit seinen Erfolgen messen. Dem fliegen ja alle Herzen entgegen, wo er nur erscheint – da ist es am Ende kein Wunder, wenn selbst eine Biancona sich willig dem Zauber beugt, den dieser Mann nun einmal an sich zu tragen scheint.“

„Nun, so willig geschieht es gerade nicht,“ meinte Gianelli hämisch. „Signora ist leidenschaftlich im höchsten Grade, aber Rinaldo überbietet sie darin womöglich noch. Es giebt zwischen ihnen mindestens ebenso oft Sturm wie Sonnenschein, und heftige Scenen sind an der Tagesordnung.“

„Dieser Rinaldo scheint ja, wie das Publicum, so auch die gesammte Gesellschaft zu beherrschen,“ sagte der Capitain sich jetzt ausschließlich an den Capellmeister wendend. „Läßt man sich dergleichen denn von einem einzigen Menschen und noch dazu von einem Fremden gefallen?“

„Weil man eben blind ist und sein will für jedes andere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_460.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)