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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Der Vater von „Mein Leopold!“


Adolf L’Arronge.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

In David Kalisch, zu früh gestorben für seine Freunde, wie für seine dramatische und literarische Thätigkeit, hatte nicht nur das Wallner-Theater, sondern die Berliner Posse überhaupt eine unersetzliche Kraft verloren. Kalisch hatte die Berliner Localposse geschaffen; er war auch bis zu seinem Tode ihr geistvollster, witzigster und gewissenhaftester Vertreter geblieben, und ihm verdankt die Bühne die muntersten Volksfiguren, deren Lebensfähigkeit auch heute dieselbe geblieben ist. Kalisch war zwar kein dramatischer Dichter im eigentlichen Sinne; er bearbeitete vorhandene Stoffe, oder übersetzte österreichische oder französische Stücke in sein geliebtes Berlinisch, dies aber geschah mit so viel anmuthigem Humor und mit so viel geistvollen und originellen Einfällen, daß von den fremden Arbeiten nur die Baupläne übrigblieben, während ihr Stil, die innere Einrichtung und Ausschmückung ganz als sein geistiges Eigenthum zu betrachten waren. Man hatte ein selbstständiges, genial dastehendes Berliner Possengebäude vor sich, und das Publicum wurde nicht müde, es hundert Mal und häufiger anzusehen und sich daran zu ergötzen.

Aber mit ihrem Schöpfer verlor die Berliner Localposse auch ihren Ernährer, und vornehmlich das Wallner-Theater, die Arena des dramatisirten Berliner Witzes, sah sich verlassen und war bald ganz ohne Novitäten, da Pohl sich einem eigenen Genre, der Operettenposse oder Possenoperette, widmete, für welches die Gesangskräfte des Wallner-Theaters nicht ausreichten, und Belly, Haber, Wilken u. A. nur einactige Possen mit Glück producirten. Wohl wurde noch Größeres, „Abendfüllendes“ geschrieben. Jede Saison brachte mehrere Portionen „Posse mit Gesang“, aber Alles war nur das Schondagewesene, und die Fußstapfen Kalisch’s waren bald so ausgetreten, daß die ursprüngliche Form derselben nicht mehr zu erkennen war. Keiner wußte die Pointe im Couplet so fein zu schleifen, Keiner den Dialog so zu würzen, Keiner so keck in’s volle Menschenleben hineinzugreifen, wie Kalisch. Selbst die Auffrischung der Possen Kalisch’s gelang Keinem, wenn die Direction in ihrer Noth zu denselben zurückzukehren versuchte. Sollte also das ganze Genre im Wesentlichen erhalten bleiben, so mußte dasselbe durch eine selbstständige Kraft neu belebt werden.

Eine solche ist in Adolf L’Arronge zu rascher Entfaltung gekommen. Wir dürfen dies heute behaupten, nachdem seit fast einem Jahre das Repertoire der deutschen Bühne, soweit dieselbe sich dem Volksstücke öffnet, ein Werk des genannten Autors so häufig genannt hat, daß dessen Titel schon die Popularität eines geflügelten Wortes für sich in Anspruch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_639.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)