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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Luising“, dann schimmerte wohl das Gefühl der Bangigkeit aus seinen Augen, daß er von der getrennt werden könne, mit der sein ganzes Leben, sein Denken und Fühlen so innig verbunden war, die ihm in trüben und guten Stunden treu und lieb zur Seite gestanden, die ihn gepflegt und gehütet, wie nur eine Mutter ihr Kind hüten kann. Täglich kam sein treuer und tüchtiger Arzt, Dr. Wedemann zu ihm, und wenn derselbe auch das mehr und mehr dahinschwindende Leben nicht aufzuhalten vermochte, da trotz aller Bemühungen der seit Monaten fehlende Appetit nicht wiederkehren wollte, so brachte er ihm doch jedesmal Beruhigung und neue Hoffnung mit.

Noch war es ihm vergönnt, seine Lieblinge, die auf der Terrasse stehenden schönen Rosen, blühen zu sehen; noch freute er sich über die prachtvoll blühende Glycinia chinensis, die seit Jahren nicht eine so reiche Blüthenfülle gezeigt hatte, und noch sah er die prächtig blaue Blume der Clematis Bachmanni, die an dem Balcon seiner Villa sich emporrankt.

Am Donnerstag Morgen, drei Tage vor seinem Tode, ließ er sich zum letzten Male in seinem Rollstuhle auf die Terrasse fahren, dann legte er sich nieder um auszuruhen – er sollte sein Bett nicht wieder verlassen. Die heißen und schwülen Tage hatten seinen Zustand verschlimmert, aber noch am Freitage und Sonnabend war keine ernstliche Besorgniß für sein Leben vorhanden, denn ähnliche Tage, an denen er während seiner Krankheit an das Bett gefesselt war, waren öfter vorgekommen. In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntage und vor Allem am Sonntage selbst nahm sein Leiden schnell zu, und nur zu bald war die Hoffnung abgeschnitten.

An Pflege fehlte es dem Kranken nicht – was Menschenmacht zu leisten vermochte, ist geschehen; seine Gattin wich nicht von seiner Seite. Die Diaconissin, Schwester Telesphora, unterstützte sie in ihrer stillen und bescheidenen Weise auf das Beste. Dr. Wedemann war fast unablässig bei dem Kranken und Reuter’s langjähriger Freund, der Gerichtsrath Fischer, gab ihm den Freundeszuspruch.

Die Herzensthätigkeit des Kranken wurde schwächer und schwächer. Seine Leiden waren erträglich, nur wenige Male, wenn die Brust nach Athem rang, drängten sich die leisen Klageworte:„Mein Gott!“ über seine Lippen. Sein Geist war noch immer klar und frisch, obschon das Gefühl des nahen Todes ihn erfaßt hatte. Als er seine Gattin fragte, wohin sie ihn nach seinem Tode bringen lassen werde, und sie ihm erwiderte, in ihr Zimmer, welches wie ein Heiligthum geschmückt und mit Andenken von ihm und an ihn erfüllt ist, da ergriff er tiefbewegt ihre Hand und rief: „meine Luising, das wolltest Du thun!“

Allmählich ging sein Geist in einen halbträumenden Zustand über, aus dem er dann und wann wieder zu voller Klarheit erwachte. Die beste und unvergeßliche Gestalt seiner Werke, der Inspector Bräsig, schien wie zum Abschiede vor ihm aufzutauchen, denn mit geschlossenen Augen daliegend sprach er leise: „Da bin ich Dich über!“ dieselben Worte, welche Bräsig zu Habermann spricht. Und als er dann nach einiger Zeit leise, halb fragend rief: „Gedenken, gedenken?“ und seine Lebensgefährtin schluchzend seine Hand küßte und rief: „Ja, immer in Liebe und mit Dank!“ da öffneten sich seine Augen und ruhten still auf der Gefährtin.

Der Abend nahte. Das Herz wurde schwächer und schwächer. Als der Arzt wieder zu ihm in’s Zimmer trat, sprach er: „Herr Doctor, ein schwerer, schwerer Kranker!“ Er fühlte das Nahen des Todes. „Friede, Friede, Friede!“ rief er nach einiger Zeit, als wollte er noch einmal der Welt das als Vermächtniß zurufen, was er stets gewünscht, als empfände er, daß auch auf ihn der Friede sich herabsenkte nach einem Leben, das so reich an Kampf, an Schmerzen und auch an Freuden gewesen war.

Schwerer und schwerer athmete seine Brust; die Müdigkeit des ewigen Schlafes legte sich auf seine Augen. Den Kopf etwas zur Seite wendend, sprach er: „Luising, lulle mich in Schlaf!“ Es waren seine letzten Worte. Nach kurzer Frist hatte sein Herz zu schlagen aufgehört – am Sonntag den 12. Juli, Nachmittags fünf und ein halb Uhr.

So war der Heimgang eines Dichters, der in den Herzen von vielen Tausenden für immer leben wird. Draußen im Garten dufteten die Rosen und weißen Lilien, und die Clematis an dem Balcon ließ wie zur Trauer ihre Hunderte von Blüthen niederhängen. Die Stille des Todes war eingekehrt in das Haus, welches der Geschiedene sich vor noch nicht zehn Jahren so schön erbaut, in welchem sein Mund so manches heitere Wort gesprochen, in dem er so manchem Freunde die Hand gedrückt.

Um acht Uhr trugen wir den Todten aus seinem Schlafzimmer, in welchem er geschieden war, in das Zimmer seiner Gattin, um ihn dort niederzulegen, wie sie ihm versprochen hatte. Keine fremde Hand rührte ihn an. Dr. Wedemann, der Gärtner, die Schwester Telesphora und ich, wir trugen ihn, und als wir ihn dort halb zwischen Blattpflanzen und Blumen auf das letzte Lager gebettet, drängte sich uns unwillkürlich die Frage auf: ist er wirklich todt oder schläft er nur? So still und friedlich lag er da, der Tod hatte keinen seiner Züge verzerrt; kein starrer Ausdruck lag auf dem Gesichte – ein Hauch der Verklärung und der Poesie war über das liebe Gesicht ausgegossen.

Fritz Reuter ist todt! Diese Trauerkunde trug der Telegraph noch an demselben Abende fast durch ganz Deutschland hin, und schon am folgenden Morgen brachte er von allen Seiten die Beweise zurück, wie viel Liebe und Verehrung der Geschiedene genossen. Der Großherzog von Weimar, sowie die Großherzogin und deren Töchter, welche Reuter so manchen Beweis ihrer Liebe gegeben, gehörten mit zu den Ersten, welche durch den Telegraphen ihren Schmerz und ihre Theilnahme aussprachen. Und so ging es fort, Stunde um Stunde, während wir mit der tiefgebeugten Gattin des Todten zum neuen Friedhofe der Stadt Eisenach hinausfuhren, um für den Geschiedenen einen stillen und ruhigen Fleck Erde zur letzten Wohnung auszusuchen. Und wir fanden ihn. Nicht in Reihe und Glied mit den übrigen Todten, denn auch im Leben war er nicht in Reihe und Glied mit den Menschen gegangen, sondern er hatte zu ihren Geistesführern gehört im besten und edelsten Sinne. Er war stets einer der Ersten gewesen, wenn es ein gutes Werk auszuführen galt, und bescheiden war er dann zur Seite getreten. In einer stillen, friedlichen Ecke, wo zwei Wege des Friedhofs sich treffen, in dem Schatten von jetzt noch jungen Bäumen, die aber in wenigen Jahren ihre Zweige schützend und schirmend über das Dichtergrab ausbreiten werden, in einem traulichen Winkel, wie Reuter ihn so sehr geliebt, wurde der Begräbnißplatz erworben.

Wenn es für die Lebensgefährtin des Todten, die noch immer nicht fassen konnte, daß ihr Fritz nicht mehr lebte, daß sie nicht mehr zu ihm eilen konnte, um seine Hand zu erfassen, in diesen schweren, bitteren Stunden einen Trost geben konnte, so war es der, daß die Beweise der Liebe und Anerkennung für den Geschiedenen sich mit jeder Stunde häuften. Reicher ist wohl selten ein Dichter mit Lorbeerkränzen und Blumen bedacht worden; sie kamen nicht von Freunden und Bekannten allein, sondern als ferne Grüße von Vielen, die er durch seine Werke erfreut. Nannten doch Manche nicht einmal ihren Namen. Sie wollten nur ein Zeichen ihrer Anerkennung und Liebe geben; sandte doch selbst ein Tertianer aus Höxter, der Reuter’s Dichtungen gelesen, dem Todten einen Lorbeerkranz. Und wieder waren der Großherzog von Weimar und dessen Gemahlin nicht die Letzten, die für das Dichtergrab einen Lorbeerkranz und Palmenzweig schickten. Und so viele auch kamen von allen Seiten, ein Jeder, der den Geschiedenen kannte, mußte still sagen: er hat es verdient als Dichter und Mensch, denn ein braveres Herz hat selten geschlagen.

Der letzte schwere Tag, der Mittwoch, der Tag der Beerdigung brach an. Schon am Dienstag war der Todte in den Zinksarg gelegt, der ihn aufnehmen sollte. Am Mittwoch wurde dieser in den einfach schönen Sarg von Eichenholz gestellt, hatte Reuter die Eichen doch stets so gern gehabt. Wie ein Schlafender lag der Todte auf dem weißen Kissen. Mit Cedernzweigen und den Blüthen der weißen Lilie und der Clematis war sein Haupt und Körper umkränzt; aus des Dichters eigenem Garten hatte sein treuer Gärtner sie gepflückt. Noch hatte die entstellende Hand des Todes sich nicht an ihn gewagt; noch war sein Gesicht ebenso friedlich und mild; es schien um Jahre jünger geworden zu sein und glich wieder in auffallender Weise den Bildern seiner noch kräftigen Manneszeit. Aus hohen Cedern und Palmen hatten wir eine Laube um den Sarg gebaut – darinnen ruhte er so still. Schlief er wirklich nur? Wollte sein Mund noch einmal zu einem Gruße sich öffnen? Täuschte dieser Friede des Todes doch selbst seine treue Lebensgefährtin, denn mehr als einmal beugte sie sich über ihn, als ob sie auf seinen Athem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_499.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)