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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Das Auge und das Mienenspiel.


Von Dr. Hugo Magnus in Breslau.


Das Auge spielt in dem Leben des Menschen eine zu hohe und wichtige Rolle, es ist die ungestörte, ungetrübte Functionsfähigkeit des Sehorgans für das Wohlbefinden und das Glück eines jeden Individuums ein zu nothwendiges, unerläßliches Erforderniß, als daß nicht der Werth und die Wichtigkeit dieser herrlichen, edlen Gabe der Schöpfung zu allen Zeiten und bei allen Völkern unbedingt anerkannt worden wäre. Die Dichter aller Nationen und aller Zeitalter haben diesem Bewußtsein von der Hoheit und Wichtigkeit des Auges für das irdische Glück in den beredtesten und farbenreichsten Worten Ausdruck gegeben; ihre Phantasie hat das Auge mit Eigenschaften und Fähigkeiten geschmückt, die dem nüchternen, kritisirenden Verstande des Gelehrten wie dem Laien doch oft etwas gewagt und kühn, der beflügelten Phantasie eines begeisterten Sängers aber wohl erlaubt und berechtigt erscheinen mögen, wenn es galt, das herrlichste, bedeutsamste Geschenk der gütigen Mutter Natur zu preisen.

Aber nicht blos des Lobes und der Verherrlichung der Dichter kann sich das Auge rühmen, sondern auch die Philosophen aller Schulen haben sich viel mit ihm zu schaffen gemacht; lag es ja doch so nahe und war so verführerisch, dem Auge allerlei Eigenschaften der Seele und des Charakters zuzuschreiben, in ihm die verschiedensten seelischen Zustände wiederzufinden und aus ihm herauszulesen. Es wundert uns daher gar nicht, wenn auch noch heutzutage das Publicum in derartigen Anschauungen befangen ist. Nicht blos der Araber, Italiener und Spanier fürchtet heute noch den „bösen Blick“, sondern auch der kalte, doch wahrlich nicht phantasiereiche Nordländer redet von einem unheimlichen, stechenden Blicke, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo und wie derselbe entstehen soll. Wir suchen ihn einfach im Auge, ohne daran zu denken, daß dasselbe in Wahrheit völlig unschuldig daran ist. Man behandelt das Auge eben in dieser Beziehung vielfach ebenso ungerecht wie das Herz; dasselbe soll bald böse, kleinlich, rachsüchtig, bald wieder edel, groß, erhaben sein, und doch ist es in Wahrheit eben nichts Anderes als eine rastlos arbeitende Pumpe, die durch ihre unermüdliche, rhythmische Thätigkeit den belebenden und ernährenden Blutstrom durch die Adern des Körpers treibt. Ebenso unschuldig aber wie das Herz an den niedrigen Eigenschaften des Sterblichen ist auch das Auge. Weder Gutes noch Böses, weder Erhabenes noch Gemeines liegt im Auge selbst, sondern wird ganz mit Unrecht in dasselbe hineingelegt.

Aristoteles und Seneca gehörten zu den Ersten, die in dem Auge einen Ausdruck, einen Abglanz der seelischen Affecte finden wollten.

In ähnlichem Sinne sagt Apulejus, er habe zu Korinth eine Tänzerin die Rolle der Venus spielen sehen; es habe dieselbe nur mit den Augen getanzt. Das ganze Mienenspiel, die Stellung, die Bewegungen der Augen selbst, sowie diejenigen der Lider können dem Gesichte wohl den von Apulejus geschilderten Ausdruck verleihen, aber die Augen allein sicherlich nicht. Der Augapfel an und für sich ist nie und nimmer im Stande, eine Stimmung der Seele zur Anschauung zu bringen. Es kann sich, wie uns die Physiologie und die praktische Augenheilkunde lehren, eine Veränderung in der Form des Augapfels, außer eben in krankhaften Zuständen, nie einstellen. Es bleibt unter physiologischen Verhältnissen der uns sichtbare, zugängliche vordere Abschnitt des Augapfels durchaus unverändert; genaue optometrische Untersuchungen haben nämlich gelehrt, daß die äußere Form des Auges, speciell die Krümmung der Hornhaut, unter normalen Verhältnissen sich nicht ändern könne, weder beim Betrachten kleiner, nahe gerückter Gegenstände, noch beim gedankenlosen Starren in’s Blaue hinein. Die einzige Veränderung, die man am Auge bemerken kann, wäre die Verkleinerung der Pupille, doch ist dies ein unserem Willen völlig entrückter Act, der nur im Interesse der optischen Vorgänge im Auge selbst bei verschieden Blickrichtungen oder beim Einfallen hellen Lichtes in das Auge stattfindet und für den Ausdruck sinnlicher Zustände ohne jede Bedeutung bleibt.

Eine so nebensächliche und untergeordnete Rolle also dem Augapfel selbst in der Darstellung von Gemüthszuständen zugetheilt ist, eine um so wichtigere und bedeutsamere ist den das Auge umgebenden Weichtheilen zugefallen. Ihre Stellung zu dem Sehorgan sowohl, wie zu den anderen Theilen und Organen des Gesichts bildet einen Hauptfactor in der Mimik und Physiognomik. Die Augenbrauen, die Lider, die Größe der Lidspalte und die dadurch bedingte scheinbare Vergrößerung oder Verkleinerung des Auges geben dem Augapfel die verschiedensten Gestaltungen und Formen, und sie eben sind es deshalb, die im Vereine mit den anderen Theilen des Gesichts die seelischen Zustände der Außenwelt andeuten. Man betrachte nur den Ausdruck eines Zornigen, und man wird sich bald klar werden, wie es hier hauptsächlich die weit aufgerissenen Lider und die in die Höhe gezogenen Brauen sind, die den eigenthümlichen, charakteristischen Ausdruck des Zornes in dem Gesicht hervorbringen, während der Augapfel selbst sich auch nicht im Geringsten in seiner Form verändert, sondern nur durch seine schnellen, rollenden Bewegungen den Seelenzustand des Zornigen verräth. Durch die weit geöffnete Lidspalte wird mehr von dem Weiß des Auges, der Lederhaut, sichtbar. Auch die Hornhaut wird freier und ist nur noch wenig von den sie sonst zum Theil deckenden Lidern verhüllt, sodaß der sogenannte Hornhautreflex oder Hornhautspiegel, welcher durch die von der glänzenden, spiegelnden Hornhaut zurückgeworfenen Strahlen erzeugt wird, mehr zur Geltung kommen kann – übrigens zugleich die einzige Rücksicht, in welcher der vulgäre Ausdruck von dem blitzenden, funkelnden Auge des Zornigen seine Berechtigung hat, obgleich das Blitzen des Auges in diesem Falle kein vermehrtes, sondern vielmehr genau dasselbe ist, das uns für gewöhnlich aus dem Auge eines völlig nüchternen, leidenschaftslosen Menschen entgegenstrahlt, aber allerdings durch die weit geöffneten Lider in größerer Ausdehnung sichtbar wird.

Verwandt mit dem Ausdrucke des Zornes ist der Ausdruck der Furcht. Auch hier werden die Lider weit aufgerissen, die Brauen in die Höhe und aneinander gezogen, nur rollt nicht der Augapfel selbst unstät umher, sondern heftet sich fest auf den furchterregenden Gegenstand; daher also der starre, unheimliche Blick des Furchtsamen, Erschreckten. Die Volkssprache hat somit gewiß Recht, wenn sie dem Erschreckten ein gläsernes Auge als charakteristisch für seinen Seelenzustand zuschreibt. Das aufgerissene, auf einen Fleck unverwandt hinstierende Auge hat eben etwas Todtes, Lebloses. Ebenso ist der vermeintliche drohende Blick, oder das strahlende, funkelnde Auge des Muthigen, abgesehen von der Stellung der anderen Gesichtstheile, hauptsächlich durch den erweiterten, in voller Ausdehnung sichtbar gewordenen Hornhautreflex zu erklären. Auch der Ausdruck der Zärtlichkeit, der List, der Geringschätzung, der Verschmitztheit, der Lüsternheit prägt sich im Auge nur durch eine Verengerung der Lidspalte aus, ohne den Augapfel selbst in seiner Gestaltung irgendwie zu beeinträchtigen.

In sehr interessanter Weise hat Duchenne auf experimentalem Wege die Bedeutungslosigkeit des Sehorganes für mimische Zwecke nachgewiesen. Nach ihm gelingt es nämlich mit Leichtigkeit, nur durch Elektrisiren bestimmter Muskelgruppen des Gesichtes, ohne jede Betheiligung des Augapfels selbst, dem Gesichte eines in dem Augenblicke des Experimentes geistig durchaus ruhigen, leidenschaftlosen Individuums den Ausdruck irgend eines seelischen Affectes willkürlich zu verleihen. Es sind in diesem Falle nun doch gewiß nicht die Augen, sondern die elektrisch gereizten Gesichtsmuskeln, die durch ihre Stellung und Lage, sowohl zu einander wie zu dem Augapfel, den beabsichtigten Gesichtsausdruck hervorbringen.

In allerneuester Zeit hat Darwin den Ausdruck der seelischen Zustände durch die verschiedenen Organe des Körpers einer genauen Untersuchung unterworfen, dabei aber auch eine directe Betheiligung des Sehorganes nicht erwähnt. Er spricht wohl von den Lidern, den Brauen, der Größe der Lidspalte, aber an keiner Stelle von einer directen Thätigkeit des Augapfels selbst durch Veränderung seiner Form. Zu ähnlichen Ergebnissen sind übrigens früher schon Bell, Piderit und Gratiolet gelangt.

Der Augapfel ist mithin physiognomisch ein nur äußerst wenig veränderliches Ding und die ihm beigelegte ausdrucksvolle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_595.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)