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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die ersten Monate sorgfältig Aller Blicke entzogen, und selbst der Vater darf ihn mitunter nicht sehen. Die Mutter hat oft schon bald nach der Geburt ihren gewöhnlichen Hausgeschäften nachzugehen; so viel sie es aber durchführen kann, bleibt sie in dem innersten Gemache des Hauses mit dem Neugeborenen verborgen, bis dieser selbstständig auf seinen Beinchen stehen kann und Gehversuche macht. Dann werden die Fetischpriester gerufen und allerlei Ceremonien angestellt, wodurch der erste Ausgang des Kleinen, der mit Amuletten behängt ist, geweiht wird.

Die Kinder wachsen ungebunden auf, unterstützen aber bald ihre Eltern in deren Beschäftigungen, mehr aus freiem Antriebe, als weil dazu gezwungen. Die Eheschließung besteht in einem Kaufe, wie in anderen Theilen Afrikas, und so bald der junge Mann sich einiges Vermögen erworben hat, bleibt sein erster Gedanke, eine Frau zu erwerben. Manche lassen es bei dieser Einen bewenden; Andere fügen mit weiterer Ausdehnung ihres Haushaltes noch mehr Frauen hinzu, doch bewahrt dann die Erste und Aelteste den Rang der Hausfrau und sie ist kenntlich an einem dicken Kupferringe, Lemba genannt, den sie am Arme trägt. Ihr sind auch die Schlüssel zu dem Besitzthume des Mannes anvertraut, und den Raum, wo dasselbe aufbewahrt wird, darf außer ihr selbst Niemand betreten.

Die Bestellung des Bodens bleibt den Frauen überlassen. Jeder, der eine Stelle für den Anbau lichtet, wird dadurch Eigenthümer derselben, und obwohl deshalb in der Nähe größerer Dörfer die Umgebung bereits parcellirt zu sein pflegt, bleibt doch im Buschwalde Platz genug für Jeden, der sich der Mühe unterziehen will, das Unkraut auszuroden. Die Männer bringen ihr Leben in Nichtsthun hin, mit Rauchen und Palmweintrinken, es sei denn, daß sie mit Handelsgeschäften oder durch Erörterung ihrer Streitigkeiten in den sogenannten Palavern gelegentlich in Anspruch genommen werden. Die Jagd ist für ihren Geschmack zu mühsam, und sie sehen sich nur selten dazu veranlaßt, wenn nicht vielleicht sich ein Leopard in der Nähe des Dorfes zeigt und Menschenleben bedroht. Dann mag es geschehen, daß sich die Besorgten zusammenthun und das Raubthier zu erlegen suchen. Wenn dies nun aber gelingt, so folgt aus alter Ueberlieferung eine Reihe eigenthümlicher Gebräuche, indem der Leopard als ein „Fürst des Waldes“ betrachtet wird und der Jäger nach der Volksansicht zu einer Sühne verpflichtet ist, weil er an die geheiligte Person eines „Fürsten“ Hand angelegt. Es wird deshalb ein Scheingericht zusammenberufen, vor dem er sich mit der Nothwehr zu rechtfertigen hat, und erst nachdem er dort freigesprochen ist, erhält er von den übrigen Dorfbewohnern ehrenvolle Dankbezeigungen, weil er sie vor einer ernstlichen Gefahr bewahrt hat. Oft giebt indeß die Erscheinung eines Leoparden in bevölkerten Gegenden Anlaß zu Hexenprocessen, indem man glaubt, daß in der Verkleidung desselben ein Zauberer stecke, ähnlich wie in Europa früher die Vorstellung von den Wehrwölfen verbreitet war. Auch wenn von einem Krokodil ein Mensch gefressen worden ist, wird dadurch manchmal ein Inquisitionsverfahren eingeleitet, um die Hexe oder den Zauberer ausfindig zu machen, durch deren Böswilligkeit ein solches Unglück veranlaßt sei. Ja selbst jeder gewöhnliche Todesfall aus natürlichen Ursachen kann eine derartige Untersuchung hervorrufen, indem die Verwandten des Verstorbenen Solche, die sie demselben feindlich glauben, als Thäter beschuldigen, und es kommt häufig genug vor, daß für einen Einzelnen, der an Krankheit oder Altersschwäche verstorben ist, die doppelte oder dreifache Zahl von Menschenleben, wenn nicht mehr, in Hinrichtungen geopfert wird. Ueber alles Dieses findet sich Näheres in dem vortrefflichen Buche von Prof. Bastian: „Die deutsche Expedition an der Loangoküste“.




Aus dem österreichischen Klosterleben.
Nr. 2. Häusliche und theologische Erziehung.
Nach dem Tagebuche eines Wissenden von A. Ohorn.


Die Leitung der Anstalt ruht in der Hand eines Directors, zweier Vicedirectoren und eines Spirituals, welche sämmtlich Priester sind. Die drei Ersten haben die Hausordnung zu überwachen, die Alumnen spazieren zu führen, bei ihren Mahlzeiten zugegen zu sein und ihre Studirstunden zu inspiciren; der Spiritual sorgt für die rein geistliche Seite, besonders durch sogenannte Exhorten (Predigten).

Des Morgens haben Alle nach dem gegebenen Glockenzeichen aufzustehen, was, zumal im Winter, einige Ueberwindung kostet, da die Dormitorien (Schlafsäle) nicht geheizt sind. Des Vormittags werden die Collegien besucht, und erst beim Mittagstisch finden sich wieder Alle zusammen. Die Kost ist eine ziemlich einfache, sehr oft auch eine durchaus nicht gut zubereitete. Man sollte meinen, wenn die Vorsteher während der Mahlzeit anwesend seien (freilich ohne sich daran zu betheiligen, denn sie speisen für sich und wahrlich keine Seminaristenkost), so würden gerechtfertigte Klagen vorgebracht werden können. Allein deshalb scheinen die Vorsteher nicht hier zu sein, vielmehr, damit keine Bemerkungen über die Kost gemacht werden. Die Speisewirthschaft führt nämlich ein angestellter Wirth, und wenn dessen Gattin nur den Mittagstisch der Vorstände gut zu besetzen weiß, so kann die Kost der Seminaristen knapp und schlecht ausfallen.

Herr und Frau Wirth gelten überhaupt etwas, denn es kam der Fall vor, daß beim Begräbniß einer Wirthsfrau die Alumnen aufgefordert wurden, der Todten das letzte Geleite zu geben, während man kurz zuvor beim Tode eines verdienten Domherrn dasselbe kaum gestattete, weil dadurch eine Stunde Collegium versäumt wurde.

So drücken denn die Meisten die ihnen zuertheilten Speisen mit stoischer Gelassenheit hinunter. Sie erhalten an besonderen Festtagen auch ein Seidel Bier von fraglicher Qualität dazu. Manche machen dabei heitere Gesichter, aber nicht aus Abtödtung – bewahre, sondern weil der Herr Director oder Vicedirector sie beobachtet. Dadurch steigt man in der Gunst der Vorsteher, und als Begünstigter erhält man zunächst das Ehrenamt eines Präfecten, das ist Aufsehers über seine Collegen und hat die Anwartschaft auf eine gute Caplanstelle oder gar darauf, einmal als Lehrer an die theologische Facultät zu kommen. Aber wehe dem Unglücklichen, der den Rücken nicht krümmen kann, der nicht gelernt hat sich zu beugen und zu schweigen! Wehe ihm, wenn er sich nicht hergeben kann oder mag zum „Spitzel“ und Angeber! Seine Carrière ist halb verdorben, und um seine erste Caplanstelle wird er kaum zu beneiden sein.

An den Tagen, an welchen Collegien gehalten werden, ist der Spaziergang auf ein Minimum reducirt und kann jeder nach Belieben ihn wählen. Man sieht dann meist die schwarzen Kutten mit den violetten Binden durch die Karlsgasse über den Altstädter Ring, die Zellnergasse, den Graben und die Ferdinandstraße sich bewegen, um über das Franzensquai zurückzukehren. Der Besuch der Gasthäuser ist den Alumnen übrigens nicht gestattet, aber trotzdem kann man sie in dieser freien Zeit nicht selten bei einem Glas gutem „Pilsner“ sitzen sehen, oft in Bierhäusern nicht eben ersten Ranges, weil sie hier sichrer zu sein glauben.

An Ferialtagen gehen sie unter Aufsicht wenigstens eines Vorstehers spazieren, und es macht einen eigenthümliches Eindruck, wenn die jungen Leute, die wohl sämmtlich das zwanzigste Jahr überschritten haben, gleich Schulknaben paarweise „ausgetrieben“ werden.

Auch die Studirsäle sind gemeinsam, und da sitzen sie nun, die armen Schüler, Jeder vor seinem schwarzen Pulte, und studiren – auf Commando. Nicht, wenn es den Einzelnen drängt, sich dem Studium hinzugeben, nein, zu festgesetzter Stunde muß er daran gehen, zu „ochsen“, ob er disponirt ist oder nicht. Dann herrscht Stille in dem weiten Raume, und das spähende Auge des Vorstehers sieht überall nach, ob man sich auch blos mit der „Gottesgelehrsamkeit“ befaßt. Und hier wird die Heuchelei neuerdings großgezogen, denn nur Wenigen ist es gegeben, auf Befehl zu studiren; die Meisten lassen, das Auge auf das Buch gerichtet, ihre Gedanken nach allen Richtungen hin schweifen oder wissen geschickt dem theologischen Werke eine andere Lectüre unterzuschieben, hauptsächlich die Tagesblätter, zumeist czechische.

Das führt mich auf einen anderen Punkt. Die Erziehung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_616.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)