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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Vorzug betrachten würde! Du bist doch sonst stets der Erste, wenn es die Bekanntschaft einer schönen Frau gilt.“

Hugo erwiderte nichts, aber er folgte ihm ohne ferneren Einwand. Signora Biancona war, wie gewöhnlich, von einem Kreise von Herren umgeben und in lebhaftester Unterhaltung begriffen, aber sie brach diese sofort ab, als die Beiden erschienen. Reinhold stellte ihr seinen Bruder vor. Beatrice wandte sich mit ihrer ganzen Liebenswürdigkeit an den Letzteren.

„Wissen Sie, Signor Capitano, daß ich Ihnen bereits gezürnt habe, ohne Sie zu kennen?“ begann sie. „Rinaldo war nicht zu halten, als er die Nachricht von Ihrer Ankunft empfing. Er ließ mich höchst ungalanter Weise in M. zurück, um Ihnen entgegen zu eilen. Ich mußte die Rückreise hierher allein antreten.“

Hugo verbeugte sich artig, aber doch fremder, als er es sonst wohl vor einer Dame that, und er schien es auch nicht zu bemerken, daß die schöne Hand Beatricens sich dem Bruder Rinaldo’s vertraulich entgegenstreckte, wenigstens widerstand er vollständig der Versuchung des Handkusses, der wohl erwartet wurde.

„Ich bin sehr unglücklich, Signora, Ihren Unwillen erregt zu haben. Wer aber so ausschließlich wie Sie über Reinhold’s Nähe und Gegenwart verfügt, sollte doch Großmuth genug besitzen, ihn einmal auch für kurze Zeit dem Bruder abzutreten.“

Er sah sich nach Reinhold um, aber dieser wurde bereits wieder in Anspruch genommen.

„Ich füge mich ja auch,“ sagte Beatrice, noch immer mit bezaubernder Freundlichkeit, „oder vielmehr, ich füge mich noch jetzt, denn seit der Zeit Ihres Hierseins habe ich Rinaldo wenig genug gesehen. Es wird wohl kein anderes Auskunftsmittel übrig bleiben, als daß ich Sie bitte, ihn zu begleiten, wenn er bei mir erscheint.“

Hugo machte eine etwas gemessene Bewegung des Dankes. „Sie sind sehr gütig, Signora. Ich ergreife gewiß mit Freuden die Gelegenheit, die so hochgefeierte – Muse meines Bruders näher kennen zu lernen.“

Signora Biancona lächelte. „Hat er mich Ihnen so genannt? Freilich, der Name ist unserem Freundeskreise nicht fremd. Rinaldo gab ihn mir einst, damals, als ich seine ersten Schritte auf der Künstlerbahn leitete. Eine etwas romantische Bezeichnung, zumal für deutsche Anschauungen, nicht wahr, Signor? Sie kennen dergleichen schwerlich in Ihrem Norden.“

„Bisweilen doch,“ sagte der Capitain ruhig, „nur mit einem unbedeutenden Unterschiede. Bei uns pflegen die Musen Ideale zu sein, die in unerreichbarer Höhe schweben. Hier sind es – schöne Frauen. Ein ganz unleugbarer Vortheil für den Künstler.“

Die Worte klangen wie ein Compliment und hielten genau den scherzenden Ton fest, den Beatrice selbst angeschlagen; dennoch streifte sie mit einem raschen, forschenden Blicke das Antlitz des Sprechenden; vielleicht sah sie den aufblitzenden Spott darin; denn sie erwiderte mit einiger Schärfe:

„Ich meinestheils bekenne, gar keine Sympathie für den Norden zu besitzen. Nur gezwungen habe ich einige Zeit dort verlebt, und ich athmete erst wieder auf, als der Himmel Italiens sich über mir wölbte. Wir Südländer vermögen es nun einmal nicht, uns in die eisig pedantischen Regeln zu zwängen, die dort die Gesellschaft einengen, in die Fesseln, die man auch den Künstlern auferlegen möchte.“

Hugo lehnte sich mit vollendeter Gleichgültigkeit an die Marmorbalustrade. „Mein Gott, das ist doch von keiner Bedeutung. Man sprengt sie einfach und ist dann frei wie der Vogel in der Luft. Reinhold hat das ja hinreichend bewiesen, und jetzt hat er die Heimath und ihre pedantischen Regeln ein- für allemal abgeschworen, was doch wohl ausschließlich Ihr Verdienst ist, Signora.“

Beatrice gebrauchte heftig den Fächer, obgleich gerade in diesem Augenblicke der Abendwind erfrischend kühl herüberwehte.

„Wie meinen Sie das, Signor?“ fragte sie rasch.

„Ich? O, ich meine gar nichts, ausgenommen etwa, daß es doch ein erhebendes Gefühl sein muß, so das ganze Schicksal eines Menschen – oder auch einer Familie – in Händen zu halten, wenn man Jemanden seinen ‚Fesseln‘ entreißt. Man muß in einem solchen Falle durchaus etwas von einer irdischen Vorsehung in sich spüren. Nicht, Signora?“

Beatrice war leicht zusammengezuckt bei den Worten, ob vor Ueberraschung oder Zorn, das ließ sich schwer entscheiden. Ihre Augen begegneten den seinigen; aber diesmal maßen sie einander, wie zwei Gegner sich messen. Der Blick der Italienerin sprühte; doch der Capitain hielt ihn so fest und ruhig aus, daß sie wohl fühlte, es sei kein allzu leichtes Spiel diesen klaren braunen Augen gegenüber, die ihr so keck die Spitze zu bieten wagten.

„Ich glaube, Rinaldo hat allen Grund, dieser Vorsehung dankbar zu sein,“ entgegnete sie stolz. „Er wäre vielleicht untergegangen in Verhältnissen und Umgebungen, die seiner unwürdig waren, hätte sie seinen Genius nicht wach gerufen und ihm die Bahn zur Größe gewiesen.“

„Vielleicht,“ sagte Hugo kühl. „Man behauptet zwar, ein wahrer Genius gehe nie zu Grunde, und je schwerer er sich durchringen müsse, desto mehr stähle sich seine Kraft; indessen das ist jedenfalls auch eine von den nordisch-pedantischen Anschauungen. Der Erfolg hat für Ihre Ansicht entschieden, Signora, und der Erfolg ist ja ein Gott, dem sich Alles beugt.“

Er verneigte sich und trat zurück. Er hatte das Alles im leichtesten Conversationstone, scheinbar ganz absichtslos hingeworfen, aber Signora Biancona mußte doch wohl die Bitterkeit empfunden haben, die in den Worten des Capitains lag; denn sie preßte die Lippen zusammen wie in tiefster innerster Gereiztheit, und der Fächer gerieth in eine fast stürmische Bewegung.

(Fortsetzung folgt.)




San Francisco in der Phantasie und in der Wirklichkeit.


Von Theodor Kirchhoff.


Wohl über keine Stadt auf dem Erdboden sind so viele falsche Berichte von sensationssüchtigen Schriftstellern in die Welt hinaus gesandt worden und finden die fabelhaftesten Beschreibungen so leicht ein gläubiges Publicum, wie über San Francisco. Schon der Name des Goldlandes Californien webt einen Nimbus des Außerordentlichen, des Romantisch-Halbbarbarischen um Alles und Jedes, was auf diese Stadt Bezug nimmt. Daß sich in San Francisco die Leute in rothe Hemden à la Garibaldi kleiden, daß Jedermann hier wenigstens einen geladenen Revolver im Gürtel und ein fußlanges Dolchmesser in den Stiefelschäften trägt, welche Waffen er bei der geringsten Veranlassung in Anwendung bringt, daß es Gebrauch ist, Jemanden, der vor Einem auf dem Trottoir geht und zu dem man sprechen will, durch einen freundschaftlichen Schuß durch den Hut zum Stillstehen zu bewegen, daß es in dieser Stadt zahllose öffentliche Spielhöllen giebt, in denen sich eine bestialische Rohheit breit macht, daß auf den Straßen eigentlich Niemand seines Lebens sicher und die Lynchjustiz hier eingebürgert ist, daß das Gold in San Francisco sozusagen in den Gossen liegt – alle diese und noch abenteuerlichere Vorstellungen spuken noch heute ist den Köpfen von Tausenden in Europa. Der Inhalt von zahlreichen Briefen, welche mir seit meinem Hiersein von Unbekannten aus allen Theilen der Welt zugegangen sind und die von originellen, ich will nicht sagen, kindlichen Fragen förmlich wimmeln, würde einen trefflichen Commentar zu dem oben Gesagten liefern.

In neuester Zeit hat eine in Stuttgart erscheinende Zeitschrift („Ueber Land und Meer“, Nr. 22, 1874) eine Beschreibung von San Francisco veröffentlicht, welche von Ernst Kossak nach dem Tagebuche des verstorbenen Malers Hildebrandt ausgearbeitet wurde, und die wohl von Allem, was über San Francisco geschrieben worden, die willkürlichsten Schilderungen enthält. An diese Beschreibung anknüpfend, will ich ein paar Worte zur Ehrenrettung unserer viel geschmähten Stadt in diesen Blättern laut werden lassen.

Herr Hildebrandt besuchte während seiner Reise um die Welt (wie ich vermuthe, vor etwa fünfzehn Jahren) auch die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_462.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)