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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

werden, da die einzelnen Leichentheile ebenso verbrannt werden können, wie die einzelnen Theile eines Holzscheites und das ungetheilte Scheit.

„Wie oft sieht sich die Criminaljustiz veranlaßt, Leichen wieder ausgraben zu lassen!“ Ja, „wie oft“? Gar nicht oft, sondern äußerst, äußerst selten. Ein seit Jahrzehnten amtirender Bürgermeister einer der größten Städte hat mir unlängst versichert, daß von den vielen Hunderttausenden von Leichen, die während seiner Amtszeit begraben wurden, auch nicht eine einzige zu Justizzwecken ausgegraben wurde. Fast von jeder Stadt, wo ich mich danach erkundigt habe – oder wo Herr Lange die Güte haben wird, sich zu erkundigen – ist Gleiches zu erfahren. Wenn also den Lebenden dadurch Nachtheil entsteht, aus welchen Gründen sollen wir um etwa möglicher Ausgrabungen willen ein altes, unrichtiges System beibehalten und ein neues, richtigeres verwerfen? „Pereat mundus et fiat justitia.“

„Die traditionelle Sitte“, – „die Symbolik“ – und „der Kirchhof“ – laufen durch Feuerbestattung Gefahr. Das mag sein. Mögen Andere es entscheiden! Ich kämpfe auf diesem Gebiete nicht, denn hier bin ich nicht zu Hause. Mir gilt nur das Eine: der Gewinn für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen. Ist dieser Gewinn vorhanden (und er ist es nach meiner festen, innigen Ueberzeugung), dann gebe ich „Tradition“, „Symbolik“ und „Kirchhof“ um seinetwillen auf.

„Pietät gegen das geweihte Menschenbild“. Wenn Sie, Herr Professor J. P. Lange in Bonn, jemals einen „faulenden“ und einen „verbrennenden“ Leichnam gesehen hätten, so würden Sie nicht von „Pietät“ im Interesse des Begrabens reden. Ich habe Beides gesehen. Ich habe den Begrabenen als ekles Zerrbild der Menschengestalt gesehen – ich habe den Leib sich irdisch verklärend und im Glühen unmerklich dahinschwindend gesehen. Ich habe in einem Falle Abscheu, im andern Bewunderung empfunden. Sie aber – lernen Sie doch von der Naturwissenschaft die Scheu vor Unwahrem!

„Die Leichenverbrennung als Luftvergiftung“ predigt uns Herr Lange zum Schluß. Auch hier führt er einen Kampf mit Windmühlen. „Die gewöhnliche Verbrennung“ soll „Flamme, Rauch und Asche“ geben. Das giebt nicht die gewöhnliche, sondern die unvollkommene Verbrennung. Bei der Feuerbestattung ist der Apparat aber für vollkommene Verbrennung eingerichtet. Kein Wölkchen Rauch entsteigt der Esse. Kein „Geruch brennender Knochen und Gebeine“ konnte bei den mehrmals wiederholten Versuchen wahrgenommen werden. Es handelt sich eben nicht um trockene Destillation, sondern um vollständige Verbrennung, bei welcher unter Erscheinung einer weißen Flamme der Leichnam sich in Wasser, Kohlensäure und Stickstoff auflöst. Die Lange’sche Phantasmagorie, daß man künftig unsere Abgeschiedenen „in den Nebeln der blauen Berge wieder zum Vorschein kommen sehen“ könne – ist also ein geistiges Nebelbild unseres geehrten Herrn Gegners. –

In Bonn, in der reizvoll am grünen Ufer des deutschen Stromes gelegenen Stadt, lehrten einst Männer wie Helmholtz, Max Schulze, Ritschl. Von diesen wäre sicher kein Angriff gegen die „Feuerbestattung“ gekommen. Und wäre er, – so wäre uns ihnen gegenüber die Abwehr nicht so leicht gemacht worden, sondern wir hätten dankend Neues und Wahres entgegennehmen können. –

2) Wenden wir uns nun zu den Freunden. Diese haben es uns minder leicht gemacht, denn sie haben herausgegriffen, was vielleicht Vielen auf dem Herzen lag.

Die Freunde der „Feuerbestattung“ haben Anstoß daran genommen, daß unsere Abbildung in Nr. 19 der „Gartenlaube“ von diesem Jahre den „Sarg“ als Hülle des Todten zeige. „Wenn wir mit dem Sarge verbrannt werden sollen,“ schreibt uns Einer derselben, „so ist die alte Holzvergeudung auch bei dem neuen Verfahren beibehalten, und die Hinterbliebenen haben die Asche nicht frei von fremden Bestandtheilen.“

Da sieht man wieder die leidige Gewohnheit des Regiertwerdens! Muß denn jede Einzelnheit vorher bestimmt und vorgeschrieben werden? Kann denn nicht einmal in Sachen des bürgerlichen Lebens ein wenig „Selbstregierung“ Raum gewinnen? – Auf die Anfrage: ob mit oder ohne Sarg verbrannt werden solle, haben wir nur die eine Antwort: Mache das Jeder, wie er will! Der Raum ist groß genug, um den Sarg aufzunehmen. Richtiger aber ist es gewiß, die Bestattung ohne denselben auszuführen. Man kann die mit Linnen bekleidete Leiche auf ein Brett legen, über welches der unten offene Sarg gedeckt wird. So wird der Todte zur Feuergruft gebracht und mit dem Sarge herabgelassen. Vor dem Verbrennungsraume hebt man den Sarg ab und bringt die Leiche nur auf dem Brette liegend in den Bestattungsraum. –

Ein Anderer klagt, daß die „Poesie des Grabhügels“ verloren gehe. Die Frauen lieben es, ihrem Schmerze am Grabhügel nachzuhängen; der treue Sohn ehre die Begräbnißstätte seiner Eltern und Großeltern durch Blumenschmuck. Das sei bei der Feuerbestattung unmöglich.

Weshalb ist es denn unmöglich? „Verbrennen“ und „Begraben“ sind nur die Arten der Bestattung mit Hülfe des Feuers oder der Fäulniß. Der Grabhügel aber bezeichnet die Stelle, wo die Reste des mit Fäulniß Bestatteten aufbewahrt werden. Weshalb kann man denn die Reste eines mit Feuer Bestatteten nicht ganz in gleicher Weise aufbewahren? Wo liegt die Unmöglichkeit? Die „Asche“ hat nur den Vorzug, daß sie die Erde nicht mit Fäulnißgift durchsetzt und den Lebenden schädlich wird, wie die „Leiche“; aber begraben kann sie werden, genau wie diese, und mit einem Hügel kann sie überdeckt werden, genau wie diese, und Blumenschmuck kann sie erhalten, genau wie diese. Wer also am Alten hängt und die „Poesie des Grabhügels“ nicht missen will, der kann die Urne mit der Asche in der Erde unter einem Hügel beisetzen, statt in einem Columbarium (Urnenhaus).

Aber auch die Poesie des Columbariums hat ihre Rechte. Im stillen Fache des hochgewölbten Raumes ruht die Asche; die weiße Marmortafel kündet mit goldenen Schriftzügen Namen und alles Andere, was sonst der Grabstein kündet; Kränze und Palmenwedel zeigen der Hinterbliebenen treues Erinnern; Ruhebänke nehmen die Besucher auf, welche in der Nähe der theuren Reste sich des früheren Glückes lebhafter erinnern wollen; das einer Kirche ähnliche Columbarium ladet zu ernster Betrachtung ein, verleiht weihevolle Stimmung, gebietet Ehrfurcht vor den Geschiedenen. Liegt etwa hierin keine Poesie? Ist dieser Besuch beim verlorenen Freunde nicht ein würdigerer, als wenn man jetzt auf dem offenen Felde des angeblichen und sogenannten „Friedhofes“ unfreiwilliger Zeuge des Streites zwischen den „Gießweibern“ und dem Wächter oder den Todtengräbern wird, während Geräusch und Wagengerassel der Stadt zu uns dringen? Wo ist mehr Friede, mehr Ruhe, mehr Würde? Sicher und gewiß im stillen „Urnenhause“. Aber das Neue erschreckt. Es geht den meisten Personen wie jener alten Dame, welche behauptete, die Eau de Cologne röche nicht mehr so gut, seit sie nicht mehr in den langen schmalen Flaschen verkauft wird, an die sie seit ihrer Kindheit gewöhnt war. Der Mensch ist befangen von dem, was er bisher kannte, „und die Gewohnheit nennt er seine Amme“. Ist die Macht der Gewohnheit erst einmal überwunden, dann wird die Poesie des Columbariums Jedem einleuchten. –

„Aber das kostspielige Grabgeleit mit Nachfahrkutschen hört doch nicht auf,“ wendete ein Freund mit Bedauern ein. – Auch dies ist eine Sache der Selbstregierung und hat mit der Feuerbestattung wenig zu thun. Man kann das unnütze und theure Schaugepränge ja sehr leicht beseitigen, wenn man die Gelegenheit zum Schauen beseitigt. Bringt man die Leiche, wie von Vernunft und Gesundheitspflege geboten wird, zeitig aus dem Trauerhause in einfachster Weise nach der „Leichenhalle“ auf dem Kirchhofe und läßt dort die Freunde des Todten sich zur Bestattung treffen, so ist jedes unnütze Schaugepränge vermieden. Es wäre sehr wünschenswerth, daß diese Einrichtung mit der Feuerbestattung vereinigt eingeführt würde. Gewiß könnte in der Leichenhalle der Prediger, oder wer sonst am Grabe spricht, weit gesammelter reden, als wenn er durch langen Leichenzug unwillkürlich zerstreut worden ist. Die Zuhörer brächten dann den Worten eine weihevollere Stimmung entgegen. Die Ursachen zum Erkranken fielen weg, welche bei Reden am offenen Grabe (wie sie in Leipzig zur Zeit noch üblich) so oft schon Verderben brachten. Es liegt in der Hand jedes Einzelnen, daß dabei kein unnöthiges Schaugepränge den Ernst der Handlung zur Modethorheit herabwürdige. –

3) Zum Schlusse noch ein Wort an die künftigen Freunde der Feuerbestattung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_609.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)