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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

auf der Grenze der Cantone Niederbronn und Buchsweiler, zwischen den Orten Rothbach und Ingweiler ist einem verborgenen Seitenthale des Wasgaus liegt. Da erheben sich auf einem Felsen die Ruinen einer Capelle aus dem zwölften oder dreizehnten Jahrhundert, deren mit Nischen versehene höhlenartige Unterlage noch ein höheres Alter verräth. Wer ein krankes Roß, Rind oder Schwein hat, der wallfahrtet nach dem Thierkirchlein und legt, je nach der Zahl der kranken Thiere, einen oder mehrere Besen in den Chor dieser Ruine und steckt eine oder mehrere Kupfermünzen in eine Mauerritze einer der Seitenwände. Ich weiß, es giebt immer einige Holzmacher der Nachbarschaft oder im Gebirge streifende Zigeuner, welche den Muth haben, das verborgene Geld aufzusuchen, aber an die Besen – das ist etwas Anderes – wagen sie sich nicht. Dieses Besen- und Geldopfer hat übrigens seit den letzten zwanzig Jahren auch abgenommen. Aber immer noch kann man in dem in dunkler Einöde liegenden Waldkirchlein diese Abwehr gegen Hexen und böse Geister finden.

Der Glaube an die Hexen ist in den katholischen, weniger schon in den protestantischen Dörfern des Elsaß noch allgemein. Der Besen, dessen sich die Hexen bedienen sollen, um an den Versammlungsort zu kommen, spielt, wie überall, eine große Rolle. Aber weniger bekannt dürfte es sein, daß der verkehrt vor der Thürschwelle hingelegte oder mit dem Stiele neben der Thür stehende Besen nicht allein den Einfluß der Hexen hemmt, sondern auch ihren Eintritt in ein Haus hindert. Eine Hexe, heißt es, kann in kein Haus eintreten, wo ein solcher Besen vor der Thür liegt oder steht.

Die Hauptübel durch Hexen geschehen nach der Volksmeinung an den Kindern und an den Kühen. Eine Kuh giebt ungesunde, blutige Milch oder gar keine, weil eine Hexe an derselben in ihrem eigenem Hause an einer Handzwehle (Handtuch), an dem Stiele einer in die Wand gehauenen Axt oder eines Beils, ja aus dem Hefte eines in den Tisch gestoßenen Messers milkt. Auch verwandelt sie sich öfters in eine Katze und trinkt an den Eutern der Kühe, daß dieselben böse Blattern davon erhalten; oder sie reiten des Nachts auf dem Rücken der Pferde, so daß des Morgens der Besitzer sie in schaumtriefendem Schweiße ganz erschöpft antrifft.

Das Sprüchlein, welches die Landleute sprechen, wenn sie ein Weib im Verdachte haben, durch Melken an einer Zwehle oder auf sonstige Weise den Kühen die Milch zu entwenden, um die Hexe daran zu hindern, lautet also:

Heilig Kreuz, Blut floß,
Heilig Kreuz, Wasser floß,
Heilig Kreuz, Milch floß.

Ein anderer Aberglaube im Elsaß, der sich aber über ganz Europa erstreckt, ist der an den Vampyr, in der Provinz Letzel oder Redsel genannt, ein geheimnißvolles Wesen, halb Mensch, halb Thier, das bei nächtlicher Weile in die Schlafstuben, selbst in die verschlossenen, kommt, seine Ankunft durch ein Rascheln oder Tappeln, oder auch durch ein Säuseln wie von Flügeln bemerklich macht. Der Schlafende hört es, kann sich aber, wie gelähmt, nicht regen. Eine Gestalt legt sich schwer über den Schläfer, der die ungeheuersten Anstrengungen macht, um sich der Last zu entledigen. Das unheimliche Letzel säuft dann, nach dem allgemeinen Volksglauben, den also Heimgesuchten, gewöhnlich Burschen und jungen Männern, die Brust aus. Endlich wacht nach vielem ohnmächtigem Sträuben der in vollkommener Erstarrung Liegende matt und kraftlos auf. Das ist ein Zustand, der überall vorkommt. Aber was ans Unbegreifliche grenzt, oder doch die Macht der Einbildung darthut, das ist bei der Erscheinung des Letzels folgender Umstand: Die also ausgetrunkenen Opfer geben wirklich Milch. Die Brust schwillt an, die Warze derselben tritt mehr hervor, und bei mäßigem Drucke quillt eine weißgelbliche Flüssigkeit hervor. Dasselbe betheuerte mir mein Kutscher, ein gar nicht auf den Kopf gefallener junger Mann, wie vor kurzer Zeit sein Nachbar, der ebenfalls von dem Letzel geplagt zu werden vorgab, ihm seine angeschwollene Brust zeigte, und vor seinen Augen die nämliche Flüssigkeit herausdrückte. Ich enthalte mich jedes weiteren Commentars hierüber.

Bei dem also vorhandenen Aberglauben im Lande ist es kein Wunder, wenn es Solche giebt, die denselben ausbeuten. Schmiede, Winkelthierärzte, Abdecker, Meister genannt, ziehen reichlichen Gewinn von der leichtgläubigen Menge, die erst zu gebildeten Aerzten ihre Zuflucht nimmt, wenn die magischen Aerzte und Teufelsbeschwörer nicht mehr helfen können. Und weil der Arzt in den meisten Fällen dann auch nicht mehr helfen kann, so wendet sich ihm entschiedenes Mißtrauen zu, während seine Vorgänger irgendwie eine List dagegen deckt. Ebendeswegen ist es kein Wunder, wenn die sogenannten Marktschreier, wie man sie im Elsaß nennt, oder Quacksalber so große Ausbeute im Lande machen. Leider sind es in der Regel Deutsche, die in einem fremdartigen Jargon und in bizarrer Kleidung die Massen bethören. Ich war einmal Zeuge des Aufzugs eines solchen Marktschreiers und ich kann nicht umhin, denselben hier zu schildern.

An einem schönen Sommertage, so zwischen der Arbeitszeit, wie man bei uns sagt, hörte ich in meinem Studirzimmer plötzlich den Schall einer rauschenden Musik, die immer näher kam. Ein Marktschreier war in einer prächtigen, mit bunten Farben ausgeschlagenen Kutsche in das Dorf gefahren, in Begleitung von vier oder fünf Musikanten, die auf der Decke des Wagens saßen. Nachdem derselbe das Dorf unter lärmender, mit der großen Trommel begleiteter Musik durchzogen hatte, nahm er Posto auf dem öffentlichen Platze vor dem Rathhause. Dort entfaltete er einen ungeheueren rothseidenen Schirm, der die ganze wohlbesetzte Kutsche überdeckte. Nachdem die buntgekleideten Musikanten noch eine gewaltige Fanfare hatten erbrausen lassen, erhob sich der in einen weiten faltigen, hellblau seidenen und mit Silber besetzten Talar gekleidete Marktschreier, lüftete seinen chinesischen, mit allerlei geheimnißvollen Zeichen bedeckten Hut, grüßte majestätisch die herbeiströmende Menge und fing an, in fremdartigem gebrochenem Deutsch ungefähr folgendermaßen zu den staunenden Zuhörern zu sprechen:

„Verehrtes, hohes Publicum! Ich, Pancratius Sanitabringius, komme zehntausend Stunden weit her, von den Grenzen Chinas, wo ich auf dem großen Berge Humalaya die Wurzel Razina als Heilmittel für alle menschliche Schäden zweihundert Fuß tief aus dem Berge durch einen gottvollen Bohrer gegraben, und diese herrliche Wurzel mit dem heiligen Wasser des Flusses Ganschossa abgekocht habe. Kommt, Ihr armen Menschen, und kaufet dieses leben- und gesundheitbringende Elixirium, Ihr möget Kopfweh, Zahnweh, Flüsse aller Art, Magenweh, Husten oder Engigkeit haben. Dieses kostbare Lebenswasser vertreibt die Sommerflecken, die Unfruchtbarkeit und macht die häßlichsten Menschen schön wie Engel, auch reinigt es den Kopf und macht gescheidt und verständig wie Salomo. Wer es trinkt, an dem hat der blutige Vampyr, oder das schreckliche Letzel, wie Ihr es heißt, keine Gewalt. Nie betritt es wieder die Thürschwelle eines Hauses, wo dieses gewaltige Elixir seine Dünste verbreitet. Kommt herbei, Ihr Alle, die Ihr gesund, schön, kräftig und befreit von aller Plage sein wollt! Ich bleibe nur eine Stunde in diesem Dorfe und dann könnt Ihr zusehen, wie Euch geholfen wird. – Was schüttelt Ihr ungläubig die Köpfe?! Glaubt Ihr, daß ich Euch betrügen und um Euer Geld bringen will? Ich bin ein Freund der unglücklichen kranken Menschheit und brauche Eure Groschen nicht, um zu leben. Ich habe tausend Mal mehr Geld als Euer ganzer Ort. Da, seht einmal selbst, daß ich kein Marktschreier bin, der Euch Euer Geld aus dem Beutel lausen will.“

Dabei ergriff er eine kleine Schaufel, fuhr nacheinander in zwei vor ihm stehende Gefäße und zeigte den dadurch schon halbgewonnenen Zuschauern, eine Menge Fünffrankenthaler, Zwanzig- und Vierzigfrankenstücke.

„Oder glaubt Ihr,“ fuhr er fort, als er sah, daß das Geld seinen Einfluß nicht verfehlt hatte, „glaubt Ihr, daß es etwa Falschmünzergeld sei? Ich bitte drei Personen von Euch, von denen, die das Geld kennen, selbst herbeizukommen, um es zu untersuchen.“ Eine Menge von Bauern strömte herbei, um dieses Amt zu verwalten. Sie drängten sich an die Kutsche und der Wunderarzt hob mit einer ungeheuren Anstrengung das eine Gefäß zu ihnen herab. Sie griffen gierig hinein, untersuchten die Thaler und nachher auch die Goldstücke, ließen sie aneinander erklingen und gaben dieselben mit gewichtiger Kennermiene wieder zurück.

„Das ist lauter gut Geld,“ sagten Alle. „Das Silber ist exact echt, also muß auch das Gold echt sein, denn es rappelt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_576.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)