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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

tröstliche Ueberzeugung zu verschaffen, daß ich doch auch noch irgend etwas verstehe.“

„Ausrede!“ rief der Marchese. „Sie vermissen das weibliche Element hier, das Sie so sehr verehren und das Sie nun einmal nicht entbehren zu können scheinen. Leider kann mein Mirando Ihnen diesen Reiz noch nicht bieten. Sie wissen, ich bin unvermählt und habe mich bisher noch nicht entschließen können, meine Freiheit zu opfern.“

„Noch nicht entschließen können, Ihre Freiheit zu opfern,“ parodirte Hugo, „mein Gott, das klingt ja ganz entsetzlich. Wenn Sie wirklich die höchste Stufenleiter irdischen Glückes noch nicht erstiegen haben, wie die eigentliche Lesart lautet –“

Glauben Sie ihm nicht, Cesario!“ fiel Reinhold ein. „Mein Bruder ist mit all’ seiner Ritterlichkeit und Galanterie doch im Grunde eine Eisnatur, die so leicht nichts erwärmt. Er tändelt mit Allen – Empfindung hat er für Keine; der jedesmalige Roman, den er Liebe, gelegentlich auch wohl Leidenschaft zu nennen beliebt, dauert gerade so lange, wie er am Lande ist, und verweht mit der ersten frischen Brise, die seine ‚Ellida‘ wieder heraustreibt in’s Meer. In seinem Herzen hat sich noch nie etwas geregt.“

„Abscheuliche Charakteristik!“ rief Hugo, seine Cigarre fortwerfend. „Ich protestire feierlichst.“

„Willst Du etwa behaupten, sie sei ungerecht?“

Der Capitain lachte und wandte sich an Tortoni. „Ich versichere Ihnen, Signor Marchese, daß ich auch unverbrüchlich treu sein kann – meiner schönen blauen Wellenbraut da draußen“ – er wies nach dem Meere hinüber –, „der habe ich mich nun einmal angelobt mit Herz und Hand. Sie allein versteht es, mich immer wieder von Neuem zu fesseln und festzuhalten, und wenn sie mir auch hin und wieder erlaubt, in ein Paar schöne Augen zu blicken, eine ernstliche Untreue duldet sie nicht.“

„Bis Du einmal doch in ein Paar Augen blickst, die Dich lehren, daß Du auch nicht gefeit bist gegen das allgemeine Loos der Sterblichen,“ sagte Reinhold, halb scherzend, halb mit einer Bitterkeit, die nur dem Bruder allein verständlich war. „Es giebt solche Augen.“

„O ja, es giebt solche Augen,“ wiederholte Hugo mit einem beinahe träumerischen Ausdrucke in das Meer hinausblickend.

„Wie, Signor, der Ton klang ja äußerst bedenklich,“ neckte der Marchese. „Sind Sie vielleicht doch schon den bewußten Augen begegnet?“

„Ich?“ der Capitain hatte den augenblicklichen Ernst schon wieder abgeschüttelt und war ganz wieder der alte Uebermuth. „Thorheit! Ich hoffe noch ziemlich lange dem ‚allgemeinen Loose der Sterblichen‘ zu trotzen. Sie hören es ja.“

„Schade, daß Sie hier so gar keine Gelegenheit finden, diesen heroischen Entschluß zu bewahrheiten,“ meinte Cesario. „Die einzige Nachbarschaft, die wir haben, schließt sich in einer Weise ab, die es gar nicht bis zu einer Versuchung kommen läßt. Die junge Signora zumal –“

„Eine junge Signora? Wo?“ Hugo fuhr aufgeregt in die Höhe.

Der Marchese zeigte nach einem Landhause hinüber, das, kaum eine Viertelstunde entfernt, halb versteckt in einem Olivenwalde lag.

„Dort drüben die Villa Fiorina ist schon seit mehreren Monaten bewohnt. Wie ich höre, sind es sogar Landsleute von Ihnen, Deutsche, welche sich dort für den Sommer niedergelassen haben; aber sie scheinen sich vollständigste Einsamkeit und Unsichtbarkeit zum Gesetze gemacht zu haben. Es wird Niemand dort empfangen, Niemand angenommen. Besuche aus S., die Bekanntschaften aus der Heimath geltend machten, wurden ohne Ausnahme zurückgewiesen, und da die Familie sich auch bei ihren Spaziergängen größtentheils auf den Park und die Terrasse beschränkt, so ist die Unnahbarkeit eine vollständige.“

„Und die Signora? Ist sie schön?“ fragte Hugo in lebhaftester Spannung.

Cesario zuckte die Achseln. „Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich sah sie nur flüchtig und in ziemlicher Entfernung ein einziges Mal. Eine schlanke jugendliche Gestalt, ein Kopf voll schöner goldblonder Flechten; das Gesicht war mir leider nicht zugewandt, und ich ritt auch ziemlich schnell vorüber. “

Ohne das Gesicht gesehen zu haben? Signor Marchese, ich bewundere Ihren Stoicismus, verwahre mich aber feierlich gegen die Zumuthung, ihn irgendwie nachzuahmen. – Bis heute Abend bringe ich Ihnen und Reinhold die Nachricht, ob die Signora wirklich schön ist oder nicht.“

„Das möchte Ihnen doch schwer werden,“ lachte der Marchese. „Sie hören es ja, der Eintritt ist nicht zu erlangen.“

„Bah, als ob mich das hinderte!“ rief Hugo übermüthig. „Jetzt fängt die Sache erst an interessant zu werden. Eine unzugängliche Villa, eine unsichtbare Dame, die noch dazu blond und eine Deutsche ist – das werde ich untersuchen, gründlich untersuchen. Schon meine Pflicht als Landsmann gebietet mir das.“

„Gott sei Dank, daß Sie ihn auf diese Spur gebracht haben, Cesario,“ sagte Reinhold. „Nun stört uns hoffentlich sein mühsam verhaltenes Gähnen nicht mehr, wenn wir von Musik reden. Ich wollte so noch Einiges über die Partitur mit Ihnen sprechen.“

Der junge Marchese war aufgestanden und legte jetzt wie bittend die Hand auf seine Schulter.

„Nun, und die Oper? Bleiben Sie unerbittlich bei Ihrem Ultimatum stehen? Ich versichere Ihnen, Rinaldo, es ist fast unmöglich, all die Aenderungen bis zum Herbste durchzuführen; ich habe mich selbst davon überzeugt. Man wird einen neuen Aufschub verlangen müssen, und Publicum und Gesellschaft warten nun bereits seit Monaten.“

„So warten sie noch länger.“ Es klang eine hochmüthig schroffe Abweisung in den Worten.

„Wie ein Dictator gesprochen,“ bemerkte Hugo. „Bist Du immer so souverain dem Publicum gegenüber? Das Bild, das Maestro Gianelli von Dir entwarf, scheint doch einige treffende Züge zu besitzen. Ich glaube, es war wirklich nicht so unbedingt nothwendig, das ganze Opernpersonal, inclusive Eccellenza den Intendanten, so in Verzweiflung zu bringen, wie Du es diesmal gethan hast.“

Reinhold hob den Kopf mit dem ganzen Stolze und der ganzen Rücksichtslosigkeit des verwöhnten, gefeierten Künstlers, der gewohnt ist, seinen Willen als ein Gesetz befolgt zu sehen, und dem ein Widerspruch gleichbedeutend mit Beleidigung ist.

„Ueber mein Werk und dessen Ausführung verfüge ich. Entweder man hört die Oper in der Gestalt, wie ich es wünsche, oder man hört sie nicht. Ich habe ihnen die Wahl gelassen.“

„Als ob es eine Wahl gäbe!“ meinte Cesario achselzuckend, indem er sich zu einem der Diener wandte, um ihm einen Auftrag zu geben, und die Brüder auf einige Minuten allein ließ.

„Leider scheint es hier keine zu geben,“ sagte Hugo, dem jungen Wirthe nachblickend. „Und Marchese Tortoni hat Dich auch mit auf dem Gewissen, wenn Du schließlich noch ganz und gar verdorben wirst durch die unsinnige Vergötterung, die man mit Dir treibt. Der leistet das Möglichste darin, wie überhaupt Dein ganzer Verehrerkreis! Sie setzen Dich ja wie einen Dalai Lama in die Mitte und gruppiren sich ehrfurchtsvoll um Dich herum, um den Aeußerungen Deines Genius zu lauschen, auch wenn es diesem Genius gelegentlich einmal belieben sollte, seine begeisterte Umgebung zu maltraitiren. Schade um Dich, Reinhold. Sie treiben Dich damit unfehlbar zu der Klippe, an der schon so manche bedeutende Kraft gescheitert ist – zur Selbstvergötterung.“

„Nun, daß dies vorläufig noch nicht geschieht, dafür sorgst Du schon,“ entgegnete Reinhold sarkastisch. „Du scheinst Dich jetzt ganz ausgezeichnet in der Rolle des getreuen Eckhard zu gefallen und probirst sie bei jeder Gelegenheit; sie ist aber die undankbarste von allen; gieb sie auf, Hugo! Sie sagt Deiner Natur ganz und gar nicht zu.“

Der Capitain runzelte die Stirn, aber er blieb vollkommen ruhig bei dem Tone, der einen Anderen leicht gereizt hätte, warf die Vogelflinte über den Rücken und ging hinaus. Nach wenigen Minuten schon befand er sich draußen am Meere, und als der frische Seewind erst seine Stirn kühlte, da war es auch schon wieder aus mit dem ganzen Ernste des Herrn Capitain; er schlug richtig den Weg nach der Villa Fiorina ein.

Die Wahrheit zu sagen, begann sich Hugo bereits zu langweilen in Mirando und in der vorwiegend künstlerischen Atmosphäre, welche die Neigung des Marchese und die Gegenwart seines Bruders dort schufen. Die paradiesische Lage der Besitzung war dem mit der Schönheit der Tropenwelt vertrauten Seemanne nichts Neues,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_492.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)