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verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

bestehend aus einem gelben Hauptsterne und einem purpurrothen Begleiter. Dieser Doppelstern ist zuerst von Herschel im Jahre 1779 beobachtet worden und die weiteren Messungen haben ergeben, daß der purpurne Begleiter seinen Hauptstern in sechsundneunzig Jahren einmal umkreist. Ferner hat die Beobachtung gezeigt, daß dieses Sternenpaar fünfundzwanzigtausendfünfhundert Milliarden Meilen von uns entfernt ist, daß der Hauptstern nur ein Fünftel der Leuchtkraft unserer Sonne besitzt, beide Sterne zusammen aber unsere Sonne an Gewicht zwei und drei Viertel Mal übertreffen. Und nun vergegenwärtige man sich die ungeheure Kluft, welche der menschliche Verstand überbrückt hat, indem er von dem bloßen Anblicke dieser Sterne als zweier kleiner Lichtpünktchen bis zu solchen Resultaten sich emporschwang!

Wie wir aber gesehen haben, sind die Entfernungen der Fixsterne so ungeheuer groß, daß wir uns von denselben gar keine sinnliche Vorstellung machen können. Mit diesen ungeheuren Entfernungen correspondirt die ungeheure Anzahl der Fixsterne. Wie mancher der geneigten Leser hat nicht schon bei aufmerksamer Betrachtung des gestirnten Himmels bewundernd der Schaar leuchtender Sterne gedacht, welche in den verschiedensten Helligkeitsabstufungen, bald hier bald da funkelnd, das Auge auf sich lenken! Immer neue Sternchen glaubt der schärfere Blick wahrzunehmen, die Schaar schwillt an; wer möchte sie zählen, wer ihren Ort bestimmen, wer sie alle registriren! In der That, es ist etwas Merkwürdiges um diese Anzahl, um diese dem bloßen Auge sichtbare Sternenmenge, aber nicht wegen ihrer Größe, sondern – wegen ihrer Geringfügigkeit. Es giebt Leute, welche mit großer Zuversicht behaupten, daß der aufwärts gerichtete Blick am nächtlichen Himmel Millionen von Sternen wahrnehme; diese Leute werden sich wohl nicht wenig wundern, wenn ich hier behaupte, daß noch nie ein Mensch mit bloßem Auge zweitausend Sterne gleichzeitig wahrgenommen hat. Auf Grund der genauesten wissenschaftlichen Untersuchungen, wobei alle Sterne der Reihe nach verzeichnet wurden, hat sich ergeben, daß das schärfste menschliche Auge am ganzen Himmelsgewölbe nur sechstausend Sterne wahrzunehmen vermag, wobei wohl zu bemerken ist, daß auch der südliche Himmel, den man jenseits des Erd-Aequators wahrnimmt, mitgerechnet ist. Wenn etwas an dieser Zahl überrascht, so ist es sicherlich ihre Geringfügigkeit. Vielleicht könnte man glauben, es sei doch bei dieser Zählung der eine oder andere Stern vergessen worden; ich will daher bemerken, daß die Astronomen in ihrer statistischen Aufnahme des Himmels viel weiter gegangen sind, daß sie nicht allein die dem bloßen Auge sichtbaren Sterne gezählt, katalogisirt und registrirt, sondern daß sie auch jenes große Heer von Fixsternen bestimmt haben, welches nur durch sehr lichtstarke Ferngläser gesehen werden kann. Erst auf diesem letzten Gebiete, dem der teleskopischen Sterne, fängt die Zahl der Gestirne an in’s Ungeheure zu wachsen. Ehe ich näher auf diese Verhältnisse eingehe, muß ich aber einige Erklärungen voraufschicken.

Man theilt die Sterne, wie den meisten Lesern bekannt sein dürfte, je nach ihrer scheinbaren Helligkeit in eine Anzahl von Classen oder Größenordnungen ein. Die hellsten Sterne, wie Sirius, Wega, Capella etc., gehören zur ersten Größe, Sterne, welche nur den vierten Theil dieser Helligkeit besitzen, zählen zur zweiten Größe, andere, die den vierten Theil des Glanzes der Sterne zweiter Größe haben, rangiren in der dritten Größe etc. Es hat sich nun ergeben, daß man mit bloßem Auge noch Sterne der sechsten Größe wahrnehmen kann, daß dagegen in den den kräftigsten Ferngläsern der Gegenwart noch Fixsterne sichtbar sind, welche zur sechszehnten Größe gehören. Gegenwärtig sind alle Sterne von der ersten bis zur neunten Größe, welche sich an der nördlichen Himmelshälfte befinden, gezählt, und außerdem ist der Ort jedes einzelnen so genau bestimmt, daß man ihn zu jeder Zeit mit Sicherheit finden kann. Und wie groß ist diese Summe? Sie beträgt dreihundertvierzehntausendneunhundertundzwanzig und übertrifft daher mehr als hundertmal die Anzahl der Sterne, welche dem bloßen Auge an der nördlichen Himmelshälfte sichtbar sind.

Um zu dieser Zahl zu gelangen, hat es der fast siebenjährigen ausschließlichen Arbeit der Sternwarte zu Bonn und beinahe einer Million einzelner Beobachtungen bedurft. Betrachtet man die auf diese Weise gewonnenen langen Zahlenreihen genauer, so findet sich, daß jede folgende Sternengröße fast genau dreieinhalbmal so viele Sterne enthält, als die vorhergehende. Diese Bemerkung setzt uns nun in den Stand, annähernd die Zahl sämmtlicher Sterne bis zur sechszehnten Größenclasse, also bis zur Grenze der Sichtbarkeit in unsern Ferngläsern, zu berechnen. Es findet sich dafür die Summe von sechshundertsiebenzehn Millionen. So groß diese Zahl ist, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß sie sich blos auf die nördliche Himmelshälfte bezieht; der südliche Himmel ist aber mindestens ebenso sternreich als der nördliche, so daß wir demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gesammtsumme aller überhaupt in den größten Ferngläsern noch sichtbaren Fixsterne auf eintausendzweihundert Millionen schätzen dürfen.

Diese Zahl wird dazu dienen, eine Ahnung von der Ausdehnung der Sternenwelt zu geben. Wir haben aber gesehen, daß es der Neuzeit gelungen ist, bei einigen Sternen directe Messungen ihrer Entfernung mit Erfolg anzustellen. Die Sterne, bei denen dies gelang, sind die uns nächsten, für die kleinen entfernten aber reichen unsere directen Messungsmittel nicht aus. Hier kann nur, wie schon Herschel gezeigt hat, die Anzahl der Sterne dazu verhelfen, annäherungsweise ihre Entfernung von uns kennen zu lernen. Man hat nämlich gute Gründe zu der Annahme, daß im Durchschnitt alle Sterne ziemlich gleich weit von einander entfernt sind; einige stehen ohne Zweifel näher bei einander, andere sind weiter entfernt, aber wenn man Hunderttausende von Sternen in’s Auge faßt, so gleichen sich die Unterschiede der Entfernungen nahezu aus und es ergiebt sich ein durchschnittlicher Abstand, den man nach Herschel „Siriusweite“ nennt. Steht dies einmal fest, so ist klar, daß der Raum, den eine Anzahl Sterne einnimmt, um so größer sein wird, je größer diese Anzahl selbst ist; kennt man letztere, so kann man auf die Größe des Raumes und die Entfernung der äußersten Sterne zurück schließen. Diese Rechnung hat man, auf Grundlage der obigen Sternzählungen, ausgeführt und gefunden, daß die äußersten Fixsterne so weit von uns entfernt sind, daß ihr Licht drei bis vier Jahrtausende gebraucht, um bis zu uns zu gelangen, wie ich bereits oben angeführt habe.

Ist nun dieser ungeheure Weltengarten das Universum oder ist er nur ein Theil davon? Diese Frage wird sich wohl den meisten Lesern aufdrängen. Ich will daher bemerken, daß dieses ungeheure Sternenheer keineswegs das ganze Universum ausmacht, sondern nur einen kleinen Theil desselben bildet, denjenigen nämlich, der in der Sehweite unserer Ferngläser sich befindet. Aus noch größeren Entfernungen schimmern neblige Gestalten zu uns herüber, die uns, wie ich in meinem Buche „Kosmologische Briefe“ auseinandergesetzt habe, allerdings wichtige Winke über die Entstehung des Sternenhimmels geben; aber im Großen und Ganzen stehen wir hier an der Grenze unseres Forschens, nicht jedoch an der Grenze der Welt! Die Wissenschaft bestätigt das Wort unseres großen Dichters Schiller:


„Steh! du segelst umsonst – vor der Unendlichkeit! – –
 Senke nieder,
 Adlergedank’, dein Gefieder!
 Kühne Seglerin, Phantasie,
 Wirf ein muthloses Anker hie.“




Riesenüberbrückung des größten nordamerikanischen Stroms.


Von Dr. J. J. Richter.


Es war an einem klaren Novembertage, als der Bahnzug nach einer zweitägigen Fahrt durch die Staaten New-York, Pennsylvanien, Ohio, Indiana und Illinois sich dem Mississippi näherte. Noch beschäftigte sich meine Phantasie in der eintönigen Umgebung mit den Eindrücken der vergangenen Nacht. Auf meinem Bette im Schlafwagen liegend, hatte ich den Vorhang, welcher das Fenster verhüllte, zurückgeschoben und lange hinausgeblickt auf die vom Monde beschienene Landschaft. Ausgedehnte Wälder begleiteten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1874, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_582.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)