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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 32.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


„Nein!“ sagte der Capitain. – „Das geht nicht! – Ich – ich habe Ihnen ein Bekenntniß zu machen, Ella, – auf die Gefahr hin, daß Sie mir dann sofort die Thür weisen.“

„Was haben Sie mir denn zu bekennen?“ fragte die junge Frau erstaunt.

Hugo sah zu Boden. „Daß ich noch immer der ‚Abenteurer‘ bin, dem Sie einst so nachdrücklich den Text gelesen. Gebessert hat ihn das freilich nicht, aber er hat es seitdem doch nicht wieder versucht, mit seinen Thorheiten Ihnen nahe zu kommen, und kann’s auch heute nicht. Also kurz und gut, ich hatte keine Ahnung davon, wer die Bewohner dieser Villa seien, als ich meine Schritte hierher lenkte. Ich ließ mich bei dem mir völlig unbekannten Herrn melden, weil Marchese Tortoni mir von einer jungen Dame gesprochen hatte, die hier in äußerster Zurückgezogenheit lebe, und – ja, das wußte ich vorher, daß Sie mich wieder so ansehen würden.“

Ihr Blick hatte ihn in der That ernst und vorwurfsvoll getroffen; jetzt wandte sie sich schweigend ab und sah durch das Fenster. Es entstand eine Pause, dann trat Hugo an ihre Seite.

„Das war der ‚Zufall’, der mich hergeführt. Nun, Ella? Ich warte auf meine Strafpredigt.“

„Sie sind ja frei und haben keine Pflicht zu verletzen,“ sagte die junge Frau kühl. „Im Uebrigen kann meine Meinung in solchen Dingen wohl schwerlich von Einfluß auf Sie sein, Herr Capitain.“

„Und damit hat der Herr Capitain sich zu entfernen, um das nächste Mal verschlossene Thüren zu finden, nicht wahr?“ In seiner Stimme klang eine unverkennbare Erregung. „Sie sind doch ungerecht gegen mich. Daß ich hier, wo ich völlig Unbekannte zu finden wähnte, einem Abenteuer nachging – nun, das ist eben nichts Neues bei mir, aber daß ich die grenzenlose Albernheit beging, es Ihnen einzugestehen, obwohl mir doch der beste Vorwand zur Täuschung gegeben war, das ist sehr neu, und dazu haben nur Sie mich mit diesen Augen gezwungen, die mich wieder so groß und fragend anblickten, daß ich roth wurde wie ein Schulknabe und nicht von der Stelle konnte mit meiner Lüge. Und dafür bekomme ich nun auch sofort wieder den ‚Herrn Capitain‘ zu hören, der sich, Gott sei Dank, auf eine Viertelstunde aus unserem Gespräch empfohlen hatte.“

Ella schüttelte leise das Haupt. „Sie haben mir die ganze Freude am Wiedersehn verdorben – jetzt freilich –“

„Haben Sie sich denn gefreut? Haben Sie das wirklich?“ rief Hugo, sie lebhaft unterbrechend, mit aufblitzenden Augen.

„Gewiß,“ versicherte sie ruhig. „Man freut sich immer, wenn man in der Ferne Grüße und Erinnerungen aus der Heimath wiederfindet.“

„Ja so,“ sagte Hugo langsam. „Ich hatte ganz vergessen, daß wir nebenbei noch Landsleute sind. Also nur den Deutschen haben Sie in mir gesehen? Da bekenne ich denn doch offen, daß meine Regungen nicht so allgemein patriotischer Natur waren, als ich Sie wiedersah.“

„Trotz der unvermeidlichen Enttäuschung, die Ihnen die Entdeckung bereitete?“ fragte Ella mit einiger Schärfe.

Der Capitain sah sie einige Secunden lang unverwandt an.

„Sie lassen mich das unvorsichtige Geständniß arg büßen, Ella. Sei’s darum! Ich muß es wohl ertragen. Nur eine Frage noch, ehe ich gehe, oder eine Bitte vielmehr. Darf ich wiederkommen?“

Sie zögerte mit der Antwort; er trat ihr einen Schritt näher. „Darf ich wiederkommen? Ella, was habe ich Ihnen denn gethan, daß Sie auch mich von Ihrer Schwelle bannen wollen?“

Es lag ein Vorwurf in den Worten, der seinen Eindruck auf die junge Frau nicht verfehlte. „Ich thue es ja auch nicht,“ erwiderte sie leise. „Wenn Sie mich wieder aufsuchen wollen – Ihnen wird unsere Thür nicht verschlossen sein.“

Mit einer raschen Bewegung ergriff Hugo ihre Hand und zog sie an seine Lippen, aber diese Lippen ruhten ungewöhnlich lange darauf, viel länger als es sonst bei einem Handkuß üblich ist, und Ella schien das zu fühlen, denn sie zog etwas hastig die Hand zurück. Ebenso hastig richtete sich auch der Capitain auf; die helle Röthe von vorhin lag wieder auf seinem Antlitz und er, der nie um eine Artigkeit oder eine passende Antwort verlegen war, sagte jetzt nur einsilbig:

„Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen also!“

„Auf Wiedersehen!“ entgegnete Ella mit einer Befangenheit, die seltsam mit der Ruhe und Sicherheit contrastirte, die sie während der ganzen Unterredung gezeigt hatte. Fast schien es, als bereue sie die soeben gegebene Erlaubniß, die gleichwohl nicht mehr zurückgenommen werden konnte.

Wenige Minuten darauf befand sich Capitain Almbach im Freien und schlug langsam den Rückweg nach Mirando ein. Er hatte wieder einmal seinen Willen durchgesetzt und das heute Morgen im Uebermuthe gegebene Versprechen eingelöst. Aber er schien wenig geneigt, diesen Triumph irgendwo geltend zu machen. Nach der Villa zurückschauend, strich er mit der Hand über die Stirn wie Jemand, der aus einem Traume erwacht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_507.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)