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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Hangen und Bangen in schwebender Pein.


Eine javanische Erinnerung von Dr. B. Beheim-Schwarzbach.


Viele Menschen lieben es bekanntlich, ihren persönlichen Muth vorzüglich bei Gelegenheiten zu zeigen, die nicht besonders gefahrvoll sind, und dieser Muth wächst häufig in dem Grade, in welchem die Gefahr abnimmt. Ich bilde mir nicht ein, für meine Person eine Ausnahme von dieser „Regel“ zu machen, sondern gestehe gern und muthig ein, daß das Stückchen Courage, das mir anhaftet, sich am wohlsten „außer Schußweite“ fühlt. Es mag dieser Umstand der Grund sein, daß ein Jagdvergnügen als solches mich niemals sehr sympathisch berührte, während gar eine Jagd auf wilde Thiere mein Herz sicher nicht aus Passion und Ungeduld stärker klopfen macht. Wenn ich trotzdem während meines Besuches bei Herrn W., dem holländischen Controleur in der Regentschaft Koedoes (sprich Kudus) auf Java, wiederholt in der Lage war, die Büchse zu handhaben, so schreibe ich diese Thatsache theils der Langenweile zu, in welche nach der oft im Dienste abwesende Beamte zurückließ, theils der Aussicht auf „billige“ Beute. Stundenlang durchstreifte ich manches Mal die das Gehöft umgebenden Wälder, während mein inländischer Diener Odin als Büchsenlader, gewöhnlich auch noch einige andere Javaner als Beutesammler mich begleiteten. Hauptsächlich waren es wilde Pfauen, deren schönes Gefieder und unschönes Gekrächze mich zum Schusse reizten. Einst ließ ich mich auch verleiten, einen kleinen schwarzen Affen, mit welcher Art die dortige Gegend überreich bedacht ist, vom Baume zu schießen. Doch bereute ich diesen Schuß aufrichtig. Das überaus klägliche, menschenartige Geschrei des tödtlich verwundeten Thieres, das auf mich den Eindruck machte, als hätte ich ein halberwachsenes Kind getroffen, nicht weniger auch die inständigen Bitten meiner Begleiter, hielten mich ab, je wieder auf die Vorfahren kommender Menschengenerationen zu feuern. Die Malayen wie die Javaner sind der festen Ansicht, daß die Seelen der Menschen, die sich während des Lebens belohnungswerth betragen, nach dem Tode in Affenkörper überziehen, und je nachdem das menschliche Betragen gut, besser oder vorzüglich ist, wird der betreffenden Seele das Fell eines mehr oder weniger bevorzugten Affen angewiesen. – Ein Hauptjubel war es stets für meine muhamedanischen Freunde, wenn ich Gelegenheit fand, ein wildes Schwein, das unvorsichtig meiner Schießwaffe so nahe kam, daß ein Nichttreffen kaum möglich gewesen wäre, vom Leben zum Tode zu befördern. Nicht nur werden diese Thiere aus religiöser Ueberzeugung gehaßt, sondern auch deshalb, weil sie mit Recht als die Hauptverwüster der Reisfelder zu betrachten sind. Unter einem javanischen Wildschwein stelle man sich aber keinen Eber vor, wie solcher gelegentlich in Mittel-Europa – eine waidmännische Heldenthat! – erlegt wird, und dessen zubereiteter Kopf, mit einer Citrone geziert, dem Feinschmecker das Wasser im Munde zusammenlaufen macht. Das javanische Wildschwein ist klein und nur ausnahmsweise muthig.

Es sei mir hier vergönnt, eine Art Treibjagd auf wilde Schweine zu schildern, welche der javanische Fürst (Wedono), welcher dem Bezirke des Controleurs W. mit vorstand, veranstaltete – ja, dem fremden Reisenden zu Ehren veranstaltete, wie man mir schmeichelte. Diese Ehre war herzlich billig, weil alljährlich ein derartiger Feldzug zum Schutze für die Reisfelder vorbereitet wird, gleichviel ob ein „fremder Reisender“ anwesend ist oder nicht. Der Wedono holte uns, das heißt meinen Wirth und dessen Gast, eines Morgens mit eigenen Reitpferden und mit einem Ehrengefolge berittener Javaner zu der Jagd ab. Schon am Abende vorher waren gegen tausend javanische Kulis meilenweit im Kreise postirt worden, welche mit Sonnenaufgang ihren Lärm begannen und sich mit diesem allmählich einer Vertiefung näherten, welche, durch einen hohen Palissadenzaun eingehoft, den Schweinen wohl das Hineinlaufen, nicht aber das Hinauslaufen gestattete. In der Mitte der Einzäunung war ein Brettergerüst, eine Art Plattform, errichtet, welches wir zwei Europäer, der Wedono und eine Anzahl Unterfürsten, an welchen das aristokratische Java so reich ist, mittelst einer Leiter erklommen. Von dort aus erlegten wir die wilden Schweine, welche, von dem Lärme der Treiber versorgt und eingeengt, in die Einzäunung getrieben waren und sich zu unseren Füßen vergebens nach einem Auswege abmühten. Und nun muß ich erröthend gestehen, daß ich mich an dem Abmetzeln der Thiere mitbetheiligte. Kein Schuß wurde gethan, und dennoch lagen nach Verlauf von zwei Stunden vierundachtzig Schweine zerstückt, verstümmelt, theils todt, theils sterbend in ihrem Blute. Die Arbeit wurde mit Bambusspeeren vollbracht, welche, zugespitzt, ein scharf durchdringendes Wurfgeschoß bildeten. Viele Hundert solcher Speere waren für uns auf die Plattform gelegt worden; in voller Sicherheit der eigenen Person richteten wir damit die Thiere auf das Unbarmherzigste zu. Besonders eifrig zeigten sich dabei die Javaner, die im Jagdeifer jauchzten und sprangen, während Herr W. und ich unsere Thätigkeit darauf beschränkten, den Schwerverwundeten das Sterben zu erleichtern. Die Thatsache, daß die Thiere wirklich einen großen Gemeinschaden für die Früchte der Felder bilden, war für mich der einzige versöhnende Gedanke bei dieser Schlächterei.

Den in der Umgegend wohnenden Chinesen war die Jagd nicht minder willkommen wie den Javanern selbst. Während diese aber das Schweinefleisch verachten, betrachten es jene als eine der größten Delicatessen und sandten auch uns Tags nach der Jagd wunderlich geformte Ferkelpasteten, deren Gewürz mir jedoch das Verspeisen verleidete.

Doch genug von dem Kleinwild.

Nach der Siesta eines nicht allzu schwülen Nachmittags war ich mit Odin nach einem benachbarten Dorfe (Kampong) geritten, in dessen Nähe sich, nach Aussage des Dorfhäuptlings, ein Schwarm jener Geschlechtsart von Fledermäusen aufhalten sollte, die ihrer Größe wegen den Namen „fliegende Hunde“ erhalten haben. Zu Tausenden hängen sie sich beim Anbruche des Tages mit ihren Füßen an die Baumzweige, das Laub rings vollkommen bedeckend und zerstörend, und erst gegen Abend verlassen sie diese wunderliche Stellung, um in Masse ihren Nahrungsstreifzug, meistens dem Meere zu, anzutreten, oder besser anzufliegen. Der kommende Morgen findet sie gewöhnlich an derselben Stelle und in derselben Position, die sie des Abends aufgegeben haben.

Im Dorfe angelangt, nahm ich, da der Häuptling leider abwesend war, einen Führer, der uns die mit der lebendigen Frucht behafteten Bäume zeigen sollte. Aber sei es, daß der Javaner, gegen seine Meinung, nicht richtig orientirt war, sei es, daß die fliegenden Hunde ihren Platz thatsächlich verändert hatten, kurz, es gelang uns nicht, das Gesuchte zu entdecken, obgleich wir tief in das Gebüsch drangen und dieses nach verschiedenen Seiten durchstrichen. Wir waren gegen zwei Stunden unterwegs gewesen, hatten, wenn auch nicht den Zweck erreicht, doch vieles für mich Interessante in der herrlich üppigen Tropenwaldung, die ich nicht mit dem Begriffe eines „Urwaldes“ verwechselt wissen möchte, gesehen, und schon gedachte ich den Rückweg nach dem Kampong anzutreten, als unser Führer mit dem Aufschrei: „Ein Tiger, ein Tiger!“ sich blitzschnell umwandte und davonlief – mein Diener Odin ihm nach, mich zurücklassend.

Sicherlich wäre auch ich im ersten Impuls des Schreckens mitgelaufen, hätte ich den Ausruf richtig begriffen. Meine mangelhafte Bekanntschaft mit der javanischen Sprache verhinderte dies. Wohl merkte ich, daß den Beiden etwas Besonderes aufgefallen sein mußte, hatte aber nicht den Glauben an eine directe Gefahr, denn ich konnte nicht annehmen, daß mich mein erprobter (allerdings nur beim Kofferpacken und nicht in Gefahren erprobter) Diener allein zurücklassen würde. In der Meinung, daß die Javaner irgend ein seltenes Insect für meine Botanisirtrommel verfolgten (wie ich Solches einige Male vorher angeordnet hatte) und in Bälde zurückkehren würden, lehnte ich mich wartend an einen Baum. Ich befand mich auf einem nur spärlich bewachsenen Platze, dessen Größe wohl gegen sechszig Schritte im Durchmesser betrug und der von einem dichten Gebüsche umgeben war, in welchem die beiden braunen Gestalten rasch verschwunden waren. Seitwärts von mir flogen krächzend, kleine Kreise ziehend, eine Anzahl schwarzer Vögel dicht über den Spitzen der Bäume; ihr Anblick erinnerte mich unwillkürlich an die aaswitternden Feldkrähen der Heimath.

Plötzlich schreckte mich ein halblautes metallisch klingendes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_466.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)