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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 34.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


„Nichts!“ sagte Reinhold, sich gewaltsam fassend. „Mir ist nicht wohl; die stürmische Fahrt hat mich angegriffen. Es ist nichts, Cesario.“

„Ich glaube, wir thun am besten, jetzt an die Rückkehr zu denken,“ fiel Hugo ein, der für nöthig fand, die Aufmerksamkeit von seinem Bruder abzulenken, da er sah, daß dieser nicht mehr Herr seiner Aufregung war. „Eine Wiederholung des Unwetters steht nicht zu befürchten, und da der Padrone versprochen hat, einen Wagen herbeizuschaffen, so können wir noch heute Abend in S. sein, wenn wir baldigst aufbrechen.“

Es war das erste Mal, daß Beatrice einem Vorschlage, den der Capitain machte, mit vollster Lebhaftigkeit beistimmte. Marchese Tortoni dagegen fand die große Eile sehr unnöthig und erhob verschiedene Einwendungen. Für ihn schien die einsame Locanda auf einmal besondere Anziehungskraft gewonnen zu haben. Als er aber mit seiner Ansicht nicht durchdrang – denn auch Reinhold bestand auf der sofortigen Rückkehr – schloß er sich dem Capitain an, welcher ging, um nach dem Wagen zu sehen.

„Ich fürchte, Sie haben Ihrem Bruder und mir ein Märchen aufgetischt, als Sie behaupteten, eine gewisse Villa sei Ihnen unzugänglich geblieben,“ sagte er neckend. „Es war mir schon damals verdächtig, daß Sie den Rückzug so offen eingestanden und so ruhig unseren Spott über sich ergehen ließen. Ich wollte darauf schwören, daß ich diese reizende Gestalt und diese blonde Flechtenpracht schon einmal erblickt habe, als ich an der Villa Fiorina vorüberritt. Ich begreife es freilich, daß Sie uns nicht zu Vertrauten Ihres Abenteuers machten, allein –“

„Sie irren,“ unterbrach ihn Hugo mit einer Entschiedenheit, die keinen Zweifel an seinen Worten möglich machte. „Es ist hier von keinem Abenteuer die Rede, Signor Marchese; ich gebe Ihnen mein Wort darauf.“

„Ah, dann verzeihen Sie!“ sagte Cesario ernst. „Ich glaube, Ihre anscheinend nähere Bekanntschaft mit der Dame –“

„Stammt aus einer früheren Bekanntschaft in Deutschland her,“ ergänzte der Capitain. „Ich hatte allerdings keine Ahnung von diesem Zusammentreffen, als ich eine völlig Fremde in der Villa Fiorina aufzusuchen glaubte, aber ich wiederhole es Ihnen, daß das Wort ‚Abenteuer‘ auch nicht entfernt mit jener Dame in Berührung gebracht werden darf, und daß ich die vollste und unbedingteste Achtung eines Jeden für sie in Anspruch nehme.“

Der sehr bestimmte Ton dieser Erklärung hätte einen anderen Zuhörer vielleicht gereizt, der junge Marchese dagegen schien eine unverkennbare Genugthuung dabei zu empfinden.

„Ich zweifle nicht im Geringsten daran, daß Sie mit dieser Forderung in Ihrem Rechte sind,“ erwiderte er mit großer Wärme. „Das ganze Wesen der schönen Frau spricht dafür. Welch ein imponirender Anstand und welche vollendete Lieblichkeit der Erscheinung! Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die beides so zu vereinigen weiß.“

„Wirklich?“ In Hugo’s Stimme verrieth sich eine keineswegs angenehme Ueberraschung, als er seinen Begleiter ansah, dessen Wangen lebhaft geröthet waren und dessen Augen blitzten. Der Capitain sagte kein Wort weiter, aber seine Miene sprach deutlich genug aus, was er dachte. „Ich glaube, dieser Idealmensch fängt jetzt auch an, sich um etwas Anderes zu kümmern, als um Arien und Recitative – das ist aber ganz und gar überflüssig.“

Droben in der Veranda stand Beatrice allein; sie war Reinhold und dem Lord nicht gefolgt, die gleichfalls hinabstiegen. Ihre Hand vergrub sich mechanisch in das nasse Weinlaub, während die dunklen Augen starr auf die See gerichtet waren, und doch schien sie nichts von der ganzen Umgebung zu sehen. In düsteres Sinnen verloren, hing sie nur dem einen Gedanken nach, den die Lippen jetzt aussprachen, als sie halb drohend, halb angstvoll flüsterte: „Was war das zwischen den Beiden?“




Der Herbst war gekommen und hatte Fremde und Einheimische vom Meeresstrande und aus den Gebirgen wieder zurückgeführt in den großen, ewig steten und ewig bewegten Mittelpunkt Italiens. Freilich war es kein Herbst, wie er im Norden die Natur zu Grabe geleitet, mit düsteren Regentagen, rauhen Sturmnächten, wogenden Nebeln, Reif und Nachtfrösten. Hier lag er mild in goldiger Klarheit und unbeschreiblicher Schönheit über der weiten Ebene, von der endlich die Sommergluth gewichen war, über dem Gebirge, das sonst Tag für Tag von heißem Dunst umzogen, von weißen Wolken umlagert, jetzt wieder seine blauen Linien unverhüllt zeigte, und über der Stadt, wo die große Woge des Lebens, die einige Monden lang träger gerollt war, nun mit neuer Macht emporfluthete.

Auch Signora Biancona war bereits zurückgekehrt. Ihr Aufenthalt in S. hatte ein ebenso unerwartet schnelles Ende genommen, wie der Reinhold’s in Mirando. Diesen schien es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_539.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)