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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Damit steckte er den Brief zu sich, verabschiedete den Boten mit einer Handbewegung und trat gleichfalls in den Salon. Jonas hatte nun seinen Bescheid und hätte füglich nach Hause gehen können; statt dessen suchte er draußen den Bedienten auf, der ihm vorhin die nöthige Auskunft gegeben hatte, und dieser machte die Entdeckung, daß der wortkarge, unzugängliche Seemann auf einmal sehr neugierig geworden sei, da er sich ausführlich nach dem Haushalte Signora Biancona’s und nach dem Personale desselben erkundigte, und das wahrhaft fürchterliche Deutsch des auf seine Sprachkenntnisse sehr stolzen Italieners mit einer musterhaften Geduld ertrug. –

Reinhold war inzwischen in das Boudoir getreten. Er bedurfte allerdings keiner Anmeldung mehr bei der Herrin desselben, und sie kam ihm auch schon an der Schwelle entgegen, aber wäre er nicht so gänzlich von anderen Gedanken hingenommen gewesen, so hätte er auf den ersten Blick sehen müssen, daß irgend Etwas mit ihr vorgegangen war. Das dunkle warme Colorit der Italienerin konnte auch bleich erscheinen; das sah man jetzt, wo das heiße Blut, das sonst immer in ihren Wangen pulsirte, bis auf den letzten Tropfen gewichen schien, aber es war eine unheimliche Blässe und die Augen brannten nur um so sengender. Beatrice war Schauspielerin genug, um, auf Minuten wenigstens, ihr stürmisches Temperament beherrschen zu können, wenn es galt, einen Zweck zu erreichen, und heute wollte sie etwas erreichen. In ihrem Gesichte stand ein Zug finsterer Entschlossenheit; sie wollte klar sehen um jeden Preis.

„Ich traf unten auf der Straße mit Gianelli zusammen,“ begann Reinhold nach der ersten Begrüßung. „Er schien aus Deinem Hause zu kommen; war er bei Dir?“

„Gewiß! Ich weiß, daß Du gegen ihn eingenommen bist, aber ich kann unmöglich den Capellmeister der Oper abweisen lassen, wenn er kommt, um irgend etwas hinsichtlich der Aufführungen mit mir zu besprechen.“

Reinhold zuckte die Achseln. „Das konnte füglich in den Proben geschehen. Bist Du eine junge Anfängerin, die der Protection bedarf, und fürchten muß, irgend Jemand zu verletzen? Ich dächte, Du in Deiner Stellung könntest gegen mißliebige Persönlichkeiten ebenso rücksichtslos auftreten, wie ich es thue. Indessen, ich will Dir darin keine Vorschriften machen. Empfange wen Du willst, auch Gianelli! Ich bin weit entfernt, Dir irgend einen Zwang auferlegen zu wollen.“

Der Ton klang eisig, und Beatrice’s Stimme bebte leise, als sie erwiderte: „Das ist mir neu. Du pflegtest sonst meine Besuche despotischer zu überwachen, früher durfte Keiner meine Schwelle überschreiten, der Dir nicht genehm war.“

Reinhold hatte sich in einen Sessel geworfen „Du siehst, ich bin duldsamer geworden.“

„Duldsamer, oder – gleichgültiger.“

„Du hast Dich doch oft genug über meinen Despotismus beklagt,“ bemerkte er mit einem Anfluge von Spott.

„Und ich ertrug ihn dennoch, weil ich wußte, daß er aus Liebe entsprang. Es ist nur natürlich, daß mit der einen auch der andere ein Ende nimmt.“

Reinhold machte eine ungeduldige Bewegung. „Beatrice, Du verlangst Unmögliches, wenn Du forderst, das Menschenherz solle immer und ewig in jenen vulcanischen Empfindungen glühen, die allein Dir Liebe heißen.“

Sie war an seinen Sessel getreten und legte die Hand auf die Lehne desselben, während sie mit einem seltsamen Ausdrucke zu ihm niederblickte.

„Ich sehe allerdings, daß es unmöglich ist, von dem kalten Herzen des Nordländers eine Liebe zu fordern, wie ich sie gebe und – verlange.“

„Du hättest ihn in seinem Norden lassen sollen,“ sagte Reinhold düster. „Vielleicht wäre die Kälte dort besser für ihn gewesen als die ewige Gluth Eures Südens.“

„Soll das ein Vorwurf sein? War ich es, die Dich Deiner Heimath entriß?“

„Nein! Ich ging freiwillig, aber – sei gerecht, Beatrice! –, die treibende Kraft warst Du. Wer drängte mich unaufhörlich zu dem Entschlusse? Wer hielt mir immer und immer wieder meinen Künstlerberuf vor Augen? Wer schalt mich Feigling, als ich vor der Verantwortung zurückschreckte, und stellte mir endlich die verhängnißvolle Wahl zwischen der Flucht oder unserer Trennung? Ich bitte Dich – Du wußtest, wie die Entscheidung fallen würde.“

In den dunkeln Augen der Italienerin blitzte es drohend auf, aber noch erzwang sie Ruhe.

„Es galt unsere Liebe,“ erklärte sie stolz, „es galt Deine Künstlerlaufbahn. Ich rettete der Welt einen Genius, als ich Dich mir rettete.“

Er schwieg. Die Vertheidigung schien keinen Wiederhall in seinem Inneren zu finden. Sie beugte sich tiefer zu ihm nieder, und ihre Stimme klang wieder süß und bestrickend, aber der unheimliche Ausdruck wich nicht aus ihren Zügen.

„Du träumst, Rinaldo. Das ist wieder eine von jenen Stimmungen, gegen welche ich so oft ankämpfen mußte. Ist es denn das erste Mal, daß eine unglückliche, unbefriedigte Ehe gelöst wurde, um ein beglückenderes Band zu schließen?“

Reinhold stützte den Kopf in die Hand. „Nein, gewiß nicht, aber das trifft hier nicht zu, denn meine Ehe ist nicht gelöst worden, und wir – haben nie daran gedacht, uns zu vermählen.“

Beatrice zuckte zusammen, und ihre Hand glitt von der Lehne des Sessels herab.

„Du warst nicht frei,“ murmelte sie.

„Es kostete mich nur ein Wort, es zu werden. Ich wußte, daß man mich nicht halten würde, und Dir standen genug Wege zu dem Dispens offen, der auch der Katholikin diese Ehe gestattet hätte. Aber wir fürchteten Beide das unlösbare Band, wir wollten frei und fessellos sein, ohne Schranken in unserer Liebe wie im Leben – nun wohl, wir sind es ja noch bis auf diese Stunde.“

„Was willst Du damit sagen?“ Beatrice preßte wie athemlos die Hand auf das Herz. „Betrachtest Du etwa Deine Ehe als noch bestehend?“

„O nein, gewiß nicht, und wenn ich es thäte, so würde mir bald genug die Verwegenheit dieser Annahme klar gemacht werden. Du kennst nicht eine beleidigte Gattin und Mutter in ihrem Tugendstolze. Wenn der Sünder auch sein ganzes noch übriges Leben der Reue und Buße widmen wollte, er würde doch nie begnadigt“

Die Worte sollten wie herber Spott klingen; er ahnte nicht, was die grenzenlose Bitterkeit verrieth, mit der er sie hervorstieß, aber Beatrice verstand es nur zu gut, und mit dieser Erkenntniß brach die bisher so mühsam gewahrte Selbstbeherrschung rettungslos zusammen.

„Hast Du das vielleicht schon versucht bei ihr, bei der ‚beleidigten Gattin?‘ rief sie aufflammend. „Sie ist ja in Deiner Nähe; ich war ja selbst Zeuge Eures Wiedersehens. Darum also begegneten sich Eure Augen in so räthselhafter Weise, darum konntest Du den Blick nicht losreißen von dem Kinde, darum bebte sie zurück vor mir, wie vor etwas Unheilvollem? Hast Du die Reuescene schon versucht, Rinaldo?“

Reinhold war aufgesprungen, in seinen Mienen stritten Zorn und Ueberraschung miteinander. „Also Du weißt bereits, wer Signora Erlau ist? Doch was frage ich noch! Der Spion, dieser Gianelli, verließ Dich ja soeben; er wird auch das bereits herausgespürt und Dir hinterbracht haben.“

Einen Moment lang flog eine dunkle Gluth über die Züge der Sängerin, als sie an den directen Auftrag dachte, den sie dem „Spion“ ertheilt hatte, aber in dem Aufruhr ihres ganzen Inneren fand die Beschämung keinen Platz.

„Du wußtest es bereits in Mirando,“ fuhr sie stürmisch fort, „und sie bewohnte die nahe Villa Fiorina. Willst Du mich vielleicht glauben machen, daß Ihr Euch dort nicht gesehen, nicht gesprochen habt?“

„Ich will Dich überhaupt nichts glauben machen,“ sagte Reinhold kalt. „Wie ich mit Eleonoren stehe, wird Dir unsere völlig fremde Begegnung wohl hinreichend gezeigt haben. Beruhige Dich! Von der Seite hast Du nichts zu fürchten. Was übrigens

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_542.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)