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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Ein märkisches Zwinguri.


Von Georg Horn.


Zwischen den Städten Brandenburg und Magdeburg, von ersterer eine Meile Wegs entfernt, liegen auf dem linken Ufer der Havel Schloß und Städtchen Plaue. Letzteres mag wohl etwas über zweitausend Einwohner haben und steht nach Süden mit einem Schlosse in Verbindung, das durch seine Lage zu den herrlichsten Landsitzen der jetzigen Provinz Brandenburg gehört. Es ist auf einer Landecke gelegen, die sich in den Plauer See vorschiebt; derselbe, eine immense Wasserfläche, mit sehr starkem Wellenschlag, umspült diese Landzunge im Süden; im Osten fließt die Havel vorbei, die, von Brandenburg kommend und der Mündung in die Elbe zueilend, eigentlich durch den See ihren Durchgang nimmt. Die Umfassungsmauern der Front des jetzigen Schlosses gehen unmittelbar in die Fluth hinab, und wenn man auf der Terrasse vor der Ostfront des Schlosses steht und den Blick seitwärts wendet, kann man sich auf einem Schloß am Meere glauben; so imposant breitet sich die dunkelblaue Wasserfläche nach dieser Richtung hin aus; in so weiter Perspective treten die Contouren des anliegenden Ufers zurück; so bewegt ist die Fluth, bis man sich nach Osten wendet und von drüben in einer Entfernung von etwa sechzig Ruthen das rechte Havelufer mit seinem Baum- und Wiesengrün herüberwinkt; dann freilich wird man aus seinen stolzen Illusionen der Meerregion auf den richtigen Standpunkt des Binnengewässers zurückgebracht, aber auch dann wendet man den Blick doch nicht so leicht wieder von dem herrlichen Ausblick nach dem Plauer See ab.

Das Schloß Plaue war durch seine natürliche Lage einer der wichtigsten Punkte im Havellande. Es beherrschte im Osten die Wasserstraße, die Pulsader des Landes, nach Süden die Straße, die von der Mark in Magdeburgisches Gebiet führte. Bis zu dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts war das Schloß im Besitze des Erzbischofs von Magdeburg gewesen, dann hatte es dieser in einer Fehde an den Landeshauptmann der Mark Lippold von Bredow verloren; dieser behielt es für sich, als Pfand für Schuldforderungen, die er an seinen Landesherrn hatte, und gab es später seinem Schwiegersohne Johann von Quitzow als Heirathsgut mit. Von da begann eigentlich die nicht uninteressante Geschichte dieses Schlosses, das durch Jahrzehnte hindurch der Schrecken und der Bann der umliegenden Städte und Dörfer und ihrer Bevölkerung, ein wahres Zwinguri für die durch rohe Willkür, durch frevelhaften Uebermuth und eine ungezügelte Rauf- und Fehdesucht ihres Adels arg heimgesuchte Mark Brandenburg war.

Seit dem Aussterben der Askanier, die das Land von dem letzten eingebornen Wendenfürsten ererbt und durch eine kluge und energische Regierung zu einem hohen Grade der Cultur und des Wohlstandes gebracht hatten, war die Mark für die nachfolgenden Kaiser, die baierische und luxemburgische (böhmische) Dynastie die melkende Kuh geworden, die immer Milch d. h. Geld geben mußte. Die Landesherren kamen nur dann in das Land, wenn ihr Säckel leer war, sonst bekümmerten sie sich nicht um dasselbe, mieden es sogar. Die Gegenden des Landes waren fast nur Sumpf, Sand und Kiefernwald; es lag über denselben ein grauer frostiger Himmel und die Menschen waren so rauh und knorrig wie alte Eichen; in Baiern und Böhmen dagegen ließ es sich viel besser und lustiger leben, aber Geld konnte die Mark geben.

„Thut Geld in meinen Beutel,“ war die stete Mahnung des Landesherrn an das unglückliche Land. Wenn dann die Städte und die Bürger, die durch Handel und Gewerbefleiß meistens im Besitz des baaren Geldes waren, schwierig wurden und den unaufhörlichen Anforderungen des Landesherrn nicht genügten, dann wurden Freiheiten und Privilegien aller Art an Gemeinden und Corporationen verkauft, immer flott um den Preis des Meistbietenden; hielt auch dann der Bürger die Hand fester an die Tasche, vielleicht weil nicht mehr viel darin war, dann ging man an den Adel und versetzte diesem als Pfand eines der Orte und Schlösser nach dem andern, auch Städte, sogar Hoheitsrechte.

So kam es, daß unter dem Markgrafen Jobst von Mähren gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts mehr als die Hälfte des Landes in den Händen des Adels war, aber die Folgen einer solchen frivolen, hirn- und heillosen politischen und finanziellen Wirthschaft ließen nicht lange auf sich warten. Zuletzt war es ein unaufhörlicher Krieg Aller gegen Alle; es waren staatliche Verhältnisse, von denen sich ein Mensch des geordneten Rechtszustandes des neunzehnten Jahrhunderts nur schwer einen Begriff machen kann.

Der friedliebende Bürger saß hinter den festen Mauern seiner Städte und war froh, wenn ihn der Klang der Sturmglocke aus seinem bürgerlichen Gewerbe nicht in den Harnisch und auf die Wälle zur Vertheidigung der durch einen Ueberfall bedrohten Stadt trieb. Das Gewerbe der Adeligen dagegen waren die ritterlichen Künste und Fertigkeiten; ihr Geschäft war Kampf und Krieg. Der Adel war der Herr der Situation und beutete dieselbe mit dem ganzen Aufgebot der märkischen Stammes-Eigenschaften mit Angriffslust und Energie, muthiger Unerschrockenheit und zäher Ausdauer, körperlicher Gewandtheit und geistiger schneller Auffassung nach jeder Richtung hin aus. Die eigentlichen Regenten der Mark waren die vier vornehmsten Adelsfamilien, die Gans zu Putlitz, die Rochows, die Bredows und die Quitzows. Letztere standen im Range den vorigen vielleicht nach, denn sie waren Lehensleute der Gans zu Putlitz, die wie sämmtliche der genannten Familien zu den eingeborenen Wendenfamilien gehörten; die Putlitze, von denen, nebenbei gesagt, der liebenswürdige Dichter Gustav zu Putlitz abstammt, waren Abkömmlinge alter Wendenfürsten; aber durch ihre persönlichen Eigenschaften überragten die beiden Quitzows alle ihre Standesgenossen.

Zu den oben genannten nationalen Eigenschaften gesellte sich bei ihnen eine todesverachtende Verwegenheit, die, nichts berücksichtigend, weder Dinge noch Menschen, geradezu auf ihre Ziele losging und Alle, die mit ihnen verbündet waren, zu ihren willenlosen Werkzeugen machte, ferner ein kühner Ehrgeiz, dem nichts zu hoch und unerreichbar schien, und jene brutale Selbstsucht, welche die Menschen in Herren und Sclaven theilte, für sich alle Freiheit und Willkür in Anspruch nahm, und das Recht des Stärkeren als das höchste Sitten- und Staatsgesetz hinstellte.

Dietrich von Quitzow war vier Jahre älter, als sein Bruder Johann. Jener besaß vielleicht mehr diplomatische Klugheit, dieser hingegen war hier und da einer großmüthigen Regung der Seele fähig. Mit ihren Interessen waren die Brüder eng zusammengewachsen. Es lebte in ihnen das stärkste Familiengefühl; dieses offenbarte sich in einer geradezu zärtlichen Liebe, in einer unerschütterlichen Anhänglichkeit, aber über die Familie und deren Interessen hinaus gab es für die Beiden nichts mehr, keine Pflicht, keine Achtung, keine Rücksicht, kein Gewissen; sie hatten kein Gefühl für das gemeine Wohl; sie anerkannten ein Vaterland nur in sofern, als sie als Freigeborene die erste Stelle in demselben beanspruchten.

Der Sinn für gesellschaftliche Ordnung, der moderne Staatsbegriff, der damals zum Durchbruch kam, fand in ihnen nicht nur kein Verständniß, sondern die entschiedensten Gegner. Sie hatten sich mit ihrem ganzen Sein und Thun auf die eigene Persönlichkeit und die Willkür gestellt, keine obrigkeitliche oder gesetzliche Gewalt über sich anerkennend; sie und ihre Ziele waren sich selbst das höchste Gesetz, und diese Ziele gingen dahin, sich auch dem Rechte nach zu Herren der Mark zu machen wie sie es schon der Sache nach waren, höchstens nur den Kaiser als obersten Lehnsherrn anzuerkennen, und auch diesen nur insoweit, als er ihnen nicht entgegen war in der Ausführung ihrer Pläne.

Dietrich wohnte in Quitzhövel, dem alten Stammgute der Familie, Johann nach seiner Verheirathung mit Agnes von Bredow in Plaue, aber die Lage beider Schlösser an der Havel war so günstig, daß sich die Brüder bei allen Unternehmungen die Hand reichen, daß sie, auf diese festen Plätze sich stützend, mit ihrem Anhange nicht nur die Mark, sondern auch die angrenzenden Gebiete der Nachbarfürsten in Schach halten konnten. Der Name Quitzow ging wie ein Angst- und Schreckensruf durch das Land; vor seinem Klange erzitterten der Bauer und der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_530.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)