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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

man auch reiten kann, auf den Rücken des Vorgebirges, dessen Ende das Observatorium trägt, zunächst in östlicher Richtung weiter und wendet sich dann, immer steigend, nach rechts in südöstlicher Richtung bis an den Fuß des eigentlichen Kegels. Man braucht zu dieser Strecke ungefähr drei Viertel Stunde und einen ziemlichen Aufwand von Kräften, weil man meist in Aschensand zu gehen hat. Hier ist alle Vegetation, welche unterhalb des Observatoriums durch Lavaströme streckenweise unterbrochen war, definitiv zu Ende.

Am Fuß des Kegels müssen die Reiter ihre Pferde zurücklassen. Es treiben sich da immer eine Menge Leute herum, welche theils die Obhut über die Pferde übernehmen, theils sich als Träger oder zum Beistand anbieten. Man kann nämlich die Vesuvbesteiger von hier an in drei Gruppen theilen; ein Theil will die Ueberwindung der Anstrengung nur den eigenen Kräften verdanken; ein anderer Theil nimmt Hilfe an, gewöhnlich einen Mann zum Ziehen an einem Riemen mit Handhaben und einen zweiten zum Schieben; Einzelne endlich lassen sich auf Tragsesseln hinauftragen. In der That ist es der Mehrzahl der fremden Vesuvbesteiger, besonders den Damen, nicht möglich, ohne Unterstützung hier hinaufzugelangen. Die Höhe beträgt vierhundertfünfzig bis fünfhundert Meter, die Neigung dreißig bis fünfunddreißig Grad, und der Weg ist tiefer Aschensand, in welchen man bei jedem Schritt einsinkt und zurückrutscht.

Als ich im Winter 1850 bis 1851 zwei Mal den Vesuv bestieg, ging der Weg in’s Atrio del Cavallo hinein, die breite, etwas gebogene, nach Süden concave Thalfläche, welche sich zwischen dem eigentlichen Kegel des Vesuv (im Südost und Süd) und den schroffen Wänden der Somma (im Nord) hinstreckt. (Auf unserem Bilde ist die Somma der Gipfel rechts.) Der Anstieg erfolgte somit an der Nordseite, nicht wie jetzt an der Westseite. Damals stieg man auf Lava hinauf, und wenn dieselbe auch großentheils aus lockerem Geröll bestand, doch sehr viel leichter, als jetzt. Der frühere Weg soll erst seit dem Ausbruch vom April 1872 verlassen worden sein, wahrscheinlich, weil sich in derselben Gegend bei diesem Ausbruch eine tiefe Schlucht gebildet hat, durch welche jetzt der Krater nach dem Atrio zu offen ist. Man kann den Vesuv auch von der Ostseite, von Pompeji aus, besteigen. Diesen Weg kenne ich nicht.

Die geplante Bahn wird den Besuch des Vesuv außerordentlich viel leichter und billiger machen. Der Plan ist mit großer Ueberlegung entworfen. Die Bahn soll, wie bereits angegeben, um die Nordseite des Vesuv, am Fuß der Somma hin, in großem Bogen herumführen auf die Südwestseite und erst hier, auf der Seite, wo Pompeji liegt, hinauf. So weit sie in der Ebene hinführt, durchschneidet sie höchst fruchtbares und reichbevölkertes Land, wird somit einen großen, von der Vesuvbesteigung unabhängigen Ertrag gewähren. Die Bergbahn ersteigt den Vesuv auf einer Seite, wo nach den bisherigen Erfahrungen neue Lava-Ausbrüche am wenigsten wahrscheinlich sind. Das oberste Ende, am Rande des Kraters, soll gedeckt werden, wahrscheinlich theils zum Schutz der dort stationirten Angestellten und Arbeiter vor den aus dem Krater aufsteigenden Wolken von Rauch und nicht athembaren Gasen, theils zum Schutz der Bahn und der Maschinen vor den zuweilen aus dem Krater emporfliegenden und am Rande niederfallenden Steinen.

Die Besteigung wird durch die Bahn nicht nur wegen des Wegfalls aller Anstrengung, die kürzlich noch einem Besteiger das Leben gekostet hat (durch ‚Herzschlag‘), wie wegen der großen Verminderung des Kosten- und Zeitaufwandes sehr viel angenehmer und leichter werden, sondern auch die Erreichung der mit der Vesuvbesteigung verbundenen Absichten viel mehr sichern. Jetzt kommen die Meisten so vollständig erschöpft oben an, daß sie weder für die Aussicht noch für die Eigenthümlichkeiten des Vulcans Sinn und Genußfähigkeit mehr haben. Der Krater selbst ist meist mit Rauch erfüllt und gewährt nur auf Augenblicke, wenn ein Windstoß den Rauch auf die Seite treibt, einen Einblick. Jetzt haben die Besucher weder so viel Zeit, um auf günstige Momente zu warten, noch genügende Körperkräfte übrig, um auf dem Rande vielleicht um den halben Krater herumzugehen und die Windseite aufzusuchen. In Zukunft wird man am Rande des Kraters aussteigen, also völlig frisch ankommen und über Zeit und Kräfte frei verfügen, auch im Nothfall leicht wiederkommen können.“




Moderne Kunstindustrie.


Drei große Fragen der Zeit waren es, welche mich im October 1838 lebhaft erregten. –

Mit dem kostbarsten Schatze von einem Manuscript in der Tasche eilte ich, wie nachher noch zehn Jahre lang fast alle Tage, nach der Kochstraße Nr. 70 zu Berlin, eine Treppe hoch, zu dem grauen Männchen mit dem Kopf voll weißen Haaren. Er saß in dem einfenstrigen Stübchen mit nur einem Stuhle, einem unwandelbaren, nicht polirten, nicht gestrichenen Tische am Fenster und einem ebenfalls unwandelbaren birkenen Stehpulte an der Seite. Die meisten Schauspieler damaliger Zeit, Künstler, Schriftsteller Berlins haben wohl alle mehr oder weniger oft in diesem kleinen Käfig von Zimmer gestanden. Nur für Damen holte der kleine, unwandelbare Professor Gubitz zuweilen einen gewöhnlichen Rohrstuhl aus dem Nebenzimmer, aber auch nicht für alle. Wenn ich nicht irre, beehrte er blos Charlotte von Hagen, die Birch-Pfeiffer, Clara Stich und vielleicht noch zwei oder drei andere weibliche Größen der königlichen Bühne mit einer solchen Gelegenheit und Aufforderung zum Sitzen. Männliche Größen, selbst Herr von Küstner, Seydelmann, Rott, Varnhagen von Ense, Karl von Holtei, Fouqué, Wilibald Alexis, Franz von Gaudy, der damalige Assessor und Verfasser des „Grad’ aus dem Wirthshaus“, Kopisch, Chamisso, ja sogar der alte ehemalige Minister und Dichter von Stägemann mußten stehen, während er, vielleicht um bei der Unterhaltung keine Zeit zu verlieren, tief über ein Buchsbaumblöckchen gebeugt saß und emsig den neuesten Holzschnitt corrigirte. Nur in dem noch kleineren Hinterzimmer saß sehr lange immer ein junger Mann, um Holzschneiden zu lernen, was ihm aber nicht so gut gelang, als seitdem sein Eindringen in das tiefste Leben des größten germanischen Dichters Shakespeare. Dieser Holzschneidelehrling war nämlich Rudolph Genée.

Die drei großen Zeitfragen, die damals zum ersten Male in meinem Kopfe zusammen wirthschafteten, hatten während des darauffolgenden Vierteljahrhunderts unsere ganze Zeit umgewandelt, nur nicht den Professor Gubitz. Als ich ihn 1861 zum ersten Male wiedersah, war’s noch ganz dasselbe graue Männchen mit dem Kopf von weißen Haaren, in demselben einfenstrigen Käfig mit dem unwandelbaren Tische und demselben birkenen Stehpulte. Nur um ihn herum und weit auf der ganzen runden Erde war Alles anders, Vieles um Hunderte von Procenten besser, Einiges freilich auch viel schlimmer geworden. Davon wollte er nun endlich nichts mehr wissen. Und so legte er sich bald darauf eines Tages hin zum Sterben, ohne je vorher krank gewesen zu sein.

Ja, das graue Männchen mit dem Kopf voll weißen Haaren war beinahe während der ganzen ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine merkwürdige, ungemein bekannte Größe Berlins für Bühne, Kunst und Literatur. Wer aus diesen Kreisen etwas auf dem Herzen hatte, begab sich nach der Kochstraße Nr. 70, eine Treppe hoch. Neulinge und Nestors, Alle wanderten zum Professor Gubitz. Ich that dies pflichtgemäß zehn Jahre lang, so daß ich auf diese Weise alle damaligen Größen Berlins und auch viele aus anderen Orten irgend ein oder mehrere Male hinter dem holzschneidenden Professor stehen sah. An diesem erwähnten Octobertage 1838 waren’s der damalige Pietsch der „Vossischen Zeitung“, Rellstab, und ein blasser, langer, mir unbekannter Mann. Begeistert über den Inhalt meines Artikels platzte ich gleich damit heraus und erzählte mit schwimmenden Blicken in die Zukunft von der in meinem Artikel geschilderten fabelhaften Entdeckung eines Franzosen, Namens Daguerre. Er verstehe es, Glasplatten chemisch so zu behandeln, daß sie einem beleuchteten Gegenstande gegenüber diesen in ganz kurzer Zeit genau auf dem Glase im Portrait wiedergäben. Auf diese Weise könne man menschliche


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_518.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)