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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die Einführung statt. Nach dem Nachmittagsgottesdienst (Vesper) versammelten sich sämmtliche im Kloster anwesende Ordensmitglieder in dem kleinen Speisesaale und setzten sich um die lange Tafel. Die Candidaten – ich hatte noch einige Collegen erhalten – standen in feierlichem Schwarz in Reih’ und Glied vor derselben. Nach einer Ansprache seitens des Abtes und nachdem die zum Theil anwesenden Eltern der Candidaten ihren Kindern den Segen ertheilt, boten die Novizen des verflossenen Jahres ihren nunmehrigen Nachfolgern den Arm, um sie in feierlichem Zuge, dem sich alle Ordensmitglieder paarweise anschlossen, in die Kirche zu führen.

Pauken und Trompeten lärmten beinahe betäubend bei unserem Eintritte in die Hallen der schön angelegten, aber nicht eben geschmackvoll renovirten Stiftskirche, und spießruthenlaufend durch die Gasse der Neugierigen, kamen wir zu den Sitzen (Stallen), die für uns bestimmt waren. Die Orgel arbeitete sich endlich heraus aus dem Trompetengeschmetter und ging in die Melodie des schweren, getragenen, aber ergreifenden Hymnus über:

Veni creator spiritus,
Mentes tuorum visita,
Imple superna gratia,
Quae tu creasti, pectora.

Der Einführung in die Kirche und das betreffende Stallum folgte diejenige in die Klosterzelle, welche durch den Prior vorgenommen wurde: Ein kurzer Glückwunsch, ein dreimaliger Kuß, dieselbe Procedur multiplicirt mit der Anzahl der Ordensbrüder – und das neue Conventsmitglied war fertig bis auf das noch fehlende Ordenskleid. Auch dafür wurde Sorge getragen. Schon mit den letzten Brüdern erschien ein langer hagerer Mann, der mit geschwätziger Freundlichkeit sich als Schneidermeister vorstellte und ohne weitere Umstände Länge und Weite für sein Fabrikat sich abmaß, dabei aber das Gewissen des Einzelnen nach Kräften erforschte und durch Katechisiren sich über den Charakter eines Jeden klar zu werden bemüht war.

Nun erst kam ich dazu, mich in meiner neuen Behausung umzusehen Das Zimmer war hoch und gewölbt, der Anstrich einmal weiß gewesen, gegenwärtig aber grau; die Möbel von primitiver Nüchternheit wollten in Gestalt und Farbe schlechterdings nicht zu einander passen.

Mit der Einführung hatten wir die Pflichten der Novizen übernommen. Vor halb sechs Uhr Morgens galt es aufzustehen. Um drei Viertel rief das Glockenzeichen zur Morgenandacht in das Oratorium, wo nach einer kurzen Lesung aus einem Erbauungsbuche eine stille Meditation folgte. Mit dem ersten Schlage der sechsten Stunde polterten die Sitze; man erhob sich, um in die Kirche selbst zu gehen und hier die beiden ersten Horen (Prim und Terz) abzubeten, welche größtentheils aus Psalmen bestehen, die abwechselnd Vers um Vers von den beiden gegenübersitzenden Seiten des Chores fast durchaus verständnißlos (mit dem versöhnenden stillschweigenden Motto: Gehorsam ist besser als Opfer) recitirt werden. Das währte etwa eine halbe Stunde, dann kehrten wir in unsere Zimmer zurück, wohin uns ein Conventsdiener, welcher zugleich die Functionen unseres Stubenmädchens ausübte, den Kaffee brachte, der übrigens vorzüglich war. Diese Conventsdiener waren schlichte Menschen von gesunder Constitution, seichtem Verstande und meist mangelndem Mutterwitz, trugen lange, dunkle Röcke, besaßen aber die wesentliche Tugend der Treue und der Anhänglichkeit an das Haus.

Um acht Uhr fanden wir uns zur Erbauungsstunde in dem Zimmer unseres unmittelbaren Vorgesetzten, des Novizenmeisters, ein. Wenn wir nun mit unseren harmlosesten andächtigen Mienen um seinen runden Tisch saßen, so begann er aus einem alten Buche mit hochrothen Decken uns die lateinisch verfaßte Lebensgeschichte des Ordensstifters vorzulesen und zu interpretiren.

Um zehn Uhr rief die Glocke wiederum zur Kirche, zu der sogenannten Conventmesse, während welcher wieder zwei Horen (Sext und Non) in der schon erwähnten Weise abgebetet wurden. Nach dem Gottesdienste führte man uns gleich den zweiten Tag eine Anzahl Bauernknaben aus der Umgebung des Klosters vor, in die wir uns redlich zu theilen und an denen wir pädagogische Experimente zu machen hatten. Beide Theile waren froh, wenn um dreiviertel Zwölf die Glocke neuerdings zur Kirche rief, zur stillen Adoration vor dem Sanctissimum. Da knieten wir denn und sollten meditiren und beten – ich bin indeß fest überzeugt, daß die Meisten sehnsüchtig auf das Zeichen des Priors warteten, sich zu erheben.

Nun wimmelte es nach dem Refectorium, wo sich alle zum Convente gehörigen Brüder zusammenfanden und sich zu beiden Seiten des Tisches aufstellten.

„Benedicite!“ begann der Vorsitzende.

„Domnius!“ entgegnete der Chor.

Dann folgte das „Edent pauperes et saturabuntur“ (Die Armen werden essen und satt werden).

Arm war das Essen eben nicht zu nennen; es waren einschließlich der Suppe fünf Gänge – „Wer Vieles bringt, wird Manchem Etwas bringen,“ ist wohl das Motto des Küchenmeisters. Auch für den Trunk war gut gesorgt; jeder Noviz erhielt täglich acht, der Kleriker zehn, der Priester zwölf Biermarken, für jede derselben ein Glas Bier, deren drei etwa ein österreichisches Maß ausmachen; was nicht getrunken wird, wird durch einen (niedrigen) Geldbetrag wieder eingelöst. Während der Mahlzeit liest ein Noviz von der Kanzel herab aus Thomas a Kempis „Imitatio Christi“. Um zwei Uhr Nachmittags wurde die Vesper in dem Oratorium abgebetet, was bis gegen drei Uhr währte. Dann wurden wir Neuaufgenommenen mit den Novizen des vorigen Jahres, die noch diese Woche in ihrem Amte blieben, um uns praktisch in unseren Pflichtenkreis einzuführen, „ausgetrieben“.

Wir durften nämlich (auch in der Folge) nur in Begleitung des Novizenmeisters ausgehen, der sich weder um die Gunst des Wetters noch um die Wünsche und Launen der Einzelnen kümmerte, der mit seinen hohen festen Stiefeln ebenso lachend durch den oft zollhohen Koth schritt – „er weicht schon aus, wenn man darauf tritt“ – wie über die von der heißen Sommermittagssonne ausgebrannte glühende Erde. Wir sind dem guten alten Manne indeß nie gram geworden. Um fünf Uhr begannen wir bereits mit Nachhülfe um das „Matutinum“ mit seinen vielen Theilen in dem Brevier zusammenzusuchen. Es war das keine ganz leichte Arbeit, die wir auch ziemlich lange nicht recht begreifen wollten. Und wenn ein Theil des Chorgebetes überhaupt ermüdend ist und mit einem gewissen Unmuthe durchgekostet wird, so ist es das Matutinum, das bis gegen sieben Uhr währt. Es wird dabei der Kehle wie dem Verstande ziemlich viel zugemuthet.

Um sieben Uhr findet die Abendmahlzeit statt; nach derselben beginnt ein munteres Leben an den kleinen Spieltischen, nicht immer ganz harmlos, denn die erhitzten Gesichter und zuweilen erhitzten Gemüther sprechen nicht von Gemüthlichkeit. Um dreiviertel Neun ruft die Glocke zum letzten Male zur abendlichen Meditation in das Oratorium. Das Bier hat einschläfernd gewirkt, und die Häupter sinken rechts und links und horchen, bis der erste Schlag der neunten Stunde die Erlösung bringt. Nun kommt der Conventdiener; die Lampen verlöschen in den Gängen – es wird still.

Das ist ein Tag aus dem Leben des Novizen.

So roll’ ich ohne Unterlaß,
Wie Sanct Diogenes, mein Faß.

Acht Tage nach der Einführung fand die Einkleidung statt. Schon drei Tage zuvor begannen die geistlichen Exercitien, welche blos darin einen Unterschied von der übrigen Zeit brachten, daß der übliche Nachmittagsspaziergang ausfiel und wir das Gebiet des Conventes überhaupt nicht verlassen durften. Am Tage vor der Einkleidung wurde dieselbe erst probeweise durch den Conventsschneider vorgenommen, der sich an dem Werke seiner Hände zunftgemäß erfreute. Dann wurden die einzelnen Stücke des Gewandes säuberlich zusammengefaltet, in den Capitelsaal getragen und durch darauf gelegte Zettel mit Namen gekennzeichnet.

Am nächsten Morgen, bereits nach ein Viertel Sieben, standen wir Einzukleidenden vor der Thür des Capitelsaales in einem Aufzuge, der uns gegenseitig recht heiter machte. Die Beinkleider hatten wir in hohe weiße Strümpfe gestülpt; an den Füßen saßen schwarze Schuhe, die der Eine in Ermangelung eigener von einer Küchengrazie geliehen hatte; ein weißes Nachtjäckchen, über welches bei Einem und dem Andern die Hosenträger liefen, deckte den Oberleib, und von dieser negligémäßigen Harlekinade stach seltsam die geistliche Halsbinde ab, die wir bereits angelegt hatten. Zwischen der Prim und Terz fand die Einkleidung statt. Auf rothsammtenem Polsterstuhle saß der Abt an einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_484.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)