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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Schleppe gar nicht zur Geltung kam. Erlau hörte nicht auf ihre Vorstellungen; sie mußte im Sturmschritte mit ihm bis zur Treppe. Doctor Welding, der zufällig gekommen war, ohne die Stunde der Ankunft zu kennen, hielt sich als Hausfreund berechtigt, der Familienscene beizuwohnen. Er blieb deshalb im Salon, während draußen die ersten Empfangs- und Bewillkommnungsreden laut wurden. Der Consul begrüßte mit voller Zärtlichkeit seine Pflegetochter und den kleinen Reinhold, der in hellem Jubel an seinem Halse hing. Die Cousine dagegen schien sich des großen Reinhold bemächtigt zu haben, den sie mit einem Strome von Complimenten in den Saal geleitete, während die Uebrigen noch in dem vorderen Zimmer weilten.

„Ich freue mich unendlich, in dem Gatten meiner theuren Eleonore, den ich ja auch wohl als Verwandten begrüßen darf, zugleich den gefeierten Rinaldo kennen zu lernen,“ versicherte sie noch auf der Schwelle. „Und unser H. wird stolz darauf sein, seinen berühmtem Sohn endlich einmal wieder in seinen Mauern zu sehen. Herr Almbach, man kann Ihnen und der Kunst nur Glück wünschen zu Ihrem neuen Werke; es steht durchaus auf der Höhe Ihres Talentes. Ihr Genius hat endlich – ja endlich –“

„Die rechte Bahn,“ half Doctor Welding, der in der Nähe stand, mit größter Artigkeit ein.

„Die rechte Bahn gefunden,“ fuhr die Dame begeistert fort. „Sie haben sich durchgerungen durch die wilde Gährung zur vollsten Freiheit und zu höheren Sphären.“

„Nicht ganz wortgetreu, aber es geht auch so,“ murmelte Welding vor sich hin, während Reinhold, etwas betreten über dieses Sturzbad von ästhetischen Redensarten, sich vor der Dame verneigte. Zum Glück sah diese jetzt Ella am Arme des Consuls eintreten und eilte, sie und ihren Knaben zu umarmen, während der Doctor zu Reinhold trat.

„Darf ein alter Bekannter sich Ihnen in das Gedächtniß zurückrufen, Herr Almbach? Ich bin zwar nicht so kühn, Sie gleich mit kritischen Lobsprüchen zu empfangen, wie Ihnen eben geschah, aber ich heiße Sie deswegen nicht minder herzlich in der Heimath willkommen.“

„Die Tante meint es gewiß sehr freundlich,“ sagte Reinhold halb entschuldigend. „Es war mir nur im Augenblicke etwas befremdlich –“ er hielt inne.

„Mit einer meiner Recensionen empfangen zu werden,“ ergänzte der Doctor. „O, Ihre Frau Tante erweist mir öfter die Ehre, meine Artikel zu reproduciren, wenn auch freilich bisweilen an etwas ungeeigneter Stelle und mit eigenen Variationen, für die ich die Verantwortung nicht übernehme. Mit den ‚höheren Sphären‘ zum Beispiel habe ich für gewöhnlich nichts zu thun.“

Reinhold lächelte. „An Ihnen ist die Zeit spurlos vorübergegangen, Herr Doctor. Sie bewahren noch immer Ihren alten Ruf. Das dritte Wort, das Sie sprechen, ist eine Malice.“

„Je nachdem,“ meinte Welding achselzuckend und wandte sich an Ella, die dem alten Freunde des Hauses herzlich die Hand entgegenstreckte.

„Nun, wie finden Sie unsere Eleonore?“ rief der Consul triumphirend. „Blüht sie nicht wie eine Rose? Und der ‚Kleine‘ ist so groß geworden, daß wir bald eine andere Bezeichnung für ihn werden suchen müssen.“

Doctor Welding lächelte und diesmal ausnahmsweise ohne jede Malice, als er erwiderte: „Frau Eleonore ist sich gleich geblieben. Das ist das beste Compliment, das man ihr sagen kann. Gewiß, gnädige Frau, ich bin nicht der Letzte, der sich über dieses Wiedersehen freut und nebenbei auch darüber, daß die Erlau’schen Salons, für die nächsten Wochen wenigstens, wieder unter Ihrem Scepter stehen. Unter uns gesagt –“ er senkte die Stimme – „es sieht bisweilen etwas bedenklich darin aus, wenn die Frau Tante bei den Kunstgesprächen den Vorsitz führt.“ –

Die Aufregung und die Freude des Wiedersehens hatte die Ankömmlinge erst spät zur Ruhe gelangen lassen. Die Morgensonne schien schon klar und hell in die Fenster, als Ella in das Gemach trat, das während ihres Aufenthaltes in dem Erlau’schen Hause ihr Wohn- und Arbeitszimmer gewesen war. Es zeigte noch ganz die frühere kostbare Einrichtung, mit welcher der Consul seinen Liebling umgeben hatte. Auch Reinhold war bereits dort; er stand am Fenster und blickte auf die Straßen seiner Vaterstadt herab, die er nach mehr als zehnjähriger Abwesenheit zum ersten Male wieder betrat. Es war nicht der junge Künstler mehr, der im trotzigen Kampfe mit seiner Umgebung und seiner Familie die Fesseln wie die Pflichten zerriß, um sich in eine Laufbahn zu werfen, die ihm Ruhm und Liebe verhieß, und der beides im Sturme errang, aber auch der Rinaldo war es nicht mehr, dessen wild geniales Leben in Italien so oft das Urtheil der Welt herausgefordert hatte, der keinen anderen Zügel und kein anderes Gesetz zu kennen schien als seinen eigenen Willen, und dem die Vergötterung von Seiten des Publicums und seiner Umgebung so verderblich zu werden drohte. In seinem Wesen lag nichts mehr von hochmüthiger Ueberhebung oder verletzender Schroffheit; es zeigte jetzt einzig das ruhige feste Selbstbewußtsein, das dem Manne wie dem Künstler nur zum Vortheile gereichte. In seinem Auge blitzte noch immer etwas von der alten Leidenschaftlichkeit, die im Leben wie in seinen Werken doch nun einmal Rinaldo’s eigentliches Element bildete, aber die wilde unstäte Flamme, die einst in diesem Blicke loderte, war erloschen, und was jetzt dort leuchtete, paßte besser zu dem ruhigen, etwas düsteren Ausdrucke seiner Züge. Was auch ein wildes, überschäumendes Leben in dieses Antlitz gegraben haben mochte, es redete jetzt nur noch von Ueberwundenem, und der träumerisch nachdenkliche Blick, der in diesem Augenblicke den Giebel des alten Hauses in der Canalstraße suchte, der deutlich aus dem Häusergewirr emportauchte – es war ganz der Blick des ehemaligen Reinhold, jenes Reinhold, der in dem engen kleinen Gartenhause vor seinem Flügel so oft gesessen und jene Töne wachgerufen, die damals nur in der Nacht laut werden durften, wollte er nicht wegen der „unnützen Phantasterei“ gescholten werden, welche die Welt jetzt die Offenbarung seines Genius nannte.

Ella näherte sich ihrem Manne. Ihr Aussehen rechtfertigte in der That den Ausspruch des Consuls; sie blühte wie eine Rose. Die drei letzten Jahre hatten dieser reizenden Gestalt nichts von ihrer Anmuth genommen, aber sie hatten ihr den Ausdruck des Glückes gegeben, der ihr einst fehlte.

„Hast Du so früh schon Briefe erhalten?“ fragte sie auf zwei geöffnete Schreiben deutend, die auf dem Tische lagen.

Reinhold lächelte. „Gewiß! Sie wurden uns aus der Residenz nachgesendet, und den Absender dieses Briefes,“ – er nahm den einen empor, – „erräthst Du sicher nicht. Eins wenigstens hat mir mein neuestes Werk eingetragen, das mir mehr werth ist, als all die Ovationen, mit denen man uns überschüttete – einen Brief von Cesario. Du weißt ja, wie tiefverletzt er sich damals von uns zurückzog, und mir jeden Annäherungs- und Versöhnungsversuch unmöglich machte. Er konnte es Dir nicht vergeben, daß Du so lange gegen ihn geschwiegen hattest, und mir nicht, daß ich seinem Glücke im Wege stand; seit drei Jahren habe ich, wie Du weißt, kein Lebenszeichen von ihm erhalten. Die erste Aufführung meiner Oper in Italien hat endlich das Eis gebrochen; er schreibt wieder ganz mit der alten Herzlichkeit und Begeisterung, beglückwünscht mich wegen des neuen Werkes, das er weit über sein Verdienst erhebt, und – zeigt mir zugleich seine bevorstehende Vermählung mit der Tochter des Principe Orvieto an. Sie wird in wenigen Wochen seine Gemahlin.“

Ella war an die Seite ihres Mannes getreten und las über seine Schulter hinweg den Brief, den er geöffnet in der Hand hielt und in dem ihrer auch nicht mit einem einzigen Worte Erwähnung geschah.

„Kennst Du die Braut?“ fragte sie endlich.

„Nur wenig! Ich sah sie ein einziges Mal im Hause ihres Vaters und erinnere mich ihrer nur als eines schönen, lebhaften Kindes. Sie wurde im Kloster erzogen und stattete damals einen flüchtigen Besuch bei den Eltern ab. Aber ich weiß, daß diese Verbindung schon in jenen Tagen ein Lieblingswunsch der beiderseitigen Familien war, dem nur Cesario’s Abneigung gegen jedes Band, das ihn in Zukunft fesseln könnte, wie gegen jede Heirath überhaupt entgegenstand. Jetzt, wo Jahre darüber hingegangen sind und die junge Prinzessin erwachsen ist, scheint man jenen Plan wieder aufgenommen zu haben – Cesario hat dem Andringen der Verwandten nachgegeben. Ob ihm diese Convenienzheirath geben kann, was eine so glühende, schwärmerische Natur wie die seinige verlangt, das freilich ist eine andere Frage.“

Ella sah nachdenklich zu Boden. „Du sagtest ja, die Braut sei jung und schön, und Cesario ist wohl der Mann, so einem jungen Wesen, das aus der einsamen Klostererziehung eben erst in das Leben tritt, Liebe einzuflößen.“

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