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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 33.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Den duftig klaren Frühlingstagen folgte heiße Sommergluth. Der Golf und seine Umgebungen lagen Tag für Tag da in der ganzen sonnendurchleuchteten Schönheit, aber auch in der ganzen Gluth des Südens, nur die Seeluft bot noch einige Kühlung, und das Meer war deshalb auch das Ziel der meisten Ausflüge, die jetzt noch unternommen wurden.

Dieser wochenlangen Ruhe der Natur folgte endlich ein Ausbruch; ein Gewittersturm tobte in den Lüften und wühlte das Meer auf bis in seine fernsten Tiefen. Das Unwetter war so schnell heraufgezogen, so plötzlich losgebrochen, daß Niemand sich dessen versehen hatte, und jetzt wüthete es schon über eine Stunde mit unverminderter Gewalt.

Durch die schäumenden Wogen schoß ein Boot, das, augenscheinlich von dem Sturme überrascht, sich im Kampfe mit ihm befand. Eine Zeit lang war es in Gefahr gewesen, rettungslos erfaßt und auf die hohe See hinausgeschleudert zu werden, jetzt aber floh es mit vollen Segeln der Küste zu und nach einigen mißlungenen Versuchen glückte es ihm auch wirklich, zu landen.

„Das heißt mit dem Sturme um die Wette jagen,“ rief Hugo Almbach, indem er, über und über naß von Regen und Spritzfluthen, als der Erste an’s Land sprang. „Für diesmal sind wir der nassen Umarmung der Meeresgöttin noch glücklich entgangen. Nahe genug waren wir ihr.“

„Es ist doch ein Glück, wenn man so einen echten Seemann bei sich hat,“ meinte Marchese Tortoni, der in nicht trockenerem Zustande ihm folgte. „Das war ein Meisterstück, Signor Capitano, uns bei diesem Unwetter glücklich an’s Land zu bringen. Ohne Sie waren wir verloren.“

Reinhold hob die halb ohnmächtige Signora Biancona aus dem Boote, die sich zitternd und todtenbleich an ihn klammerte. „Mein Gott, beruhige Dich doch, Beatrice! Die Gefahr ist ja vorüber,“ sagte er ungeduldig, während der letzte Insasse der Barke, der englische Herr, der damals Hugo’s Incognito-Unterhaltung mit dem Maestro Gianelli beigewohnt hatte, gleichfalls den festen Boden gewann.

Inzwischen schüttete Jonas seine ganze Verachtung auf die beiden Schiffer aus, denen ursprünglich die Führung anvertraut gewesen war und die zum Glück die ihnen in deutscher Sprache gespendeten Lobsprüche nicht verstanden.

„Das wollen Seeleute sein – ein Schiff wollen sie regieren, und wenn ein elendes Gewitter heraufzieht, so verlieren sie den Kopf und schreien zu ihren Heiligen. Hätte mein Capitain Euch nicht das Steuer aus den Händen gerissen und ich die Segel auf mich genommen, so lägen wir jetzt drunten bei den Haifischen. Ich wollte, Ihr machtet einmal einen Sturm durch, wie er unsere ‚Ellida‘ packte, ehe wir hier einliefen, da würdet Ihr merken, was das Bischen Wehen auf Eurem Golfe zu bedeuten hat.“

Das „Bischen Wehen“ wäre von jedem Anderen als dem Matrosen für einen ganz erträglichen Sturm gehalten worden. Jedenfalls hatte es die Gesellschaft in Lebensgefahr gebracht, und sie dankte ihre Rettung nur der energischen Führung des Capitains, der soeben die Dankesäußerungen des Marchese und des Engländers abwehrte.

„Ich bitte Sie, Signori! Mir ist ja eine solche Fahrt nichts Neues und Ungewohntes. Ich bedauerte nur Sie wegen der unangenehmen Situation, in die Sie die Laune einer schönen Frau brachte.“

„Ja wohl, die Frauenzimmer sind an Allem schuld,“ brummte Jonas wüthend, während Hugo halblaut fortfuhr:

„Ich wußte bereits vor zwei Stunden, was uns Himmel und Meer trotz ihres heiteren Aussehens prophezeiten. Sie wissen ja, wie ernstlich ich die Fahrt widerrieth. Signora Biancona aber bestand entschieden darauf und geruhte, den ‚furchtsamen Seemann‘ zu verspotten, der sich nicht einmal ‚auf sein eigenes Element wagte‘. Ich glaube nun allerdings, daß mein Muth etwas weniger zweifelhaft geworden ist in ihren Augen, der ihrige dagegen –“ er brach plötzlich ab und that einige Schritte hinüber nach der andern Seite. „Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen, Signora?“

Beatrice zitterte noch immer, aber der Anblick ihres Widersachers, der wie die vollendete Artigkeit und die vollendete Malice vor ihr stand, gab ihr doch einigermaßen die Besinnung zurück. Für sie war es genügend gewesen, daß er sich gegen die Fahrt erklärte, um mit dem vollsten Eigensinne darauf zu bestehen und die übrigen Herren mit ihren Spottreden taub gegen jede Warnung zu machen. Die Todesangst der letzten Stunde hatte ihr freilich eine harte Lehre gegeben, und noch härter war es, daß sie gerade dem Capitain ihre Rettung danken mußte, der heute zum Helden geworden war, während sie sich in der Gefahr nichts weniger als heldenhaft benommen hatte.

„Ich danke – mir ist besser,“ antwortete sie, noch kämpfend zwischen Zorn und Verlegenheit.

„Ich bin glücklich, das zu vernehmen,“ versicherte Hugo,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_523.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)