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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Milliarden Meilen sicher bestimmen konnte, aber auch dieses Senkblei reichte nicht bis in die Regionen der Fixsterne. Doch kam es ihnen nahe, und Deutsche waren es, denen endlich die Lösung des Problems gelang.

Fraunhofer, ursprünglich ein armer Glasschleiferlehrling, dem der König von Baiern, als er einst unter dem zusammengestürzten Häuschen seines Lehrherrn halb todt hervorgezogen wurde, aus Mitleid einige Goldstücke schenkte, hatte diese Hand voll Thaler so gut zur Ausbildung seines großen Talentes verwandt, daß er ein paar Jahre später an der Spitze eines optischen Instituts stand, aus welchem astronomische Werkzeuge von einer solchen Vollendung hervorgingen, wie sie die Welt bis dahin nie gesehen hatte. Er stellte ein Instrument her, welches zehnmal stärkere Messungen gestattete, als jenes, dessen sich Bradley bedient hatte. Freilich war damit nur nach einer Seite ein Fortschritt erzielt worden, denn das Instrument bedurfte auch eines Astronomen, der es verstand alle Vorzüge desselben gehörig zu benutzen. Auch der war da.

Friedrich Wilhelm Bessel, früher Handlungslehrling im Hause Külenkamp und Söhne in Bremen, hatte sich der wissenschaftlichen Welt durch Arbeiten bekannt gemacht, welche ein bedeutendes Talent verriethen, und war durch Humboldt’s Vermittelung als Director der neuen Sternwarte nach Königsberg berufen worden. In seine Hände kam das neue Instrument Fraunhofer’s. Bessel wandte es in den Jahren 1837 bis 1840 zu Messungen der Fixsternentfernung an. Aus seinen Beobachtungen geht hervor, daß der Stern Nr. 61 im Sternbilde des Schwans achttausend Milliarden Meilen von uns entfernt ist.

Seit dieser Zeit sind noch viele andere Bestimmungen von Fixsterndistanzen ausgeführt worden und man hat unter Anderen gefunden, daß der glänzende Sirius einundzwanzigtausend, der Stern Wega in der Leyer achtzehntausend, der Stern Arktur zweiunddreißigtausend und der Stern Capella neunundachtzigtausend Milliarden Meilen von uns entfernt ist. Diese Entfernungen sind so groß, daß wir uns ganz und gar keine Vorstellung davon machen können. Ich will daher nur bemerken, daß der Schall, wenn er beispielsweise bis zum Sirius hinaufdringen könnte, dazu dreizehn Millionen Jahre Zeit gebrauchen würde. Die Antwort auf eine nach dort gerichtete Frage würde also sechsundzwanzig Millionen Jahre auf sich warten lassen. Ein Baumwollfaden von größter bisjetzt erreichter Feinheit, der von der Erde zum Sirius reichte, würde ein Gesammtgewicht von fünftausend Millionen Centner besitzen. Der Lichtstrahl durcheilt in jeder Secunde einen Raum von vierzigtausend deutschen Meilen, er umkreist also in einer einzigen Secunde mehr als siebenmal die Erde. Trotz dieser ungeheuren Schnelligkeit gebraucht das Licht fast sechszehn Jahre um vom Sirius bis auf unsere Erde zu gelangen. Jeder Lichtstrahl, der beim Anblicke des Sirius in unser Auge dringt, ist demnach schon vor sechszehn Jahren von diesem Sterne ausgegangen. Weiter folgt hieraus, daß, wenn der Sirius heute aus irgend einem Grunde plötzlich seine Leuchtkraft einbüßte, wir ihn dennoch sechszehn Jahre lang leuchtend erblicken würden, weil der letzte seiner Strahlen uns erst nach Verlauf dieser Zeit erreicht hätte. Was hier vom Sirius gesagt wurde, gilt ähnlich, je nach Maßgabe der Entfernung, auch von den übrigen Fixsternen. Die schwächsten dieser letzteren, welche eben noch in mächtigen Fernrohren als aufglimmende Pünktchen erkannt werden, stehen in so großen Entfernungen, daß der Lichtstrahl drei bis vier Jahrtausende gebraucht, um von dort bis zu uns zu gelangen. Man begreift hiernach leicht, daß es richtig ist, zu behaupten, der gestirnte Himmel zeige sich unsern Blicken nicht wie er ist, sondern wie er vor vielen Jahren, Jahrhunderten und Jahrtausenden war.

Wenn man die großen Entfernungen betrachtet, in welchen sich die Fixsterne befinden, und wenn man bedenkt, daß sie uns trotzdem ein so stechend scharfes Licht zusenden, so muß man schon hieraus schließen, daß diese Weltkörper nicht von unserer Sonne erleuchtet werden, sondern, daß sie in ihrer Heimath selbst große, strahlende Sonnen sind. Dieser Schluß ist vollständig richtig, denn das Licht der Fixsterne erweist sich bei näherer Untersuchung mehr oder minder abweichend von der Zusammensetzung unseres Sonnenlichtes. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und beweisen, daß die Leuchtkraft unserer Sonne weit geringer ist als diejenige mancher Sterne. Der Sirius z. B. ist, wie ich oben bemerkt, einundzwanzigtausend Milliarden Meilen von uns entfernt oder etwas mehr als eine Million Mal so weit als unsere Sonne. Würde aber diese letztere eine Million Mal so weit entfernt, als sie wirklich ist, so müßte sie uns als ein Sternchen erscheinen, das nur den achtundachtzigsten Theil der Helligkeit des Sirius hätte. Folglich besitzt Sirius achtundachtzig Mal mehr Leuchtkraft als unsere Sonne, oder mit andern Worten, er würde, wenn er sich an Stelle unserer Sonne befände, uns achtundachtzig Mal mehr Licht und wahrscheinlich auch Wärme zuschicken, als diese. Auf ähnliche Weise hat sich gefunden, daß der Stern Capella sogar dreihundertsechszig Mal mehr Licht ausstrahlt als unsere Sonne, der Stern Nr. 61 im Schwan dagegen nur 1/200, ein anderer Stern (Nr. 34 Groombridge) gar nur 1/5000 des Sonnenlichtes. Letztere Sterne sind wahrscheinlich erlöschende Sonnen.

Allein nicht nur durch ihre sehr verschiedenen Helligkeiten unterscheiden sich die Fixsterne von unserer Sonne, sondern ein ziemlich bedeutender Theil davon strahlt dazu ein Licht aus, das nicht weiß, sondern intensiv gefärbt ist. Es giebt blaue, rothe, grüne, gelbe, goldfarbene Sterne. Besonders bei den sogenannten Doppelsternen erscheinen die Farben sehr ausgeprägt. Die hierhin gehörigen Fixsterne bilden ganz eigenthümliche Sternsysteme, in welchen sich zwei leuchtende Sonnen umeinander bewegen. In sehr vielen Fällen strahlen die beiden Sonnen, welche ein solches Doppelsternsystem bilden, ein ungleichfarbiges Licht aus; so kennt man weiße und blaue, grüne und blaue, goldfarbige und purpurrothe, weiße und rothe Doppelsterne. Dieselben gewähren im Fernrohre einen reizenden Anblick. Aber ein ganz anderes muß es in der Heimath dieser Doppelsterne sein, wie muß es auf den Planeten aussehen, welche zu diesen Sternsystemen gehören! Wir können uns hiervon eine allgemeine Vorstellung machen. Suchen wir uns zunächst einmal die magische Beleuchtung zu versinnlichen, welche am Firmamente und auf unserer Erde herrschen würde, wenn unsere Sonne statt weiß etwa purpurroth oder glänzend grün erschiene. Denken wir uns jetzt diese Sonne hoch am Himmel stehend; die ganze Natur ist von ihrem purpurfarbenen Lichte übergossen, statt eines blauen Himmels erblicken wir ein schwarzes Firmament; ebenso dunkel und schwarz erscheint das saftige Grün der Auen. Da plötzlich erhebt sich über den Horizont eine zweite goldgelbe Sonne. Mit einem Schlage verwandelt sich der ganze Anblick der Gegend. Ganz verschiedene Farben entstehen und tausendfach gebrochen und zurückgeworfen erscheinen die farbigen Strahlen, allenthalben tausenderlei Abstufungen bietend. Das sind in der That bunte Verhältnisse. Und gleich wie wir Menschen auf unserer Erde uns auf einen klaren, schönen Sonntag freuen, so erwarten vielleicht die Bewohner der Planeten jener Fixsterne mit gleicher Sehnsucht den Aufgang ihrer blauen oder goldgelben Sonne, um eine Landpartie zu machen, oder einen Berg zu besteigen, während die dortigen Maler jedenfalls den heillosen Mischmasch verschiedenfarbiger Beleuchtung verwünschen, oder noch gar in zwei Classen getheilt sind, von denen die eine Bilder malt, welche nur während des ausschließlichen Leuchtens der rothen oder blauen Sonne aufzustellen sind, während die andere auf die Erleuchtung der grünen oder gelben Sonne speculirt.

Doch ich will mich nicht weiter über Dinge verbreiten, von denen ich speciell ebenso wenig weiß, wie der Jesuit Kircher von den Leuten auf dem Planeten Mars oder wie Fontanelle von den Bewohnern des unserer Sonne so nahen Planeten Mercur, die nach der Meinung dieses berühmten Schriftstellers ein ziemlich verbranntes Hirn haben sollen. Uns kann es genügen zu wissen, daß es Systeme giebt, in welchen statt einer Sonne, wie bei uns, zwei und sogar drei und vier Sonnen sich befinden, daß diese Sonnen in vielen Fällen ganz verschiedenfarbiges Licht ausstrahlen, und daß für uns unter diesen Umständen recht bunte und recht schwarze Zustände eintreten würden.

Die nähere Untersuchung der Doppelsterne ist in diesem Jahrhunderte von mehreren Astronomen eifrig betrieben worden; zu welchen interessanten Resultaten man dabei gelangt ist, will ich hier nur an einem einzigen Beispiele zeigen. Im Sternbilde des Schlangenträgers befindet sich unter vielen anderen ein unansehnliches Sternchen, das sich im Fernrohre als doppelt erweist,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 581. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_581.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)