Seite:Die Gartenlaube (1874) 493.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und die Einsamkeit, der sich Reinhold mit einer fast krankhaften Sehnsucht hingab, sagte Hugo’s lebensfroher Natur durchaus nicht zu. Freilich lag das von Fremden schon reich bevölkerte S. in ziemlicher Nähe, aber man konnte doch nicht allzu oft hinüberfahren und dadurch dem jungen Wirthe zeigen, daß man bei ihm die Geselligkeit vermisse. Da kam denn diese vermuthlich schöne und jedenfalls geheimnißvolle und interessante Nachbarschaft äußerst gelegen, und Hugo war sofort entschlossen, sie sich zu Nutze zu machen.

„Das halte ein Anderer aus mit diesen Künstlern und Kunstenthusiasten!“ sagte er ärgerlich, während er den Weg am Meere entlang verfolgte. „Den halben Tag lang sitzen sie am Flügel, und während der übrigen Zeit sprechen sie von Musik. Reinhold bewegt sich ewig in Extremen. Mitten aus dem wildesten Leben, aus den unsinnigsten Aufregungen stürzt er sich Hals über Kopf in diese ideale Einsamkeit und will nichts weiter hören und wissen als nur seine Musik; mich soll nur wundern, wie lange das anhält. Und dieser Marchese Tortoni? Jung, schön, reich, aus dem edelsten Geschlecht, weiß dieser Cesario mit dem Leben nichts Besseres anzufangen, als sich monatelang in die Einsamkeit seines Mirando zu vergraben, den Dilettanten in großem Stile zu spielen, und dem Reinhold mit seiner maßlosen Vergötterung den Kopf noch mehr zu verdrehen. Da verstehe ich meine Zeit doch besser anzuwenden!“

Bei diesen letzten mit großem Selbstgefühle gesprochenen Worten blieb der Capitain stehen, denn das Ziel seines Ganges war vorläufig erreicht. Vor ihm lag die Villa Fiorina, überschattet von hohen Pinien und Cypressen und wie vergraben in blühenden Gesträuchen. Das Haus selbst schien prachtvoll und geräumig zu sein, aber die Hauptfront, sowie die nach dem Meere hinaus gelegene Terrasse waren so dicht umrankt und umgeben von Rosen- und Oleandergebüschen, daß selbst der Falkenblick Hugo’s es nicht vermochte, die duftige Schutzwehr zu durchdringen. Eine hohe, von Schlingpflanzen überwucherte Mauer umschloß die parkartigen Gartenanlagen, die in dem Olivenwalde endigten, der die Besitzung umgab. Sie mochte, nach der Großartigkeit der ganzen Anlage zu urtheilen, wohl früher das Eigenthum einer vornehmen Familie gewesen sein, dann, wie so viele ihres Gleichen, öfter den Besitzer gewechselt haben, und jetzt reichen Fremden zum vorübergehenden Aufenthalt dienen. Jedenfalls gab sie an Schönheit der Lage dem viel gepriesenen Mirando des Marchese Tortoni nicht das Geringste nach.

Der Capitain hatte seinen Feldzugsplan bereits entworfen; er musterte daher nur flüchtig die Umgebung, machte einen vergeblichen Versuch von der Seeseite her einen freieren Blick auf die Terrasse zu gewinnen, maß für alle Fälle mit dem Auge die Höhe der Gartenmauer und schritt dann geradeswegs nach dem Eingange, wo er die Glocke zog und ohne Weiteres die Herrschaft zu sprechen verlangte.

Der Pförtner, ein alter Italiener schien für dergleichen Fälle schon seine Instruction zu haben, denn ohne nur nach dem Namen des Fremden zu fragen, erklärte er kurz und bündig, die Herrschaft nehme keine Besuche an, und er bedaure, daß sich der Signor umsonst bemüht habe.

Hugo zog kaltblütig seine Karte hervor. „Man wird eine Ausnahme machen. Es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit, die durchaus persönliche Rücksprache erfordert. Ich werde inzwischen hier warten, da ich jedenfalls werde empfangen werden.“

Er ließ sich ruhig auf die Steinbank nieder, und diese unerschütterliche Zuversicht imponirte dem Pförtner dermaßen, daß er wirklich an die Wichtigkeit der vorgeblichen Mission zu glauben begann. Er verschwand mit der Karte, während Hugo, ganz unbekümmert um die etwaigen Folgen, das Resultat seines kecken Manövers abwartete.

Dieses Resultat war ein über Erwarten günstiges, denn schon nach kurzer Zeit erschien ein Diener, der den Fremden, welcher sich mit einem deutschen Namen eingeführt, auch in dieser Sprache anredete, und ihn ersuchte, einzutreten. Er führte den Capitain in einen Gartensaal und ließ ihn dort allein, mit der Versicherung, der Herr werde sogleich erscheinen.

„Glück muß der Mensch haben,“ sagte Hugo, selbst ein wenig erstaunt über dieses unerwartet schnelle Gelingen. „Ich wollte, Reinhold und der Marchese könnten mich jetzt sehen. Mitten in der ‚unzugänglichen‘ Villa, in Erwartung des Herrn und Gebieters derselben, und nur einige Thüren weit von der blonden Signora. Das ist vorläufig genug für die ersten fünf Minuten, und das hätte nicht einmal mein genialer Herr Bruder fertig gebracht, vor dem doch sonst alle Thüren springen. Jetzt heißt es aber selbst genial sein, im Lügen nämlich. Was in aller Welt sage ich diesem Edlen, bei dem ich mich in einer wichtigen Angelegenheit habe anmelden lassen, ohne je eine Sylbe von ihm gehört zu haben, so wenig als er von mir? Ah bah! Irgend Jemand hat mir auf irgend einer meiner Fahrten irgend einen Auftrag gegeben. Im schlimmsten Falle kann ich mich doch nur in der Person geirrt haben, inzwischen ist die Bekanntschaft eingeleitet, und das Uebrige ergiebt sich von selbst. Ich werde die Improvisation ganz nach der Persönlichkeit des Betreffenden einrichten, jedenfalls gehe ich nicht von der Stelle, ohne die Signora gesehen zu haben.“

Er nahm Platz und begann in vollster Gemüthsruhe die Umgebung zu betrachten. „Meine verehrten Landsleute scheinen in der That der glücklich situirten Minderheit anzugehören, die jährlich über einige Zehntausende verfügt. Die ganze Villa nebst Park zum ausschließlichen Gebrauche gemiethet – die Einrichtung mit großen Kosten vervollständigt, denn diesen Comfort findet man nicht hier im Süden – die eigene Dienerschaft mitgebracht; ich sah nicht weniger als drei Gesichter da draußen, denen die urgermanische Abkunft auf der Stirn geschrieben steht. Jetzt ist nur die Frage, ob wir es mit der Aristokratie oder mit der Börse zu thun haben. Das Letztere wäre mir lieber, ich kann da doch wenigstens einige mercantilische Beziehungen geltend machen, während ich vor einem hohen Adel in der ganzen Nichtigkeit des Bürgerlichen – – wie, Consul Erlau?“

Mit diesem in grenzenlosem Erstaunen hervorgestoßenen Ausrufe prallte Hugo von der Schwelle zurück, auf der jetzt die wohlbekannte Gestalt des Handelsherrn erschien. Der Consul war freilich im Laufe der Jahre sehr gealtert, das einst so volle dunkle Haar erschien grau und spärlich; die Züge trugen den Ausdruck eines unverkennbaren Leidens, und auch das freundliche Wohlwollen, das sie sonst belebte, war, für den Augenblick wenigstens, einer kalten Gemessenheit gewichen, mit der er sich dem Gaste näherte.

„Herr Capitain Almbach, Sie wünschen mich zu sprechen?“

Hugo war bereits Herr seiner Ueberraschung geworden und augenblicklich entschlossen, diesen ganz unerwartet günstigen Zufall nach Kräften zu benutzen. Er nahm all seine Liebenswürdigkeit zusammen.

„Herr Consul, ich bin Ihnen sehr dankbar – ich hoffte in der That kaum, von Ihnen persönlich empfangen zu werden.“

Erlau ließ sich nieder und lud ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen ein.

„Ich habe auch auf ärztliche Anordnung Besuche zu meiden; bei der Nennung Ihres Namens aber glaubte ich eine Ausnahme machen zu müssen, da es sich vermuthlich um meine Eigenschaft als Vormund Ihres Neffen handelt. Sie kommen im Auftrage Ihres Bruders?“

„Im Auftrage Reinhold’s?“ wiederholte Hugo ungewiß. „Wie so?“

„Es ist mir lieb, daß Herr Almbach keine persönliche Annäherung versucht hat, wie er sie schon einmal schriftlich versuchte,“ fuhr der Consul noch immer in dem Tone kühler Zurückhaltung fort. „Er scheint trotz unserer absichtlichen Zurückgezogenheit den gegenwärtigen Aufenthalt seines Sohnes zu kennen. Ich bedaure aber, Ihnen mittheilen zu müssen, daß Eleonore durchaus nicht gesonnen ist –“

„Ella? Sie ist hier? Bei Ihnen?“ fuhr Hugo mit solcher Lebhaftigkeit auf, daß Erlau ihn mit äußerster Befremdung anblickte.

„War Ihnen das nicht bekannt? Dann, Herr Capitain, darf ich wohl fragen, was mir eigentlich die Ehre Ihres Besuches verschafft?“

Hugo überlegte einen Augenblick, er sah wohl, daß der Name Reinhold’s, der ihm die Thüren geöffnet, doch die schlimmste Empfehlung war, die er hier mitbringen konnte, und faßte danach seinen Entschluß.

„Ich muß zuvörderst einen Irrthum aufklären,“ entgegnete er mit vollster Offenheit. „Ich komme weder als Abgesandter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_493.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)