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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und vielgestaltige Sprache lediglich das mimische Erzeugniß der ihn umgebenden Weichtheile. Unter allen Umständen sind seine Leistungen, wenn man ihm auch nicht alle und jede Betheiligung an der Wirkung absprechen kann, zu unbeträchtlich, um ihm das Beiwort „Spiegel der Seele“ als wirklich verdientes zuertheilen zu dürfen. Es sind doch eigentlich nur die schnelleren oder langsameren Bewegungen, sowie die Stellung, die man dem Augapfel als eignes Verdienst bei dem so lebhaften und sprechenden Mienenspiel des Gesichtes in Rechnung bringen darf. Das so viel gerühmte Feuer des Auges aber bleibt, wie wir gesehen haben, unter allen Umständen völlig dasselbe. Denn der Zornige, der Kühne, der Liebende oder der Sanfte, sie Alle haben, dieselbe Größe der Augen vorausgesetzt, genau den gleich großen Hornhautreflex, welcher nur bei dem Einen durch die weit aufgerissenen Lider deutlicher zu Tage tritt, bei dem Anderen durch die gesenkten Lider halb verhüllt, gedämpft und gemäßigt wird.

Verhüllen wir Beiden das Gesicht und lassen nur die Augen frei, so wird nimmermehr Jemand den Zornigen oder den Sanften nur an den Augen erkennen. Man versuche es nur einmal selbst; man trete unter irgend einem seelischen Affecte, aber mit bis auf die Augen dicht verhülltem Gesicht, vor den Spiegel und studire den Ausdruck der Augen, so genau wie man nur immer wolle: man wird eben nur immer denselben Glanz aus ihnen leuchten sehen, von der Verkörperung jenes Seelenzustandes aber, auch bei sehr lebhafter Phantasie, nicht das Geringste entdecken können. Die Türken sind in dieser Erkenntniß unserer Philosophie schon seit lange überlegen. Ihre Weiber dürfen mit verhülltem Gesicht unbehindert jedem Fremdling begegnen, da sie sehr wohl wissen, daß die Augen allein doch Nichts sagen und also auch keine Verständigung vermitteln können, sondern aus allen Augen dem Neugierigen immer nur derselbe an sich nichtssagende Glanz entgegenblickt, mag unter dem verhüllenden Schleier immerhin das übrige Gesicht gar oft eine recht deutliche, vernehmliche Sprache reden.

Wenn somit die ernste, nüchterne Wissenschaft der Poesie wieder ein Ideal zertrümmern muß, wenn das poetische Wort, daß das Auge ein Spiegel der Seele sei, sich als ganz unhaltbar erweist und nichts weiter ist als eine Frucht der immer regen Phantasie des Dichters: so stimmen wir dennoch dem Dichter gern bei, wenn er die Schönheit des Auges rühmt, und sehen es ihm ebenso gern nach, wenn er seine Gestalten die Augensprache reden läßt, wie wir uns an den übrigen Idealen seiner Einbildungskraft ergötzen.

Allein, wenn sonach die Affecte der Seele, welche sich durch die anderen Theile des Gesichtes so scharf und sprechend markiren können, auf das Auge als solches auch keinen Einfluß auszuüben vermögen, wenn das Feuer und der Glanz des Auges, die, wie wir gesehen haben, nichts weiter sind als Spiegelreflexe der Hornhaut, von jenen Affecten völlig unberührt bleiben, so kann deshalb doch das Auge des Einen glänzender sein als dasjenige des Andern. Sind ja doch die schönen, sprühenden Augen der Andalusierinnen, sowie aller Südländer eben so sprüchwörtlich geworden wie die kalten Augen der Engländerinnen.

Auch wird Jeder wohl schon an sich selbst oft genug erfahren haben, wie dieses oder jenes Auge uns in einem wahrhaft bezaubernden, wunderbaren Glanze, ein anderes uns kalt und theilnahmlos anschaut. Diese Thatsache, weit entfernt, unsere obigen Ansichten über das Auge und sein Verhältniß zur Mimik zu beeinträchtigen oder uns in das ideale Lager der Dichter und Poeten zurückzutreiben, bietet uns im Gegentheil eine neue, schneidige Waffe im Kampfe gegen Idealismus und Phantasie. Denn der Unterschied in dem Glanz und Feuer verschiedener Augenpaare wurzelt einzig und allein in einer rein anatomischen Thatsache. Ein dunkles Auge, ein Auge mit brauner oder braunschwarzer Regenbogenhaut – ganz schwarze giebt es, nebenbei gesagt, nicht – eignet sich für die Bildung eines Reflexes der Lichtstrahlen auf der Hornhaut viel besser als ein Auge mit heller, blauer oder grauer Regenbogenhaut. Es herrscht unter den Hornhautreflexen zweier solcher Augenpaare ungefähr dasselbe Verhältniß wie zwischen den Spiegelbildern eines mit guter oder eines mit schlechter Spiegelfolie belegten Spiegels. Der gut belegte Spiegel wird ein viel lichtreicheres, strahlenderes Bild entwerfen als der mit weniger guter Folie bekleidete. Im Auge vertritt die Farbe der Regenbogenhaut gleichsam das Quecksilber am Spiegel; ein dunkler Hintergrund, also beim Auge eine dunkle Regenbogenhaut, spiegelt stets besser als ein heller. Somit ist der Hornhautspiegel am dunklen Auge lichtreicher und glänzender als am hellen, und wir nennen daher, ohne uns dieser anatomisch-physikalischen Thatsache bewußt zu werden, das dunkler gefärbte Auge der Südländerin glühend, das helle der Nordländerin kalt und wässerig.

Aehnlich erklärt sich auch die Thatsache, daß ein Leichenauge uns ausdruckslos und kalt entgegenstarrt. Durch den Tod wird die Hornhaut in ihrem Gefüge verändert; ihre oberflächlichen Schichten werden gelockert und erweicht, sodaß das von ihr entworfene Spiegelbild seinen früheren Glanz verliert, verwischt und lichtarm erscheint. Das Feuer, das uns aus dem geliebten Auge so oft entgegenstrahlte, ist unter der kalten Hand des Todes verloschen, aber nicht, weil die Seele ihre Hülle verlassen hat, sondern weil die Spiegelbilder der Hornhaut eine Trübung erfahren haben, und weil ihnen das belebende Spiel der Augenlider und Brauen fehlt.

Aus demselben Grunde erscheint uns auch in erblindeten Augen das Feuer und der Glanz derselben so oft erloschen, der Blick kalt und ausdruckslos. Durch die zur Erblindung führenden Krankheiten werden nämlich häufig die Hornhautbilder, deren spiegelnder, glänzender Reflex zerstört und abgeschwächt, indem entweder die Hornhaut selbst oder die Regenbogenhaut durch die Erkrankung derartig verändert werden, daß ihre Fähigkeit, den Glanz und den Lichtreichthum der Reflexe zu erzeugen, respective zu erhöhen, auf immer verloren ist. Außerdem darf man auch nicht vergessen, daß bei totaler Erblindung der Ausdruck des Gesichts, das ganze Mienenspiel zum Theil verloren geht. Denn das Auge ist ja gleichsam das Thor, durch welches die die Seele erregenden und belebenden Eindrücke und Affecte ihren Einzug halten. Ist dieses Thor geschlossen, die Seele von ewigem Dunkel umfangen und von allen sie belebenden Eindrücken fast ganz ausgeschlossen, so wird sich dieser Zustand nur zu bald in der Unthätigkeit des Mienenspiels aussprechen, das Gesicht kalt und theilnahmlos erscheinen, sodaß man also auch in diesem Falle des schon oben erwähnten Irrthums sich schuldig macht, wenn man, anstatt vielmehr die Gesichtsmuskeln, das Auge todt, kalt und ausdruckslos nennt. Der praktische Augenarzt hat leider nur zu oft Gelegenheit, derartige Beobachtungen zu machen. Die Haltung der Augen, die Leerheit der Gesichtszüge geben ihm nicht selten einen Anhaltepunkt zur Erkenntniß der Krankheit. Gar häufig blitzt uns noch aus den Augen des Kranken das alte Feuer entgegen, und doch umnachtet schon ewige Finsterniß den Geist desselben. Die äußeren Theile des Auges, wie Hornhaut etc., sind zwar gesund geblieben, aber vielleicht sind der Sehnerv oder die Netzhaut in der Tiefe des Auges abgestorben. Alsdann leuchtet eben von der gesunden Hornhaut noch der alte Glanz in ungetrübter Helligkeit, aber das Auge ist erblindet, und der Arzt erkennt diese Sachlage nicht selten schon an der Leblosigkeit, der Leerheit der Gesichtszüge.

Nicht aus der Tiefe des Auges dringt also der zündende, strahlende Blick, nicht als Ausfluß des Geistes ist er des Auges eigenes Product, sondern er wird lediglich durch die erborgten Lichtstrahlen der Außenwelt bedingt, ist eine streng physikalische, optische Erscheinung, die nicht dem Auge als solchem eigenthümlich ist, sondern die es mit jedem Spiegel zu theilen hat. Wie jeder Spiegel die auf ihn fallenden Lichtstrahlen als mehr oder minder lichtstarkes Bild zurückwirft, so thut es auch das Auge durch seine Hornhaut und seine Linse. Nur der Wechsel in der Größe, dem Lichtreichthume dieses Reflexes, wie ihn die Bilder durch ihre verschiedenen Stellungen und Haltungen zum Auge bedingen, verleiht dem Feuer des Auges etwas Belebtes und Sprechendes, während dieser Reflex an und für sich ebenso todt und kalt ist wie der von dem Spiegel an der Wand reflectirte Lichtstrahl.

Ich habe in unserer Betrachtung hauptsächlich des Hornhautspiegelbildes gedacht, die beiden von der Krystalllinse entworfenen dagegen fast gänzlich ignorirt, weil ich deren Bedeutung für Mimik und Physiognomik gleich Null erachte. Sie sind nämlich um Vieles lichtschwächer als jenes und werden durch dessen Glanz daher völlig überstrahlt. Mag ihre Bedeutsamkeit für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_596.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)