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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Oberförster: „So? Nun – wenn Ihr wollt, ich kann schon wollen. – Da ist Euer Geld.“

Mathes: „Empfehle mich.“

Oberförster: „Gute Besserung!“ (Mathes geht.)

Auf der Probe sagte der Darsteller des Mathes an dieser Stelle ex tempore: „Gleichfalls, Herr Oberförster!“

„Lassen Sie diese Scherze am Abende, lieber Freund!“ sagte Döring, „denn dem hitzigen Oberförster bliebe bei dieser Bemerkung des Mathes nichts Anderes übrig, als ihm eine Ohrfeige zu geben.“

Der Darsteller des Mathes hielt diese sehr wichtige Bemerkung Döring’s wohl nicht für ernst gemeint, denn er sagte in der Vorstellung wirklich: „Gleichfalls, Herr Oberförster!“ Kaum aber war ihm „das Wort entfahren, möcht’ er’s im Munde gern bewahren“, denn wie der Blitz ereilte ihn des Oberförsters Zorn in der halbgeöffneten Thür. Plautz! erhielt Mathes seine Ohrfeige, und Döring rief ihm triumphirend in’s Ohr: „Im Charakter der Rolle, lieber Freund!“

Als er auf der Leipziger Bühne vor nicht langer Zeit den Shylock spielte, war die erste Frage, die er an mich that:

„Wer spielt denn den Tubal?“

„Ich selbst,“ antwortete ich.

„Doch ohne Nase hoffentlich?“

„Nein, mit Nase.“

„Das heißt mit einer aufgeklebten? Ich reiße sie Ihnen bei Gott noch in den Coulissen herunter.“

„Ich erlaube mir nur meine eigene Nase zu benutzen; aber was haben Sie für eine Wuth gegen die aufgeklebten Nasen?“

„Das will ich Ihnen sagen, Lieber. Ich spiele also in Köln den Shylock, und dieser niederträchtige Kerl, der Tubal, hat sich eine falsche Nase geklebt. In der großen Scene mit mir verliert der Schurke die Nase. Das Publicum lacht, und was thut der Mensch? Sucht auf der Bühne nach der Nase umher, und während ich mich wer weiß wie sehr abhaspele, lacht das Publicum aus vollem Halse. Glücklicher Weise erblicke ich die unglückselige Gurke am Boden und schleudere sie mit einem Fußtritte in die Lampen – erst dann war die Ruhe wiederhergestellt.“

„Nun, und was thaten Sie mit dem Verbrecher?“

„Gar nichts; aber ich habe ihn gebeten, mir seinen Namen nicht zu nennen.“

„Und warum das?“

„Der Mensch hätte einmal im Unglück eine Bitte an mich richten können, und ich wäre, weiß es Gott, im Stande gewesen, sie ihm wegen der Nasengeschichte abzuschlagen.“

Diese letztere Bemerkung charakterisirt gleichzeitig die Herzensgüte des Künstlers, von der wir tausend rührende Züge erzählen könnten. Es ist eine alte Erfahrungsregel, daß die gutmüthigen und aufopferungsfähigen Menschen meist schlechte Financiers sind, und dies trifft auch bei Meister Döring zu. Er bewies dies einst schlagend, als man ihn zum Secretär des Unterstützungsfonds des Berliner Hoftheaters gewählt hatte. Dieser Fond wird durch Beiträge der Mitglieder erhalten und dient dazu, um mittellosen Schauspielern eine Reiseunterstützung zu gewähren, außerdem werden aber auch Darlehen an die Mitglieder und zwar auf eine Bescheinigung des Secretärs hin aus diesem Fond gegeben. Also, wie gesagt, Döring war zu dem genannten wichtigen Amte gewählt worden, aber schon nach acht Tagen sah man sich auf einen Wink des Cassirers hin veranlaßt, eine Generalversammlung des Unterstützungsfonds einzuberufen. Döring, aufgefordert einen Rechenschaftsbericht über seine Thätigkeit zu liefern, gestand mit vergnügtem Lächeln, daß das disponible Geld ziemlich alle sei, aber die betreffenden Darleiher hätten es wirklich alle sehr nöthig gehabt. Natürlich beeilte man sich, ihn schleunigst seines Amtes zu entheben.

Es ist allgemein bekannt, und ich glaube keine Indiscretion zu begehen, wenn ich hier erwähne, daß Döring in Folge seiner gänzlichen Nichtbefähigung zum Mitgliede der Oberrechnungskammer in der ersten Zeit seines Berliner Engagements auch in seinen eigenen Verhältnissen sehr derangirt war. Um ihm Gelegenheit zu geben, seine Schulden nach Bequemlichkeit an einen Hauptgläubiger abzuzahlen und ihn vor lästigen Wucherseelen zu retten, wurden – wenn ich nicht irre – durch königliche Intervention sämmtliche Passiva an einem Tage gedeckt. Am darauffolgenden Vormittag wanderte Döring ruhelos durch alle Zimmer seiner Wohnung und sagte endlich zu seiner Frau:

„Mathilde, ich fühle mich so – so unheimlich; mich beunruhigt etwas, aber ich weiß nicht was.“

Sie schaute ihn lächelnd an.

„Du bischt ebe dran gewöhnt, Döring,“ sagte sie dann in ihrem reizenden schwäbischen Dialecte, „daß Dich Vormittags alle Deine Gläubiger besuche; darum fehlet Dir heute was.“

Er nickte zustimmend; seine Frau hatte das Richtige getroffen

Döring’s Häuslichkeit ist eine unendlich gemüthliche, einfach, aber gediegen nach jeder Richtung hin. Hier empfängt er oft den kleinen Kreis vertrauter Freunde: unter den Collegen obenan die intime Freundin des Hauses, Frieb-Blumauer, den aristokratischen Friedrich Haase, den „Talentvollsten der jüngeren Generation“, wie Döring sagt, den geistvollen Interpreten classischer Dramen Professor Werder, Adolf Stahr u. A. und entwickelt als liebenswürdiger Hauswirth den ganzen Reichthum seiner Unterhaltungsgabe und die Fülle seines schöpferischen Talentes. Ich behaupte, wer Döring nur auf der Bühne gesehen, kann ihn unmöglich in seiner ganzen Genialität beurtheilen. Er selbst pflegt als Einleitung zu diesem oder jenem Scherze zu sagen:

„Jetzt will ich Euch etwas vormachen – das ist besser, als Alles, was ich da unten zur Welt bringe.“

Wer jemals so glücklich gewesen ist, eine jener Scenen von Döring dargestellt zu sehen, wo er, mit Blitzesschnelle die Charaktere wechselnd, zwei, drei und mehr Personen in schärfster Individualisirung vorführt, wird diesen Kunstgenuß zu den schönsten Erinnerungen seines Lebens zählen. Wenn es als glänzendster Beweis für Garrick’s Genialität gilt, daß es ihm einst gelang, am hellen lichten Tage eine skeptisch lächelnde Gesellschaft bis zu Thränen zu rühren, indem er, ein Fußbänkchen auf dem Arme, in hinreißendster Weise den Schmerz einer Mutter um den Verlust ihres Säuglings schilderte; wenn der englische Komiker Mathews ganz London auf den Kopf stellte, als er engagementslos in seinem Hause Abendunterhaltungen arrangirte, in denen er ganz allein in den verschiedensten Charakteren stundenlang einen großen Zuschauerkreis zu unterhalten wußte: so darf Döring die Concurrenz mit diesen Größen nicht scheuen.

Als Professor Hebenstreit vor ungefähr fünfzehn Jahren die Schauspieler aus der Künstlergemeinschaft ausstieß, da sie nur Werkzeuge in der Hand des Dichters seien und nur eine mechanische Fertigkeit ausübten, die überdies durch äußere kleine Behelfe, wie Perrücke, Costüm, Schminke, Lampenlicht, unterstützt werden müsse, da war es Altmeister Döring, der in einer Gesellschaft einer Debatte über diesen Gegenstand dadurch ein rasches Ende machte, daß er den Anwesenden ohne alle diese „Behelfe“ einen Gang durch das Irrenhaus zu Hildesheim dramatisch vorführte. In Zwiegesprächen zwischen dem Arzt der Anstalt und den verschiedenen Irren schilderte er nun alle Phasen des Wahnsinns bald in komischen, bald in rührenden Gestalten. In einer stummen Scene führte er zuletzt die Zuschauer in den allgemeinen Versammlungssaal der Irren, wo diese sich mit Billardspiel unterhalten. Hier sprach er kein Wort mehr und zeichnete nur äußerlich, aber dem blödesten Auge erkennbar, die verschiedensten Arten des Wahnsinns der Spielenden und versetzte sein Auditorium in das höchste Staunen und Entzücken.

Von unwiderstehlich komischer Wirkung ist eine Scene, welche Döring gern in heiteren Kreisen zum Besten zu geben pflegt und die ebenfalls dem Leben entnommen ist. In den Anfängen seiner Carrière war er bei einem Theaterdirector engagirt, dessen Häuslichkeit aus Frau und Schwiegermutter bestand. Letztere, eine uralte Dame, war in ihren Schwiegersohn verliebt und plagte ihn mit allen möglichen Aufmerksamkeiten. Döring schildert nun eine Tischscene in diesem häuslichen Kreise. Der Director ist übel gelaunt und verhält sich den aufdringlichen Aufmerksamkeiten der Schwiegermutter gegenüber ziemlich ablehnend, während die Frau die Alte vergeblich bedeutet, doch den Mann in Ruhe zu lassen. Wenn Döring die köstliche Figur der Alten darstellt, bindet er eine Serviette um den Kopf; im Gesicht bilden sich tausend Falten; der Mund erscheint beim

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_553.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)