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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Aus dem österreichischen Klosterleben.
Nr. 1. Das Noviziat und der Aufenthalt im Seminar zu Prag.
Nach dem Tagebuche eines Wissenden von A. Ohorn.


Es ist nun schon eine Reihe von Jahren her, als ich an einem freundlichen Herbsttage gegen Abend durch den gewaltigen Thorbogen mit dem Thürmchen darauf in den Hofraum des Klosters hineinschritt, das meine Heimath werden, dem ich für Lebenszeit angehören sollte. Ich war damals ein junges Bürschlein von etwa neunzehn Jahren, sah überall Sonnenschein und blauen Himmel und betrachtete von dem exclusiv materiellen Standpunkte, den man mir aufoctroyirt hatte, das Kloster als eine vorzügliche Versorgungsanstalt. Ich werde das Gefühl nie vergessen, mit welchem ich mir das altersgraue, massive Gebäude mit seinen zwei gewaltigen Thürmen betrachtete, da ich über den grasbewachsenen Hof hinschritt, auf welchem es so still war bis auf das Plätschern eines einfachen Brunnens und so einsam bis auf einige Gänse, die sich melancholisch auf einem Beine wiegten. Es wurde mir fast ein wenig bange, da ich, Einlaß begehrend, die Glocke an der Pforte zog, die in das Convent führte.

Wie von Geisterhand bewegt, öffnete sich die Thür, deren Drücker mittelst eines Drahtes, den der Pförtner von seinem Zimmer aus in Bewegung setzte, gehoben wurde. Ich trat in eine weite Halle, mit rothem Ziegelstein gepflastert, hochgewölbt und mit Rundbogenfenstern versehen; an der Wand zur Linken hingen gewaltige Gemälde in dunklen, geschnitzten Rahmen, kunstlose Arbeiten, die, wie ich später erfuhr, ein längst verstorbener Laienbruder in seinen Mußestunden geschaffen. Durch das verglaste Sehloch in der Thür des Pförtners schaute ein neugieriges bleiches Gesicht nach dem Ankömmlinge; ich trat in das dunkle Gemach ein, präsentirte mich dem Bewohner, einem Laien (seines Zeichens ein Schneider), als Candidaten und erkundigte mich, an wen ich mich zunächst zu wenden hätte, da mein Magen wie mein Pedal naturgemäße, nicht abweisbare Forderungen an mich stellten. Der kleine gefällige Mann legte ein Ordenskleid, mit dessen Ausbesserung er sich eben beschäftigt hatte, bei Seite und erklärte mir, er wolle mich zunächst zu dem Pater-Secretär führen, der für das Weitere sorgen werde.

Wir gingen wieder hinaus durch die Pforte, welche blos angelehnt wurde, da der betreffende Geistliche nicht im Convente, sondern auf der Prälatur oder, wie man gewöhnlich sagte, „auf dem Hause“ wohnte. Die Prälatur macht den westlichen und südwestlichen Theil des gesammten Kloster- oder Stiftsgebäudes aus und enthält außer der Wohnung des Prälaten (des Abtes) die Wohnungen der sogenannten Officialen, nämlich des äbtlichen Secretärs, des Forstinspectors und des Provisors, einige Gastzimmer, einen Speisesaal, die Rentkanzlei, die Apotheke, die Küche und das sogenannte Küchenamt, ein Local, dessen Bekanntschaft ich bald machen sollte. Der Secretär, ein Mann mit freundlicher Protectormiene, empfing mich recht höflich, sorgte dafür, daß mein sterblich Theil im Küchenamte, einem saalähnlichen Gemache, in welchem weniger distinguirte Besucher, wie reisende Studenten und Andere, „abgefüttert“ werden, wieder in die richtige Verfassung versetzt wurde, ließ mir dann ein Zimmer auf der Prälatur anweisen, wo ich als Gast noch bis zu meiner eigentlichen Einführung in das Convent wohnen sollte, und stellte mich, nachdem ich noch alle mögliche Sorgfalt auf meinen äußeren Menschen verwendet, dem Abte vor.

Die Wohnung des Prälaten, in dessen Vorzimmer uns ein Lakai empfing, der uns auch zuvor anmeldete, zeigte nichts von klösterlicher Armuth; ich habe indeß den vorhandenen Comfort dem Manne nie übel genommen, weil ich ihn trotz alledem nie beneidet habe. Es war ein greiser Mann, der uns empfing, dem man aber seine achtzig Jahre nicht anmerkte; die Gestalt war hoch; die Wangen waren frisch gefärbt, die Augen hell. Eine schwere goldene Kette mit Kreuz lag auf der Brust; am Goldfinger der Rechten glänzte ein gewaltiger Ring. Mein Begleiter kniete nieder, und ich that es ihm nach; der greise Priester ertheilte uns gewohnheitsgemäß den Segen, und ich küßte, der erhaltenen Instruction zufolge, die segnende Hand; bei späteren Gelegenheiten berührten meine Lippen den geschliffenen Stein des Ringes. – Die Audienz war rasch vorüber, und ich hatte nun Ruhe bis zum Abendmahle, nachdem ich noch zuvor mich dem Prior vorgestellt hatte.

Er ist die erste Person innerhalb des Convents; mit ihm hatte ich späterhin weit mehr zu verkehren, als mit dem Abte. Der Prior war ein kleiner, fast kugelrunder Mann mit einem vollen, gerötheten Gesichte, auf welchem die breiteste Gutmüthigkeit saß, die ihm thatsächlich eigen war; er konnte nämlich keine Bitte abschlagen, und wir haben beinahe Alle uns das gelegentlich zu Nutzen gemacht - möge ihm die Erde leicht sein! – Er empfing mich recht freundlich, fragte mich aus über Dies und Das, und ich freute mich an seinem sorglosen Angesichte, das mir für meine nächste Zukunft und wohl auch für die entferntere ein günstiges Prognostikon schien. Meine Müdigkeit war wie weggewischt durch die Neuheit der Umgebung, die aufregend auf mich wirkte, und so überließ ich mich denn der Führung eines Klerikers, der mich aus freien Stücken angesprochen und mich zunächst mit den Räumlichkeiten des Convents bekannt machte. Es war ein großes, im Viereck errichtetes Gebäude, das einen gleichsam quadratischen Raum einschloß, welcher zu einem Garten hergerichtet war, in welchen man durch die ringsum laufenden hohen Bogenfenster sehen konnte. Er sah zur Zeit etwas vernachlässigt aus, und die graue massive Steinfontaine versagte den Dienst.

Der Fußboden des eigentlichen Convents war mit weißen Platten bedeckt. Die Hallen waren hoch und weit, und das Ganze machte den wohlthuenden Eindruck der Ordnung und Reinlichkeit. An den Wänden, zwischen den vielen mit Nummern versehenen Thüren, hingen große Bilder, das Leben des Ordensstifters – Wahrheit und Legende – darstellend, und gemalt größtentheils von dem bereits erwähnten Künstler. Die Wände des oberen Stockwerkes waren mit den Bildern der verstorbenen Prälaten in fortlaufender Reihe geschmückt. Diese Phantasiestücke schauten mit muthiger Verachtung jeder Kunst und mit einer Art legitimen Trotzes auf den kopfschüttelnden Besucher herunter. Mein Führer zeigte mir den mächtigen Speisesaal, nicht den unwichtigsten Theil des Convents, den neutralen Boden, auf welchem alle Parteien des gleichen Zweckes willen stehen. Die lange Tafel war gedeckt. Die blanken Biergläser standen in Reih und Glied. In den breiten Fensternischen sah man Spieltische, verschämt zwischen den langen weißen Vorhängen hervorschauend. An der einen Wand war eine Kanzel angebracht. In dieses Stillleben sahen die thatsächlich guten Portraits der letztverstorbenen Prälaten mit ernster Ruhe hinein.

Wir besuchten ferner den Capitelsaal, an dessen Wänden einfache Bänke ohne Lehnen standen. Auch befand sich hier ein schmuckloser kleiner Altar, und in der Mitte des Saales lag in einem vergoldeten Sarge der aus Holz geschnitzte, gleichfalls vergoldete Leib des Ordensstifters. Einst war die Statue des Heiligen aus gediegenem Silber gewesen, allein Josef der Zweite hatte sich dieselbe (wohl zu praktischeren Zwecken) ausgebeten, und so wurde sie durch eine werthlose ersetzt. Wir besichtigten noch das sogenannte Museum, das indeß wenig Bedeutendes bot, sowie auch die Gemäldesammlung, durchschritten die Bibliothek, die mehr angesehen als benutzt wird und in welcher ich vergebens mich umsah nach den neueren Werken deutscher Gelehrten und Dichter, und schlossen unsere Inspection in dem Oratorium oder Betsaale.

Zur Abendmahlzeit wurde ich nach dem kleinen Speisesaale der Prälatur abgerufen. Man betete leise, und Jeder setzte sich an seinen durch sein Alter bestimmten Platz. Es ging ziemlich still her, hauptsächlich nachdem der Prälat sich in das Lesen einer Zeitung (des österreichischen Volksfreundes) vertieft hatte, und nur das Studium der verschiedenen Physiognomien, sowie die Beschäftigung mit den aufgetragenen Speisen (eine Suppe und zweierlei Fleisch) und dem schneidigen kühlen Klosterbiere sicherten mich einigermaßen vor der Langeweile. Nach der Mahlzeit entfernte sich der Abt sogleich; ich verschwand gleichfalls ziemlich unbeachtet.

Der nächste Tag war ein Sonntag. An demselben fand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_483.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)