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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Die Stunde scheint Dir noch Manches Andere gegeben zu haben, was Dir sonst fremd war – die Lust an der Rache zum Beispiel –“

„Und den Stolz, den ich Dir gegenüber nie gekannt,“ ergänzte Ella. „Ich mußte erst zu Boden getreten werden, ehe er aufwachte und mir zeigte, was ich mir und meinem Kinde schuldig war, dem Einzigen, was Du mir noch gelassen hattest, dem Einzigen, was mich noch aufrecht erhielt. Um seinetwillen habe ich noch einmal angefangen, zu lernen und zu arbeiten, als die Zeit des Lernens längst hinter mir lag, um seinetwillen habe ich mich emporgerissen aus den Vorurtheilen und Banden meiner Erziehung und meinem Leben eine neue Richtung gegeben, als der Tod der Eltern mich frei machte. Ich mußte dem Kinde jetzt alles sein, wie es mir alles war, und ich hatte mir gelobt, daß mein Sohn sich dereinst nicht der Mutter schämen sollte, wie sein Vater sich ihrer schämte, weil sie äußerlich hinter anderen Frauen zurückstand.“

Almbach’s Stirn färbte sich dunkelroth bei den letzten Worten. „Es war nicht meine Absicht, Dir Reinhold streitig zu machen,“ sagte er hastig. „Nur sehen wollte ich ihn, wenn es sein muß, in Deiner Gegenwart. Du weißt nur zu gut, welch’ eine Waffe Du mit dem Kinde in Deiner Hand hast, und gebrauchst sie schonungslos gegen mich. Ella,“ er trat ihr näher und zum ersten Male klang etwas wie Bitte in seiner Stimme, „Ella, es ist unser Kind. Dieses Band wenigstens reicht noch aus der Vergangenheit herüber in die Gegenwart, das einzige zwischen uns, das nicht zerrissen wurde. Willst Du es jetzt zerreißen? Soll der Zufall, der uns hier zusammenführte, wirklich nur Zufall bleiben? In Deinen Händen liegt es, ihn zu einer Schicksalswendung zu machen, die vielleicht noch zum Heil werden kann für uns Beide.“

Die Hindeutung war verständlich genug, aber die junge Frau wich zurück, und auf ihr Antlitz legte sich wieder jener verhängnißvolle Ausdruck, der „Nein!“ sprach bis in alle Ewigkeit.

„Für uns Beide?“ wiederholte sie. „Also glaubst Du wirklich, ich könnte ein Glück an Deiner Seite finden, nach Allem was Du mir angethan? Wahrlich, Reinhold, Du mußt sehr durchdrungen sein von Deinem Werthe oder meinem Unwerthe, daß Du es wagst, mir das zu bieten. Freilich, wo hättest Du auch Achtung für mich lernen sollen? In meinem Elternhause war es ja nicht möglich. Ich war zum Gehorsam, zur Unterordnung erzogen und brachte beides auch meinem Gatten entgegen. Was wurde mein Lohn dafür? Ich war die Letzte in seinem Hause und die Letzte in seinem Herzen. Er hielt es nie der Mühe werth, danach zu fragen, ob die Frau, der er sich doch nun einmal verbunden, auch wirklich so beschränkt, so unempfänglich für alles Höhere, oder ob sie nur verschüchtert war durch den Druck einer Erziehung, unter der wir Beide gelitten hatten. Er wies meine scheuen Versuche, mich ihm zu nähern, verächtlich, verletzend zurück, und ließ es mich täglich und stündlich fühlen, daß nur das Verdienst, die Mutter seines Kindes zu sein, mir noch einen Anspruch auf seine Duldung gab. Und als ihm die Kunst und das Leben aufgingen, da warf er mich bei Seite wie eine Last, die man lange genug mit Widerwillen getragen, da gab er mich dem Gerede, dem Spotte, dem entehrenden Mitleid preis, da verließ er mich um einer Anderen willen, und fragte an der Seite dieser Anderen nicht danach, ob das Herz seines Weibes sich verblutete an dem Todesstoß, den er ihr gegeben. – Und jetzt, meinst Du, bedürfe es nur eines Wortes, um das alles ungeschehen zu machen? Du meinst, Du brauchest nur die Hand auszustrecken, um das wieder an Dich zu reißen, was Du einst von Dir stießest? Glaubst Du? Nein, so spielt man nicht mit dem Heiligsten auf Erden, und wenn Du glaubtest, die verachtete, verstoßene Ella würde dem ersten Winke gehorchen, durch den Du sie wieder zu Gnaden annimmst, so sage ich Dir jetzt: eher stürbe sie mit ihrem Kinde, ehe sie Dir wieder folgte. Du hast Dich losgesagt von Deinen Gatten- und Vaterpflichten, und wir haben es gelernt, den Gatten und Vater zu entbehren. Du hast es ja klar genug ausgesprochen, daß wir die ‚Fesseln‘ waren, die den Aufschwung Deines Genius hemmten – nun wohl, sie sind jetzt gebrochen, durch Dich gebrochen, und ich gebe Dir mein Wort darauf, sie werden Dich nie mehr drücken. Du hast ja Deinen Lorbeer und Deine – Muse. Was brauchst Du da noch Weib und Kind?“

Sie schwieg, überwältigt von der Erregung, und preßte beide Hände gegen die stürmisch wogende Brust. Reinhold war todtenbleich geworden, und doch hing sein Auge wie festgebannt an ihr. Das Lampenlicht fiel voll auf ihr Gesicht und auf die blonden Flechten, wie an jenem Abende, wo er ihr so schonungslos die Trennung ankündigte. Aber wo war die Ella geblieben, die damals scheu und furchtsam an seinen Mienen hing, und jedem Winke, jeder Laune gehorsam folgte? Auch nicht ein Zug von ihr war in dem Wesen zu entdecken, das so hoch und stolz aufgerichtet ihm gegenüberstand und so energisch ihm die einst empfangenen Demüthigungen zurückschleuderte. Sie konnten aufflammen, diese blauen Märchenaugen, aufflammen in glühender Empörung, das sah er jetzt, aber er sah auch zum ersten Male, wie wunderbar schön sie waren, wie hinreißend die ganze Erscheinung der jungen Frau; in dieser leidenschaftlichen Erregung, und mitten durch den Zorn und Groll des tiefgereizten Mannes blitzte etwas auf, das fast der Bewunderung glich.

„Ist das Dein letztes Wort?“ fragte er endlich nach einer secundenlangen Pause.

„Mein letztes.“

Mit einer raschen Bewegung richtete sich Reinhold empor. All sein Trotz und Stolz flammte wieder auf bei dieser Art der Zurückweisung. Er schritt nach der Thür, während Ella unbeweglich auf ihrem Platze verharrte, aber an der Schwelle blieb er noch einmal stehen und wandte sich zurück.

„Ich fragte nicht danach, ob das Herz meines Weibes sich verblutete an dem Todesstoße, den ich ihr gegeben –“ wiederholte er mit verschleierter Stimme. „Hast Du ihn denn überhaupt gefühlt, Ella?“

Sie schwieg.

„Damals glaubte ich es in der That nicht,“ fuhr Reinhold mit tiefer Bitterkeit fort, „und die heutige Begegnung läßt mich mehr als je daran zweifeln, daß Dein Herz bei einer Trennung litt, die Deinen Stolz allerdings tiefer verwundete, als ich je für möglich gehalten. – Du brauchst nicht so angstvoll die Thür zu hüten; ich sehe es ja, daß ich Dich erst zur Seite schleudern müßte, um zu dem Kinde zu gelangen, und den Muth habe ich nicht. Für diesmal hast Du gesiegt. Ich verzichte auf das Wiedersehen. Leb’ wohl!“

Er ging. Sie hörte seinen Schritt draußen auf der Terrasse, dann das Rauschen der Gebüsche, durch die er sich einen Weg bahnte, endlich die Ruderschläge, die das Boot vom Lande entfernten. Die junge Frau athmete tief auf und verließ langsam den so energisch vertheidigten Platz. Sie trat an die Glasthür; vielleicht tauchte eine leise Besorgniß in ihr auf, ob der gewagte Sprung von der Terrasse ebenso glücklich sein werde wie das Ersteigen derselben es gewesen, aber in der Dunkelheit war nichts zu unterscheiden. Wie vorhin lag das Meer in träger Ruhe. Darüber hin breitete sich die stille schwüle Nacht, und um sie her dufteten die Blüthen – von Reinhold schien jede Spur verschwunden.

(Fortsetzung folgt.)




Literaturbriefe an eine Dame.


Von Rudolf Gottschall.


XIV.


Haben Sie, verehrte Frau, schon einmal das seltene Schatzkästlein bewundert, welches das österreichische Salzkammergut und das bairische Berchtesgaden unseren Blicken öffnet? Eine der Perlen dieses Schatzkästleins ist der Königssee, und Niemand wird über seine dunkeln Fluthen, zwischen seinen schroff abfallenden, riesig aufgethürmten Felsenmauern dahingleiten, ohne daß ihm die schwermüthigen Verse Nicolaus Lenau’s mit der großartigen Feier der Natureinsamkeit, wie sie dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_512.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)