Seite:Die Gartenlaube (1874) 527.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

seines sonst so liebenswürdigen Gastes. Während er der fremden Dame einige Höflichkeiten sagte, wartete er vergebens auf die Fortsetzung der Vorstellung, und als diese nicht erfolgte, übernahm er es, die vermeintliche Unart des Capitains wieder gut zu machen.

„Sie haben das Wichtigste vergessen, Signor,“ sagte er, die Sache rasch zum Scherze wendend. „Signora Erlau würde Ihnen schwerlich dankbar sein, wenn Sie ihr gerade die beiden Namen nicht nennen, die sie ohne Zweifel am meisten interessiren, und die ihr keinesfalls unbekannt sind. Signora Biancona – Signor Rinaldo.“

Beatrice, noch entrüstet über die ihr widerfahrene Beleidigung, grüßte nur mit einer

Photographische Aufnahme nach der Natur.
Nach einer Photographie von K. Muschler in Nürnberg

kurzen Neigung des Hauptes, die ebenso erwidert wurde, plötzlich aber ward sie aufmerksam. Sie fühlte, wie Reinhold’s Arm zuckte, wie er den ihrigen fallen ließ und einen Schritt von ihr wegtrat, als er sich verneigte. Sie kannte ihn allzu genau, um nicht zu wissen, daß er in diesem Momente, trotz seiner scheinbaren Ruhe, furchtbar erregt war. Diese fahle Blässe, dieses nervöse Zucken der Lippen waren das sichere Zeichen, daß er irgend eine leidenschaftliche Aufwallung mit Gewalt unterdrückte, und was sollte dieser Blick, der freilich nur einige Secunden lang dem der Fremden begegnete, aber er flammte in unverkennbarem Trotze und schmolz doch wieder in vollster Weichheit, als er auf das Kind an ihrer Seite fiel. Sie selbst freilich stand ihm völlig unbewegt gegenüber, auch nicht ein Zug regte sich in dem marmorkalten Antlitze, aber auch dies Antlitz war auffallend bleich und die Arme umschlangen den Knaben so krampfhaft fest, als sollte er ihnen entrissen werden. Dennoch erwiderte sie mit vollkommen beherrschter Stimme:

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, Signor. Ich hatte in der That noch nicht das Vergnügen, Italiens erste Sängerin und Italiens berühmten Tondichter zu kennen.“

Reinhold’s Blut wallte siedend heiß auf, als ihm von Neuem, und diesmal vor Fremden, die unendliche Kluft gezeigt wurde, die ihn von der einstigen Gattin schied. Jetzt war sie es, welche ihm die Stellung anwies, die er ihr gegenüber einzunehmen hatte, und daß sie dies mit einer solchen Ruhe und Gelassenheit vermochte, brachte ihn auf’s Aeußerste.

„Italiens?“ wiederholte er mit scharfer Betonung. „Sie vergessen, Signora, daß ich von Geburt ein Deutscher bin.“

„Wirklich?“ entgegnete Ella in dem gleichen Tone wie vorhin. „In der That, das wußte ich bisher noch nicht.“

„Man scheint in der Heimath sehr schnell vergessen zu werden,“ warf Reinhold mit einer Art wilder Bitterkeit hin.

„Doch wohl nur, wenn man sich ihr selbst entfremdet. In diesem Falle ist das freilich begreiflich. Sie, Signor, haben ja ein zweites Vaterland gefunden, und wem Italien so viel gegeben hat, der kann die Heimath und ihre Erinnerungen wohl leicht entbehren.“

Sie wandte sich zu den übrigen Herren, wechselte einige gleichgültige Worte mit ihnen und reichte dann ruhig und offen Hugo die Hand zum Abschiede.

„Sie verzeihen, ich muß zu meinem Oheim. Reinhold, sage dem Herrn Capitain Lebewohl!“

Es war nur zu wahr, Ella besaß eine furchtbare Waffe in dem Kinde und verstand sie schonungslos zu gebrauchen, das empfand Reinhold wieder in diesem Augenblicke. Ihm versagte sie den Anblick und die Nähe seines Knaben unerbittlich, trotzdem sie wußte, mit welcher Leidenschaftlichkeit er sich danach sehnte, und jetzt ließ sie es ihm sehen, wie dieser Knabe seinem Bruder die Aermchen entgegenstreckte und ihm den Mund zum Kusse bot, ließ es ihm sehen in Gegenwart der Frau, um deren willen er sie Beide verlassen hatte, und deren Nähe ihm verbot, auch nur eines seiner Vaterrechte geltend zu machen – die Rache traf bis in’s innerste Herz hinein.

Beatrice hatte ganz gegen ihre Gewohnheit sich mit keiner Silbe an dem Gespräche betheiligt, aber ihr dunkelglühender Blick wich nicht von den Beiden, zwischen denen sie eine geheime Wechselbeziehung ahnte, wenn auch ihre Gedanken von der Wahrheit selbst unendlich weit entfernt waren. Für jetzt jedoch machte Ella jeder weiteren Beobachtung ein Ende; sie nahm den kleinen Reinhold bei der Hand, und nach einer kurzen stolzen Verbeugung, die der ganzen Gesellschaft galt, verließ sie mit dem Kinde die Veranda.

„Sie scheinen uns da irgend ein Incognito vorgeführt zu haben, Signor Capitano,“ sagte Beatrice mit schneidendem Spotte. „Vielleicht haben Sie jetzt die Güte, uns zu erklären, welche Fürstin es denn eigentlich war, die soeben geruhte uns zu verlassen.“

„Ja beim Himmel, sehr stolz, aber auch sehr schön!“ rief der Marchese in ausbrechender Bewunderung, während Hugo kühl erwiderte:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_527.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)