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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

auch hier sehr streng von abergläubischen Leuten beobachtet. Ueberhaupt findet man gerade in unserer Provinz die Sitten und Gebräuche, wie sie über ganz Deutschland zerstreut zu finden sind, auf engem Raume wieder. Ostpreußen ist gleichsam in dieser Beziehung „Deutschland in gedrängter Darstellung“. Sind doch unsere Väter aus allen Gauen des großen Vaterlandes eingewandert.

Neben den dort genannten auf Aberglauben beruhenden Gebräuchen begleiten noch andere das hiesige Volk von der Wiege bis zur Bahre. Ist z. B. ein Kind am Donnerstage geboren, so darf es nicht Sonntags getauft werden, sonst sieht es Geister. So lange aber ein Kind ungetauft ist, muß Nachts Licht in der Stube gebrannt werden, damit nicht die Zwerge kommen und es vertauschen (Sollte dies nicht erfunden sein, um die Eltern anzutreiben, ihre Kinder so früh wie möglich zur Taufe zu bringen?) Wird das Kind zur Taufe gebracht, so versäumt die sorgsame Großmutter nicht, demselben ein Geldstück, in ein mit „Gottes Wort“ bedrucktes Papier gewickelt, zuzustecken. Wehe aber dem kleinen Erdenbürger, wenn der Wagen durch irgend ein Hinderniß auf dem Wege zur Taufe zum Stehen gebracht wird! Sein Weg durch’s Leben ist dann mit vielen Hindernissen verbunden. Ein böses Omen ist auch derselbe Fall, wenn er dem zur Trauung fahrenden Brautpaare passirt. Soll das junge Paar keinen Mangel im Eheleben haben, so muß die Braut zur Trauung Salz, Brod und Geld mitnehmen.

Ist bei einem Mädchen die zweite Zehe länger als die große, so ist sie sicher, einst über ihren Mann zu herrschen, ist sie aber nicht schon so durch die Natur bevorzugt, so sucht sie die Herrschaft auf dem Wege der List zu erlangen; sie bekniet den Rockschooß des Bräutigams bei der Trauung. Eine reformirte Braut ist in dieser Hinsicht schlimmer berathen.

Während so das schöne Geschlecht alle Mittel anwendet, um die Herrschaft über den Mann zu erlangen, verkündet es ein großes Unglück, wenn ein Huhn sich erkühnt, die Stelle des Hahnes zu vertreten, und zu krähen beginnt. Gewöhnlich ist’s um das Leben solchen Thieres geschehen. Das Beil trennt schnell den mit Herrschergedanken erfüllten Kopf von dem zur Demuth bestimmten Körper. Oft wird auch hierbei noch das Schicksal angerufen. Man mißt mit dem Huhne die Diele der Stube von der Außenwand bis zur Thürschwelle. Trifft beim Messen der Kopf auf die Schwelle, so ist freilich der Tod erfordert, trifft der Schwanz dorthin, so wird nur dieser erbarmungslos abgehauen, und das drohende Unglück ist abgewendet.

Begegnet man beim Ausfahren einer weiblichen Person, so ist die Reise mit Unglück verbunden, wenn man nicht sofort umwendet und erst um den Brunnen fährt. Heult aber der Hund des Nachts, so ist sicher, daß bald Jemand in der Familie des Besitzers oder im Orte stirbt.

Die Schemel, worauf der Sarg gestanden, müssen, sobald der Sarg emporgehoben ist, um hinausgetragen zu werden, sofort umgeworfen werden, wenn nicht bald wieder eine Leiche auf denselben stehen soll. Geht der Leichenzug vom Kirchhofe, so deutet man aus der letzten Person, ob ein Kind oder ein Erwachsenes zunächst sterben wird. Stirbt Jemand im Dorfe in den „Zwölften“, so giebt’s zwölf Leichen in dem Jahre. Jede Blume, die, vom Grabe gepflückt, nach Hause getragen wird, holt der Todte des Nachts als sein Eigenthum zurück.

E. K.




Die syrischen Schwammfischereien. Es ist ein altes Wort, daß sich der Culturgrad eines Landes nach seinem Verbrauch von Seife bestimmen lasse. Auch der Verbrauch von Schwämmen könnte als Bildungsmesser betrachtet werden. In der That erreicht er in den europäischen Culturländern eine bedeutende Höhe. England allein führt alljährlich für zwei und eine halbe Million Schwämme ein. Sie kommen aus Griechenland, Syrien und den westindischen Inseln. Bekanntlich ist der Schwamm ein Pflanzenthier, das sich in der Nähe der Küsten auf felsigem Boden ansiedelt. Für die besten Schwämme gelten die syrischen, die man bei Tripolis, Ruad, Latakia und Batrun gewinnt. Bei Tripolis und Batrun findet man die besten, aber die Fischerboote besuchen alle Theile der Küste vom Berge Carmel im Süden bis Alexandretta im Norden. Der Gesammtwerth der Schwämme, welche die syrische Küste liefert, steigt in guten Jahren auf eine halbe Million Mark. Der Ertrag nimmt übrigens ab, da man zu viel gefischt hat. Gegenwärtig sind längs der syrischen Küste immer noch zweihundertfünfzig bis dreihundert Boote mit einer Mannschaft von fünfzehnhundert Köpfen thätig. Meistens sind es gewöhnliche Fischernachen mit einem Deck, das über drei Viertheile des Fahrzeuges weggeht, und mit einem kleinen Maste, der ein gewöhnliches Eversegel trägt. Ein solches Boot ist zwanzig bis dreißig Fuß lang und mit vier bis fünf Leuten bemannt, von denen einer die ganze Schiffsarbeit besorgt, während die Uebrigen Taucher sind. Die Fischerei wird vom Juni bis Mitte October betrieben. Lohn wird nicht bezahlt; die Leute erhalten einen Antheil vom Gewinn, und ein guter Taucher kann es bis auf achthundert Mark bringen. Schon als Knabe beginnt er sein Gewerbe und betreibt es bis zum vierzigsten Jahre. Schaden an ihrer Gesundheit scheinen die Taucher nicht zu nehmen, und wenn sie so früh aufhören, so liegt der Grund blos darin, daß ein Vierzigjähriger mit seinen jüngeren und kräftigeren Genossen nicht concurriren kann. Die Zeit, die ein syrischer Taucher unter dem Wasser zu verleben im Stande ist, hängt natürlich von Alter, Uebung und Körperbeschaffenheit ab. Sechszig Secunden gelten für eine hohe Leistung, und selten sind die Taucher, die achtzig Secunden unter dem Wasser aushalten. An der Küste hört man freilich von Solchen, die erst nach zehn Minuten wieder emporkommen. Der Taucher geht auf folgende Art zu Werke. Nachdem er sich vollständig entkleidet hat, bindet er sich ein offenes Netz, das seine Beute aufzunehmen bestimmt ist, um die Hüften, umfaßt mit beiden Händen einen länglichen weißen Stein, an dem ein Seil befestigt ist, und stürzt sich in’s Meer. Hat er den Grund erreicht, so läßt er den Stein zu seinen Füßen niedergleiten, hält sich am Seile mit der einen Hand fest und reißt mit der andern alle Schwämme ab, zu denen er gelangen kann. Durch Rucke am Seile giebt er das Zeichen, daß er nicht länger unten aushalten kann, und wird heraufgezogen.

In früheren Jahren stellten sich an der syrischen Küste viele Taucher vom griechischen Archipel ein. Jetzt kommen von dort blos noch fünf bis sechs Boote, da die große Gewandtheit der syrischen Taucher und ihre genauere Kenntniß der Küste eine Concurrenz sehr erschweren. In den Handel werden drei Classen von Schwämmen gebracht: feine, weiße Toilettenschwämme von Glockenform, große röthliche Badeschwämme (sogenannte Venetianer) und grobe rothe Schwämme, die zum Abwaschen von Fenstern, Thüren u. s. w. dienen. Etwa ein Drittel aller Schwämme wird von französischen Agenten aufgekauft, welche die syrische Küste alljährlich bereisen. Die türkische Regierung läßt sich den zehnten Theil des Ertrages der Fischereien als Steuer bezahlen.




Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes. Auf diesen in Nr. 34 unseres Blattes abgedruckten Artikel erhalten wir von allen Seiten anerkennende Briefe und wahrhaft enthusiastische Zustimmungen, deren Empfang wir hiermit dankend bestätigen, da wir unmöglich jede einzelne Zuschrift beantworten können. Verschiedene Zeitungen haben uns gleichzeitig um die Erlaubniß des Nachdrucks ersucht, die wir im Interesse der guten Sache auch gern gegeben. Wie sehr übrigens der Artikel einen wunden Fleck unseres so sehr gerühmten Humanitätsjahrhunderts getroffen hat, mögen nachfolgende zwei Thatsachen beweisen. Einer der Redacteure (aus Württemberg), der sich an uns wegen des Nachdrucks gewandt hatte, schreibt dabei:

„Wenn ich Ihnen, geehrter Herr, zum Schluß noch eine Thatsache aus unserm benachbarten Oberamtsbezirk X. mittheile, so werden Sie mit mir begreifen, daß Ihr Artikel ein Wort zur rechten Zeit war. Ein Fleischer, der Kälber auf seinem Wagen hatte, kam Abends in ein Wirthshaus und verlangte gebackene Kalbsfüße zum Nachtessen. Auf die Antwort des Wirths, daß es keine gebe, ging das Scheusal zu seinem Wagen hinaus und kehrte gleich darauf mit zwei Kalbsfüßen zurück, die er – es ist fast unglaublich, daß solche Rohheit noch vorkommen kann – einem der lebendigen Kälber abgeschnitten hatte, um sich solche backen zu lassen.“

Aus Liebertwolkwitz, in der Nähe von Leipzig, wird weiter berichtet: „Wir müssen leider über einen Act bestialischer Rohheit Mittheilung machen. Am vorigen Sonntag wurden von der hiesigen Gensdarmerie zwei Fleischergesellen, Friedrich Hennicker von hier und Gustav Kühn aus Holzhausen, verhaftet, weil sie beim Transport das ihnen übergebene Schlachtvieh wahrhaft entsetzlich mißhandelt hatten. Sie schlugen auf dem Wege von Klinga und Steinberg mehrere Kühe mit ihren Stöcken blutig, und als darauf die Thiere wegen Ermattung nicht weiter konnten, haben sie dürres Gras den Kühen unter die Schwänze gebunden und angezündet, einer andern einen mit Eisenspitzen versehenen Stock weit hinein in den Leib getrieben. Sämmtliches Schlachtvieh hat man sofort nach seinem Eintreffen hier tödten müssen, um den Eintritt des Brandes zu verhüten. Die Missethäter befinden sich hinter Schloß und Riegel und gehen hoffentlich exemplarischer Bestrafung entgegen.“




Abermals Fürst Pückler-Muskau. Zu der Notiz über die Bestattungsweise des Fürsten Pückler-Muskau im Briefkasten unserer Nr. 34 geht uns eine Berichtigung des Herrn Dr. Richter in Cottbus zu, der wir Folgendes entnehmen:

„Ich bin seit einigen zwanzig Jahren Arzt beim Fürsten gewesen und habe somit vielfach Gelegenheit gehabt, mit ihm das Thema über Leichenverbrennung zu besprechen. Nach seinem (am 4. Februar 1871 Abends elf dreiviertel Uhr eingetretenen) Tode fand sich in seinen Papieren folgende Anordnung vor: ‚Mein Körper soll nach meinem Tode secirt, das Herz herausgenommen und in eine Urne gethan und sodann der Leichnam verbrannt werden (chemisch?). Der Doctor Richter, Doctor Liersch und Doctor Malin sollen dies vornehmen.‘

Am zweiten Tage nach erfolgtem Tode vollzogen wir die Obduction, die, beiläufig bemerkt, gar keine Resultate irgend eines kranken Organs darbot; vielmehr waren sämmtliche Organe ganz intact, sodaß wir nur Marasmus als Todesursache bezeichnen konnten.

Da wir nicht sicher waren, ob die Verbrennung des Leichnams auf einem Scheiterhaufen statthaft wäre, begab sich der hiesige Kreisgerichtsdirector Sturm als Testamentsvollstrecker nach Berlin zum Minister von Mühler, um die Einwilligung einzuholen. Dieser sprach sich dahin aus, daß kein Grund vorhanden wäre, die Verbrennung zu verbieten.

Dies mitgebrachte Resultat brachte uns Aerzte in Verlegenheit, da wir – offen gestanden – nicht recht wußten, wie die Procedur vor sich gehen sollte. Wir nahmen also unsere Zuflucht zu der Parenthese: chemisch? und halfen uns auf folgende Weise: Das herausgenommene Herz wurde in ein Glasgefäß, angefüllt mit Schweflesäure, gethan und dies wiederum in eine kupferne Urne, die verlöthet wurde und nach dem Willen des Fürsten auf den Sarg zu stehen kommen sollte. Die drei Höhlen des Leichnams wurden, nach Art der Wiener Aetzpasta, mit Kali hydricum und Calx usta ausgefüllt, sowie dieser selbst mit dieser Mischung über und über dick bedeckt. Der Leichnam lag bereits in einem Zinksarge. Dies ist die wahrheitsgetreue Schilderung des Vorganges.“




Zur Beachtung. Von Berlin aus wird zur Zeit ein blau gefärbtes krystallinisches Pulver in den Handel gebracht, welches zur Rectification des Petroleums dienen soll. Kleine Quantitäten (eine Messerspitze voll) des betreffenden Pulvers sollen in die Petroleumreservoire der Verkäufer gebracht werden. Dadurch soll die Leuchtkraft des Oeles erhöht, die Explosion desselben verhindert, das Rauchen der Flamme beseitigt und das Berußen und Zerspringen der Cylinder aufgehoben werden. Das Pulver ist in kleinen Dosen in blaues Papier verpackt, kostet pro Dosis zehn Groschen und ist nach einer Untersuchung von Dr. A. Hosäus in Helmstedt nichts weiter als mit Ultramarin blau gefärbtes Kochsalz. Der Werth eines solchen Pulvers beträgt einen bis zwei Pfennige; sein Nutzen ist ganz illusorisch. –


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_602.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)