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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Sie erschrecken mich,“ rief ich aus, „was haben wir denn für eine Weltsünde begangen?“ –

„Nein, ohne Scherz,“ fuhr der General fort, „hören Sie mich ruhig an! Ich beginne vom Anfange – und Sie werden mir Recht geben. Wir wissen Alle, daß die Steppen Südrußlands, wo auf unermeßlichen schatten- und schutzlosen Ebenen Staub, Hitze, Hunger, Durst und Kälte gleichmäßig die dort fast wild lebenden zahllosen Rindviehrudel quälen, die Herde einer der schlimmsten Geißeln unserer Zeit, der Rinderpest, sind. Wir wissen ferner, daß unter Vieh, welches durch Hunger, Durst und Schmerzen ermattet ist, die Seuche zehnfach größere Empfänglichkeit für Verbreitung und Fortpflanzung findet, als unter gesundem und kräftigem. ‚Jede Schuld rächt sich auf Erden‘, sagt wahr und schön Euer größter Dichter und Eure Schuld verkörpert sich in jenen langen Eisenbahnzügen, die, angefüllt mit halbtodt gequältem, halbverschmachtetem Vieh, zugleich die Zuchtruthe für Eure Unbarmherzigkeit mit sich führen und, als riesige Contagiumträger, unablässig Krankheit für Mensch und Thier in alle Welt schleppen. Freilich wird es zuvor recht fühlbarer, weithin fallender Streiche dieser Gottesgeißel, die der Himmel fern halten möge, bedürfen, um Behörde und Publicum aus der Gleichgültigkeit zu rütteln, mit der Beide die Scheußlichkeiten des Eisenbahn-Viehtransportes mit anschauen. In der That legt dieser den Thieren Qualen und Entbehrungen auf, gegen die jene verschwinden, die sie in der dürren Wüste erduldeten. Ich habe, gewaltig interessirt für die große staatswirthschaftliche Frage, Zeit und Geld daran gewendet, zu erfahren, wie es bei jenen Viehtransporten zugeht, die den Nahrungsstoff aus dem Osten nach dem Westen Europas, vornehmlich über österreichische Bahnen führen, die sanitären Zustände, die Ernährungsverhältnisse eines ganzen Welttheiles beeinflussend, und bin, ich versichere es Ihnen, erkundigend, erforschend, mit goldenem Schlüssel Lippen und Thür öffnend, schmerz- und ingrimmerfüllt auf jenen Eisenbahnen auf- und abgereist. Da habe ich gesehen, wie durch Kreuzerknauserei der Bahnverwaltungen, niedrige Durchsteckerei zwischen Versendern und Lohnbediensteten und brutalen Unverstand der Händler der edelste Nahrungsstoff der Menschheit in Krankheit und Vergeudung gejagt wird.

Unter Keulenschlägen, die oft selbst die Rippen kräftiger Stiere brechen, wird das freie Steppenvieh auf den Stationen der Galizischen Bahnen zusammengetrieben und steht dort, erbärmlich genährt und getränkt, oft tagelang, um dann, trotz der gegentheiligen stets vernachlässigten Anordnung fast immer hungrig und durstig unter ebensolchen Keulenschlägen auf die Eisenbahnwagen geprügelt zu werden. Diese sollen, nach vernünftiger Verordnung der österreichischen Regierung, wenigstens ein Dach haben, das sie gegen Sonnenbrand und Schnee schützt. Auch diese Verordnung scheint nur gegeben, um von den Lohnverwaltungen ohne Scheu unberücksichtigt gelassen zu werden. Auch verfügt eine weitere Verordnung der Regierung, daß das Vieh nicht so zusammengepreßt werden soll, daß es, gestürzt, sich nicht wieder aufrichten kann. Nun wohlan, ich sah es noch vor Kurzem, nicht in einzelnen Fällen, sondern gewohnheitsmäßig (und oft lasen Sie erzürnte Klagen der wahrlich nicht weichherzigen Viehhändler darüber), daß man, um viel Gewicht mit wenig Wagen zu transportiren, die Thiere so dicht zusammenkeilte, daß sie sich, bei den Erschütterungen der Fahrt gerüttelt, gegenseitig Haut und Fleisch bis auf die Knochen von den Rippen rieben. Fällt ein Thier, oder bricht es vor Ermattung zusammen, so ist an kein Wiederaufstehen zu denken. Die Stehengebliebenen treten auf ihm Tage und Nächte lang umher und brechen ihm die Rippen und Beine. Wie viele habe ich gesehen, die man auf Stationen wegen gebrochener Knochen auslud – und wie auslud! Indem man einem gesunden Thiere und dem gefallenen einen Strick um die Hörner schlang und ersteres mit Keulenschlägen aus dem Wagen trieb, daß es das halbtodtgetretene nachschleifte. Ich habe ferner Thiere gesehen, die seit Tagen in den Stricken hingen, mit denen sie angebunden waren, deren gesehen, die seit Tagen auf den Hörnern eines gefallenen Gefährten lagen!

Wer kümmerte sich darum? Die zur Beaufsichtigung der Transporte verordneten Begleiter hatten ihre Fahrkarte um Branntwein oder einige Kreuzer an arme Studenten oder Bettelmönche verkauft. Dem Händler genügt es, wenn das Vieh nur noch athmend ankommt. Die Fahrt soll von Galizien bis Wien zwei bis drei Tage dauern. Die geringste Störung, jede Ueberfüllung der Stationen, Glatteis, Schnee etc. läßt sie fünf bis sechs Tage währen. Und so stehen die unglücklichen Geschöpfe, oft sechs Tage und sechs Nächte lang, fest zusammengepfercht, ohne die Möglichkeit, sich zu bewegen oder zu legen, in dem Wagen. Im Winter, und der galizische Winter bringt dreißig Grad Réaumur Kälte, weht der Schnee fußhoch selbst in die sogenannten geschlossenen Wagen, die Haut der Thiere inkrustirt sich mit Reiffrost; die Excremente erstarren und bilden fußtiefe Eismassen, in denen die Hufe einfrieren. Da erstarren selbst die mächtigen Körper der Steppenstiere – da kein Futter, keine Tränkung die Wärme in ihnen erneuert. Im Sommer dörrt sechs schreckliche Tage lang der galizische Sonnenbrand die verlechzenden Thiere aus, auf deren Schlag- und Reibwunden, in den Nasenlöchern und Augen sich zahllose Stechinsecten sammeln, da sie, zusammengedrängt, sich derselben nicht erwehren können. Auf einer polnischen Station, deren Namen, mit einem O beginnend und mit m schließend, ich vergessen habe, sollen die Thiere gefüttert und getränkt werden. Mit Keulen- und Knittelschlägen jagt man die von Hunger, Durst und Ermüdung verkommenen aus den Wagen. Sie versagen meist das Futter vor der Tränkung zu nehmen, und weislich werfen die polnischen Juden, an welche, ebenso menschlich als klug, die Fütterung verpachtet ist, dem lechzenden Thiere das trockene Futter vor derselben vor – und welches Futter! Statt des Heues, welches von der Bahnverwaltung bedungen ist, Moos, Kiefernnadeln und dergl., was auch das hungrigste Vieh zurückweist.

Dabei wird aber Geld verdient, und die Bahnbeamten – stehen dabei und – schmunzeln. Nachher wird das Vieh wieder mit Keulenschlägen in die Wagen getrieben, in die es durstig und hungrig, aber auf’s Neue zerschlagen, zurückkehrt. Das Fleisch dieser gepeinigten Thiere, die wahrlich nicht geringere Qualen, aber viel andauernder erduldet haben, als der Kampfstier, dessen Genuß die Behörden des halbcivilisirten Spanien streng verbieten, kommt, nachdem man daraus erst sorgsam die Stellen ausgeschnitten hat, die durch Keulenschläge von extravahirtem Blute schwarz und unappetitlich geworden sind, in Wien sofort in den Handel zur Verzehrung. Die ausgeschnittenen unappetitlichen Stücke werden an arme Leute billig verkauft. Und da wundert man sich, daß Wien halbungenießbares Fleisch speist und eine der ungesundesten Städte der Welt ist, wundert sich, daß Oesterreich Rußland den traurigen Ruhm streitig macht, einer der Hauptherde, ja der Hauptversender der Rinderpest zu sein!

Schwer werden die öffentlichen Gewalten, die mit gekreuzten Armen diesen abscheulichen Zuständen zusehen, vor dem Gerichte der Völker bestehen können, wenn einmal eine furchtbare Katastrophe die Welt in Schrecken setzen wird; aber noch schwerer ist der Tadel, welcher die Eisenbahnverwaltungen treffen muß, die als Vorstände gewaltiger Institute, der berufensten Träger der Civilisation, wegen jämmerlicher Pfennigknauserei in ihrem Bereiche Zustände nicht allein duldeten, sondern sogar hervorriefen und pflegten, die sie in sittlicher Beziehung mit Stierkämpfern, Preisboxern und Taubenschießern auf eine Linie stellen.“

„Sie reden düster, General,“ sagte ich, als er schwieg.

„Aber wahr,“ fiel er mir in die Rede. „Schicken Sie Den zu mir, der mich beschuldigt, einen Zoll breit von der Wahrheit abgewichen zu sein, zu grell geschildert zu haben. Er soll beschämt heimgeschickt werden.“

„Ich bestreite nicht Ihre Kenntniß, nicht die Wahrheit Ihrer hier offenbarten Aeußerungen,“ fuhr ich fort, „das Uebel ist nicht blos Ihrer Meinung nach ein sehr großes.“

„Leider erhebt sich die öffentliche Stimme viel zu selten zu seiner Bekämpfung; denn unsere Wiener Leichtlebigkeit kümmert sich nicht gern um Dinge, die uns nicht selbst Schmerz machen. Darum wird es Denen, die ein niederes Interesse der Trägheit oder des Gewinnstes am Fortbestehen des vielfachen Elends haben, stets leicht sein, dasselbe der ohnehin so wenig gespannten öffentlichen und behördlichen Aufmerksamkeit zu entziehen. Hat man doch hier in Wien während der Weltausstellung in einer Art von Schamgefühl, um den empörenden ‚Viehtransport nach hiesiger Sitte‘ dem Auge des Fremden zu entziehen, nicht etwa die Transportmethode verbessert, sondern angeordnet, daß sie sich während jener Zeit auf außerhalb des Fremdenverkehrs liegenden Nebenstraßen zu bewegen hätte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_548.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)