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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

bald nur rastend. „Hätten vor Zeiten“ – klagt mit Recht G. Brückner – „die an den großen Heerstraßen gelegenen Wirthshäuser Tagebücher geführt, so könnten sie eine fesselnde reiche Fundgrube für mercantile und politische Verhältnisse des Volkslebens bieten, was ohne Zweifel werthvoller wäre, als die chronologischen Aufzeichnungen der alten Städte-Annalen von Schnee und Regen, Nebel und Reif, Hagel und Heuschrecken.“ Freilich zeigen die „Sattelpaß-Berichte“ auch, wie diese Tagebücher manchmal ausgesehen haben würden. Immerhin ist Brückner’s Wunsch gerechtfertigt durch den Werth des Wenigen, das uns von der Judenbacher Verkehrsgeschichte erhalten ist. In einem Heftchen „Kleine Chronica von Judenbach“ – gedruckt in diesem Jahre – das als Festgabe zu einer weiter unten zu erwähnenden nahen Feierlichkeit erschienen ist, lesen wir unter Anderm: „Anno

Staffelberg. Vierzehnheiligen. Mupperg. Neustadt. Kulmberg. Mönchröden. Veste Coburg.
 Banz. Sonneberg.
Das Judenbacher Luther-Wirthshaus auf dem Schönberg bei Sonneberg.
Originalzeichnung von L. Hutschenreuther zu Lichte in Thüringen.

1457 passirte Herzog Wilhelm der Tapfere Judenbach und verzehrte mit seinem Gefolge acht Groschen.“ Zwei Menschenalter später – „1516 den 26. und 27. Juni kam der Bischof von Regensburg durch Judenbach und verzehrte auf seiner Reise von Coburg bis hierher acht Gulden zwölf Silbergroschen anderthalben Pfennig“, ein Anzeichen, daß schon damals die geistlichen Herren größere Ansprüche an das Irdische stellten, als die Weltleute.

Uebrigens ist der Verkehr hier noch älteren Datums. Von Kaiser Otto dem Ersten (936 bis 973) an, der mehrmals in Saalfeld Reichstag hielt, sind manche deutsche Reichskronenträger und viele Reichsfürsten mit großem Gefolge, und selbst Könige des Auslandes die Judenbacher Straße gezogen. So nahm 1474 König Christian der Erste von Dänemark auf seiner Fahrt nach Rom seinen Weg über Saalfeld, Gräfenthal, Judenbach und Coburg. Denselben Weg schlug zwei Jahre später Herzog Albrecht von Sachsen auf seiner Pilgerreise nach Jerusalem ein. Aber auch Kaiser Karl der Fünfte kam mit Alba nach der Mühlberger Schlacht (1547) vor das Judenbacher Wirthshaus, und auch sie sind, wie Jeder, der die Bergfahrt überstanden, schwerlich ohne Imbiß und Trunk dort vorübergezogen. Den gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich den Großmüthigen hatten die spanischen Hakenschützen wenige Tage vorher desselben Weges geführt.

In des Volkes Gedächtniß lebt aber von all den Gästen Judenbachs nur Einer von Geschlecht zu Geschlecht fort: Martin Luther. Schon im Jahre 1518, und zwar am 14. April, kam er, der im Jahre zuvor seine fünfundneunzig Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen hatte, auf seiner Reise nach Heidelberg zum Convent der Augustiner gegen Abend nach Judenbach und traf daselbst mit dem kursächsischen Rath und Kammerherrn Pfeffinger zusammen, der mit ihm im Wirthshause übernachtete und für ihn und seine Begleiter die Zeche mitbezahlte. Weil sich keine Fahrgelegenheit fand, kam Luther am folgenden Abend sehr müde in Coburg an.

Zur selben Zeit passirte der Ablaßkrämer Tetzel Judenbach auf seiner Reise nach Rom.

Und in demselben Jahre, am 26. October, betrat Luther abermals die Gaststube des Judenbacher Wirthshauses, und wieder als ein sehr müder Mann, denn er kam von seiner Flucht aus Augsburg, wo er, wie er selbst erzählt, „in der Nacht ohne Hosen, Stiefel, Sporn und Schwert“ auf das Roß gestiegen war, das Doctor Staupitz ihm verschafft und auf dem er den bösen Ritt bis gen Wittenberg gemacht hat. „Wie ich den ersten Abend in die Herberge kam, war ich so müde, stieg im Stalle ab, konnte nicht stehen, fiel straks in die Streue.“ –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_487.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)