Seite:Die Gartenlaube (1874) 579.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

wie ich denn im Laufe des Gesprächs seine große Belesenheit zu bewundern hatte. Béranger, der nicht sehr productiv war, las fast den ganzen Tag, und so oft ich ihm später auf der Straße begegnete, hatte er in den tiefen Seitentaschen seines langen, beinahe bis auf die Füße gehenden Rockes eine Menge Bücher und Revuen stecken, die neugierig in die Welt guckten. Im Laufe der Unterhaltung sprach er häufig von den Alten, die er in verschiedenen guten Uebersetzungen oft gelesen und mit neuer Bewunderung immer wieder las.

Er kam abermals auf Goethe’s „Faust“ zurück und da durch diesen das Gespräch auf Hölle und Teufel gelenkt worden, erwähnte er Dante’s „Hölle“, die er in der eben erschienenen Uebersetzung seines Freundes Lamennais las. Lamennais brachte uns auf das schlüpfrige Feld der Politik. Béranger sprach sich frei und offen über die politischen Zustände Frankreichs aus, und ich hatte Gelegenheit, in diesem Gespräche seine Gesinnungswärme kennen zu lernen. Als die Rede auf den Bonapartismus kam, rief er lebhaft: „Ich war niemals Bonapartist, obgleich ich gegen meinen Wohlthäter Lucien die Schuld der Dankbarkeit abzutragen hatte und sie auch, freilich nach meinen schwachen Kräften, abtrug. Ich habe Napoleon den Ersten besungen, weil er eine poetische Erscheinung ist und meine junge Phantasie beschäftigte, und weil sich eine große Epoche meiner vaterländischen Geschichte an ihn knüpft. Ich habe ihn jedoch erst nach seinem Sturze besungen und ganz besonders deshalb, um die Bourbons zu ärgern, die ich haßte, die ich verabscheute. Sie waren mit unseren Feinden nach Frankreich zurückgekommen und in Begleitung des bezopften Adels, des hochmüthigen Junkerthums, umschwärmt von der lieben Clerisei, von Kutten und Capuzen und was sonst an Eulen und Käuzen aus den ultramontanen Nestern zu schlüpfen pflegt. Ich habe mich über Napoleon niemals getäuscht. Er war Despot von Natur, und ich liebe die Freiheit über Alles.“

„Ich habe jetzt,“ fuhr er nach einer Pause fort, „keine Beziehungen mehr zu den Bonapartes. Bei ihrer Ankunft in Paris 1848 besuchten sie mich. Jerome und sein Sohn dankten mir in den herzlichsten Ausdrücken und versicherten, daß sie niemals vergessen würden, was ich für ihre Familie gethan. Louis Napoleon besuchte mich ebenfalls mehrere Male, aber immer zu einer Stunde, wo er annehmen konnte, mich nicht zu finden. Wenigstens habe ich meine Gründe dies zu vermuthen. Indessen nahm ich mir doch vor, seine Besuche zu erwidern und zwar noch vor seiner Ernennung zum Präsidenten der Republik; denn ich wollte nicht gern antichambriren. Ich schob aber meinen Besuch zu lange auf. Louis Napoleon wurde inzwischen zum Präsidenten der Republik ernannt, und so habe ich ihn nicht gesehen und werde ihn auch niemals sehen.“

Béranger hat auch wirklich Louis Napoleon niemals gesehen; dagegen war er einige Zeit nach meinem Besuche nahe daran, die Bekanntschaft der Kaiserin Eugenie zu machen. Als nämlich dieselbe eines Tages die Chansons las, die sie früher nicht gekannt, war sie davon so sehr entzückt, daß sie gegen eine ihrer Hofdamen den Wunsch äußerte, den Chansonnier persönlich kennen zu lernen. Die Hofdame bemerkte, daß die Erfüllung dieses Wunsches nicht so leicht sein dürfte, da Béranger sich schwerlich dazu verstehen würde, den Fuß in die Tuilerien zu setzen, worauf die Kaiserin entgegnete, Béranger sei ein Greis und sie könne ihn wohl, ohne ihrer kaiserlichen Würde etwas zu vergeben, in seiner Wohnung aufsuchen. Und als die Hofdame einwarf, die kaiserliche Equipage vor der Thür des Chansonniers würde großes Aufsehen erregen und allerlei Klatsch verursachen, entschloß sich Eugenie, den Besuch in einer Droschke zu machen.

Die Hofdame verneigte sich, ermangelte jedoch nicht, den Kaiser von dem Entschlusse seiner Gattin in Kenntniß zu setzen. Der Kaiser lobte die Sympathie Eugeniens für Béranger, bemerkte ihr aber zugleich, daß ihr beabsichtigter Besuch aus vielerlei Gründen unausführbar sei. Hingegen ließ er durch Perrotin, den Verleger Béranger’s, diesem eine Pension anbieten. Béranger lehnte natürlich ab.

Ich komme nach dieser Abschweifung wieder auf meine Unterhaltung mit ihm zurück.

Die rohen und pöbelhaften Angriffe, denen er einige Zeit von Seiten des „Univers“ und der Fusions- und Confusionspartei ausgesetzt war, schmerzten ihn sichtbar. Besonderes Wohlwollen konnte er von diesen Parteien freilich nicht erwarten; daß sie sich aber nicht entblödeten, ihn einen Polisson, einen Sittenverderber und Dummkopf zu nennen, das schien ihn doch viel tiefer zu kränken, als er gestehen mochte. Vielleicht aber kränkte es ihn weniger, auf diese niederträchtige Weise angegriffen zu werden, als zu sehen, daß man in Frankreich solche Gemeinheiten sich erlauben durfte, ohne den Zorn der öffentlichen Meinung zu erregen.

Ich habe oben gesagt, daß Béranger während des Gesprächs sein Frühstück fortsetzte. Dasselbe bestand aus Brod, Butter und einigen Datteln und wurde im Schlafzimmer eingenommen. Mein Stuhl befand sich zwischen dem Bett und dem Tische. Der ärmste Pariser Ouvrier kann nicht einfacher, nicht ärmlicher leben, als der Dichtergreis lebte, dessen Lieder jeder Franzose auswendig weiß, um dessen Gunst die gewaltigsten Minister buhlten und dem es so leicht geworden wäre, große Reichthümer zu erwerben. Allein Béranger hat niemals Reichthum und äußeren Glanz begehrt. Er hat niemals einen hohen Posten verlangt; er hat keinen Titel, keinen Orden angenommen, obgleich man ihm all dies anbot, ja zu Zeiten förmlich aufdrängte. Er hatte sich gegen tausend verlockende Anerbietungen mit allen Kräften zu wehren. Hat ihn doch seine Anspruchslosigkeit zu einem langen, höchst sonderbaren Kampfe mit seinem Verleger getrieben! Béranger verlangte nämlich bloß achthundert Franken jährlicher Rente für seine Lieder, weil er glaubte, diese würden nach und nach in Vergessenheit gerathen. Der Verleger verfünffachte allmählich diese Summe, ohne sich dadurch zu Grunde zu richten.

So gering übrigens Béranger’s Einkünfte waren, er theilte sie dennoch mit den Hülfsbedürftigen und Nothleidenden, ja, er gab die größere Hälfte seines Einkommens hin, ohne es an die große Glocke zu hängen, ohne jemals davon zu sprechen. Die schönen Verse:

Mes besoins ne sont pas nombreux;
Mais, quand je pense aux malheureux,
Je me sens né pour être riche –

waren, wie er bis zu seiner Todesstunde bewiesen, aus tiefstem Herzen gesprochen. Wo seine eigenen Kräfte nicht ausreichten, wendete er sich an einflußreiche Freunde, von denen er niemals etwas für sich selbst verlangte.

Die Persönlichkeit des Dichters war höchst anziehend. Auf seinem breiten heiteren Gesichte, das mehr einen alten rüstigen Landmann als einen Poeten vermuthen ließ, lag die freundlichste Gutmüthigkeit; um seine aufgeworfenen Lippen spielte ein schalkhaftes Lächeln und sein klares großes Auge belebte sich ungemein, wenn er sprach. Seine Unterhaltung war sehr geistvoll, und man hörte ihm um so lieber zu, als er lange und unter den bewegtesten Epochen gelebt, zu den einflußreichsten Männern in vertrautester Beziehung gestanden und auch selbst keine geringe Rolle in der neuesten Geschichte Frankreichs gespielt hat. Welchen Zauber der Chansonnier auf Alle ausübte, die sich ihm näherten, mag Folgendes beweisen.

Als ich einst an einem Sommerabende mit Thackeray vor dem Café Richelieu saß, gesellte sich Appleton, der bekannte amerikanische Buchhändler, zu uns. Er war nach Europa gekommen, um der Krönung des gegenwärtigen Kaisers von Rußland beizuwohnen.

„Ich habe,“ sagte er, „ein gewaltiges Stück Eures Welttheils gesehen und gar viele Eurer politischen, literarischen und artistischen Größen kennen gelernt; aber unter allen diesen Größen hat nur ein Mann einen bleibenden Eindruck in mir zurückgelassen, und dieser Mann ist Béranger.“

Dies ist leicht zu erklären. Bei der persönlichen Bekanntschaft mit bedeutenden Dichtern wird man oft sehr enttäuscht. Der naive Leser hat deren Ideale in sich aufgenommen und hält den Schöpfer derselben ebenfalls für ein Ideal, für einen erhabenen Priester, der mit der weißen Binde um die Schläfen am Altare die heilige Flamme der Menschenliebe nährt und an nichts Irdisches denkt. Nach der ersten Begrüßung hören wir aber von dem erhabenen Priester nur bittere Klagen über die Schlechtigkeit und Niederträchtigkeit der Recensenten, über die Engherzigkeit und den Geiz der Verleger, allerlei boshafte Bemerkungen über seine Mitbrüder in Apollo und die schmeichelhaftesten Ausdrücke über sich selbst. Bei Béranger erlebte man solche Täuschungen nicht. Er sprach von sich selbst sehr wenig

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_579.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)