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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 41.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Geschichte vom Spötterl.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid.


(Fortsetzung.)


Die vornehme Gesellschaft hatte dem friedlichen Seegestade für einige Tage ein völlig verändertes Ansehen gegeben. Die Kaiser, mit zahlreichem Gefolge gekommen, wetteiferten trotz allen Anscheins ländlicher Einfachheit, alle Macht und Pracht zu entfalten, über die sie zu gebieten vermochten, und der Gastfreund hinwieder wendete Alles auf, sie angenehm zu unterhalten und doch zugleich zu zeigen, daß es ein König war, der sie beherbergte und bewirthete. Den Tag über war großes Jagen gewesen und in einem Waldthale nach Art fürstlicher Waidmänner getafelt worden; für den Abend war während der Mahlzeit Concert angesagt, und eine Bergbeleuchtung der glänzendsten Art sollte des festlichen Tages würdigen Schluß bilden. Darum war auch die Landbevölkerung herbeigeströmt, die fremden Potentaten alle zu sehen, die Musik aus dem Zelte zu hören und das Flammenschauspiel zu bewundern, das die Berge bieten sollten. Es war selten, denn die Vorbereitungen dazu forderten ebenso große Ortskenntniß wie Zeit. Es galt nicht nur, Wochen vorher die Bäume zu fällen und klafterweise so zu ordnen, daß sie irgend einen Namenszug bildeten, es kam vor Allem darauf an, richtig zu bemessen, auf welchem Platze die Holzmassen aufgethürmt werden mußten, wenn sie in der Entfernung von einigen Stunden am See nicht nur gesehen werden, sondern auch die kolossale Wirkung hervorbringen sollten, welche beabsichtigt und nur durch den damals noch ungelichteten Reichthum der Berge zu erreichen war.

Das Gefolge der Fürsten, das in dem kleinen Raume mit zur Tafel gezogen war, drängte sich in ernsthaften, dunklen Kleidern durcheinander, in kurzen Escarpins, mit Seidenstrümpfen und Schuhen, – eine unscheinbare Versammlung, nur ein wenig von den Sternen, Kreuzen und Ordensbändern erhellt, die, wenn auch zu kurzen Endchen Band oder verkleinerten Abzeichen eingeschrumpft, doch daran erinnerten, daß man sich unter Leuten befinde, welche dazu berufen waren, oder sich für berufen hielten, die Geschicke der Völker zu lenken und in den Lauf der Weltordnung einzugreifen. Auch die Gesandten der auswärtigen Mächte am bairischen Hofe hatten sich eingefunden. Neben dem russischen Fürsten Baryatinsky war der Prinz Colobrano von Neapel erschienen und erzählte von der italienischen Primadonna, welche durch ihren Gesang der Glanzpunkt des Abends sein sollte. Ein hoher österreichischer Polizeibeamter, ein unscheinbarer, stiller, aber auch unscheinbar und still beobachtender Mann, war in eifrigem Gespräche mit dem französischen Gesandten Grafen Mercy d’Agentour begriffen, der in Erscheinung und Manieren sich als würdiger Vertreter der alten Bourbonen bewährte, die, von den Spitzen deutscher Bajonnete wieder auf den Thron gehoben, bereits den Verlust wie die Wiedererlangung desselben vergessen hatten. Das Gefolge war nicht sehr zahlreich, aber gewählt, – ein junger Russe, Baron von Worinoff, welcher der Gesandtschaft beigegeben war, ragte besonders durch seine anmuthige, kräftige Gestalt, wie durch die zwar etwas asiatische, doch nicht abstoßende Gesichtsbildung und das soldatische Costüm, das etwas an diese Abstammung erinnerte, vor Allen hervor.

In der Ecke war ein Flügel bereit gestellt, auf welchem die Gesangsvorträge des Abends begleitet werden sollten; an der Tafel eilten noch einige Diener in blauen, reich mit Silber bordirten Livreen geschäftig hin und her, noch etwaigen Mängeln abzuhelfen, sowie Schenktisch und Flaschenkeller vollends zu ordnen.

Der österreichische Polizeimann stand noch immer am geöffneten Zelte und sah bedenklich auf den dunklen See und auf die Volksmenge hinaus, welche sich unweit davon am Seegestade lachend und plaudernd durcheinander drängte. Mit zufriedenem Kopfnicken lauschte er den beredten Worten des Franzosen, welcher von den neuen Königsthaten seines achtzehnten Ludwig’s erzählte, wie er unerbittlich gewesen, den General Berton, der in eine bonapartistische Verschwörung verwickelt gewesen, den verdienstvollen grauen Kopf auf das Schaffot tragen zu lassen, um zu zeigen, daß es endlich darauf ankomme, den Schwätzern, welche immer von Freiheit und von Rechten des Volkes declamirten, ernstlich den Mund zu stopfen und der Revolution für immer das Schlangenhaupt zu zertreten. Er setzte mit Genugthuung auseinander, wie auch in Spanien bald die alte Monarchie von Gottes Gnaden aufgerichtet sein werde, und wie es dann nur noch Sache der deutschen Fürsten sei, das Wiederaufleben des Ungeheuers zu verhüten, das von jeher aus deutschem Boden die meiste Kraft und Nahrung gesogen.

Mit verklärtem Lächeln hörte der Polizeichef zu, als sähe er das gelobte Land dieser Verheißungen bereits vor sich; dennoch mischte sich ein Zug der Trauer in seine Freude. Er vermochte einen Seufzer nicht zu unterdrücken und deutete auf das Volk vor dem Zelte.

„Dazu hat es noch so lange keine Aussicht,“ sagte er bekümmert, „so lange es Regenten giebt, die ein Gefallen daran finden, sich das Volk so nahe auf den Leib kommen zu lassen. König Max geht in seiner Herzensgüte viel zu weit. Hören

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