Seite:Die Gartenlaube (1874) 606.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

stolzesten Befriedigung des Schaffens, das in der Einsamkeit zu einer Qual wird, der man entfliehen muß, und wäre es auch um den Preis der wildesten Betäubung. Ich glaubte, es sei allein das Sehnen nach meinem Kinde, da sah ich das Kind wieder, sah Dich – und da wußte ich, was dieses Sehnen gewollt hatte, da begann die Sühne für Alles, was ich an Dir verschuldet.“

Er sprach ruhig, ohne Vorwurf und ohne Bitterkeit, aber die Worte schienen darum nur um so mächtiger auf Ella zu wirken; sie hatte sich erhoben, als wolle sie diesem Tone und diesem Blicke entfliehen, und vermochte es doch nicht.

„Laß mich, Reinhold!“ bat sie beinahe flehend. „Ich kann jetzt nichts Anderes denken und fühlen als nur die Gefahr meines Kindes. Wenn ich den Knaben gerettet in meinen Armen habe, dann –“

„Nun, dann –“ fragte er in athemloser Spannung.

„– habe ich vielleicht nicht mehr den Muth, seinem Vater wehe zu thun,“ ergänzte die junge Frau, während ein Thränenstrom aus ihren Augen stürzte.

Reinhold sagte kein Wort weiter, aber er schloß ihre Hand so fest in die seinige, als wolle er sie nie wieder loslassen. In derselben Minute erschien auch der Wagen auf der Höhe, und der Führer hielt an, um sich und den ermüdeten Thieren einige Ruhe zu gönnen.

Fast gleichzeitig kamen von der andern Seite her die beiden Landleute, die schon vorhin auf der Straße sichtbar gewesen waren. Sie musterten neugierig die schöne blasse Dame und den fremden, vornehm aussehenden Herrn, der jetzt an sie herantrat und fragte, woher sie kämen. Sie nannten eine Ortschaft, die einige Stunden entfernt, am Ausgange des Thales lag.

„Habt Ihr keinen Wagen gesehen?“ forschte Reinhold.

„Gewiß, Signor. Einen Reisewagen wie den Eurigen, aber er hatte nur zwei Pferde. Ihr habt deren vier.“

„Habt Ihr die Insassen gesehen?“ fiel Ella mit bebender Stimme ein. „Wir suchen eine Dame mit einem Kinde.“

„Mit einem kleinen Knaben – ganz recht, Signora. Sie ist Euch aber schon eine ganze Strecke weit voraus. Ihr müßt scharf zufahren, wenn Ihr sie einholen wollt,“ sagte der ältere der beiden Männer und trat zugleich erschrocken näher, denn es sah aus, als wolle die Dame zusammensinken bei der Nachricht; in demselben Augenblick aber schlang auch schon ihr Begleiter den Arm um sie und hielt sie aufrecht.

„Muth, Eleonore! Wir stehen vor der Entscheidung; jetzt gilt es.“

Er hob sie in den Wagen und sprang selbst nach. Die wenigen Worte, die er dem Kutscher zurief, mußten wohl ein ganz ungewöhnliches Versprechen enthalten, denn dieser schwang wie rasend seine Peitsche über die Pferde, und fort ging es, den Flüchtigen nach.

Diese hatten in der That schon einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, und auch ihr Wagen fuhr in scharfem Trabe. Beatrice befand sich allein darin mit dem kleinen Reinhold, der, ermüdet vom Weinen und von der ruhelosen, anstrengenden Fahrt, eingeschlafen war. Das blonde Lockenköpfchen schmiegte sich tief in die Polster; die Händchen hielten instinctmäßig die Seitenlehnen umklammert, als suchten sie eine Stütze gegen das ununterbrochene Stoßen und Rütteln auf dem unebenen Wege. Das Kind schlummerte tief und fest, aber Beatrice beachtete es kaum in diesem Augenblick. Sie befand sich in jenem Zustande geistiger Ueberreizung, der auch der wildesten Leidenschaftlichkeit Halt gebietet. Es lag auf ihr wie ein schwerer dumpfer Traum, aus dem nur Eins mit furchtbarer Deutlichkeit hervortrat, die Erinnerung an jene Stunde, wo Rinaldo sich von ihr lossagte, wo er sie den Fluch und das Unglück seines Lebens genannt und ihr mit stolzem Trotz bekannt hatte, daß seine Liebe einzig seiner Gattin angehöre. Diese Worte bohrten sich immer wieder wie mit einem glühenden Stachel in das Herz der Italienerin. Was sie auch gethan, wie sie gefehlt haben mochte, diesen einen Mann hatte sie mit der ganzen Gluth ihrer Seele geliebt, diesem einen war sie unverbrüchlich treu gewesen; sie hatte seine Liebe als ein Recht betrachtet, das keine Macht der Welt ihr zu entreißen vermochte, und nun verlor sie es an die Frau, die sie unter Allen am letzten gefürchtet hätte, an sein Weib. Sein Weib und sein Kind! Das war ja von jeher der dunkle Schatten gewesen, der diesem Glücke drohte, und der jetzt, aus der fernen Vergangenheit hervortretend, Leben und Gestalt gewann, um es zu vernichten.

Beatrice hatte die Beiden gehaßt, noch ehe sie dieselben kannte; wußte sie doch am besten, welchen Platz sie noch immer in Reinhold’s Erinnerung behaupteten, hatte sie es doch oft genug vergebens versucht, ihn davon loszureißen Es mußte doch wohl etwas sein an der einst verhöhnten Macht der geheiligten Ehe; sie siegte schließlich doch über die schöne geniale Biancona, über die hochgefeierte Künstlerin und ließ sie jetzt selbst die ganze Qual des Verlassenwerdens durchkosten, die sie einst so gleichgültig über eine Andere verhängt hatte, ohne danach zu fragen, ob das Herz dieser Andern brach unter dem unverdienten Schicksal. Die scheinbar zerrissene Fessel hatte den Flüchtling ja nie ganz losgelassen; jetzt umwand sie ihn auf’s Neue, und Beatrice fühlte mit verzweiflungsvoller Gewißheit, daß sie nie den Platz in seinem Herzen besessen hatte, den jetzt seine Gattin einnahm.

(Fortsetzung folgt.)




Das Stelldichein.

Von Hermann Oelschläger.

Der Tag erlischt, der Tag verglüht
Und sinkt in’s Reich der Träume;
Der Sonne letzter Strahl versprüht
Ueber dem Wipfel der Bäume.

5
Rings Fried’ und Ruh; kein Späher lauscht

Zum Aerger mir und Leide,
Nur dorten zwischen den Büschen rauscht
Es wie von Sammt und Seide.

Von Sammt und Seide! Und der Sand

10
Knirscht schon von sachten Tritten;

Die schönsten Füßchen sind’s im Land,
Die je den Weg hier schritten –
So heimlich und verstohl’ner Weis’,
Als hätt’ die Liebe Schwingen,

15
Und horch, schon klirrt das Gitter leis’,

Und Schloß und Riegel springen.

Und Herz an Herz und Mund an Mund –
Was soll ich weiter sagen!
Ihr wißt ja, wie zu solcher Stund’

20
Sich Wort und Küsse jagen,

Wenn uns der Liebsten Lockenpracht
Umwallt in duft’gen Ringen
Und wenn ihr schönes Auge lacht
Bei all den süßen Dingen.

25
Und was mein Herz durchloht, durchflammt,

Ich sag’ es ihr zum Preise;
Wie leuchtet aus dem dunklen Sammt
Ihr Arm, der blüthenweiße!
Wie gar so wonniglich versteht

30
Sie, Lieb’ um Lieb’ zu tauschen – –

Hoch oben durch die Bäume geht
Ein tiefgeheimes Rauschen.

Der letzte Kuß! Da klirrt das Thor,
Der Riegel fällt; kein Bitten

35
Hält ihn zurück und wie zuvor

Lausch’ ich den lieben Schritten.
Sie sind verhallt, die Seligkeit
Verscheucht von Gram und Sorgen –
Bis morgen, ach, wie lange Zeit,

40
Wie lange Zeit bis morgen!




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_606.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)