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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Bursche hat eine Weinflasche mit darüber gestürztem Glase in der Hand, mancher einen Rosmarinstengel im Munde. Einige hüpfen, springen und juchheien, daß die Alten froh sind, wenn die Jugend fort ist, und sie ruhig noch beieinander sitzen und trinken können.

Auf der Tanzstube angelangt, reiht sich die ganze Gesellschaft an den Wänden hin; denn der Hochzeiter hat das Recht, mit seiner Braut allein den Vortanz zu machen. Dann wird für den Brautführer aufgespielt, der mit jeder der Brautjungfern einen besondern Tanz vollführt. Wenn diese Ehrentänze vorüber sind, dann dürfen alle Burschen ihre Begleiterinnen an den Walzern und Hopsern teilnehmen lassen.

Abends zur Nachtglockezeit begiebt sich der Brautführer zur Hochzeiterin, bittet sie zum Tanze, ergreift sie bei der Hand und, nachdem sie an der seinigen sich einige Male nach der Sitte im Kreise umgedreht, bindet er stillstehend ihr das Jungfernkrönlein von Glaskorallen und Flittergold, das sie an der Stirn trägt, ab und windet es sich mit Beihülfe der Freunde um die eigene Stirn. Der Brautführer ist ja Stellvertreter seines Freundes, und das Krönlein muß ja einmal errungen werden – ein Gebrauch, der ein Zeichen von Derbheit und wunderlichem Zartgefühl der elsässischen Sitten zugleich ist.

Jetzt wird noch einige Zeit getanzt. Dann geht es wieder im Zuge unter Vorantritt der Musik dem Hochzeitshause zu, wo die homerische Mahlzeit bereitet ist. Der Tanz hat dem jugendlichen Appetite wieder Vorschub geleistet. Reisbrei, Fleisch von allen Sorten, Kugelhopf, Torten und alle Arten Kuchen werden aufgetragen. Herz, was begehrst du noch mehr? Bald läßt sich das ländliche Musikcorps wieder hören. Aber die wackeren, tüchtig in Anspruch genommenen Musikanten wollen dafür auch ihre Gebühren. Einer derselben macht die Runde an den Tischen mit einem Teller, worauf ein mit einem Bande gezierter Rosmarinstrauß liegt. Er hält den Teller einem Jeden der Gäste mit der Bemerkung hin, daß die Hälse und Instrumente der Musikanten „verlächt“ (ausgetrocknet) wären. Jeder legt ein Geldstück darauf. Aber noch dürfen sich die Beutel der Gäste nicht schließen. Auch die Köchin tritt am Arme des Brautführers, des vielfach in Anspruch genommenen, herein mit ihrem großen Kochlöffel, woran ein Bund befestigt ist. Sie behauptet, den Löffel noch nicht bezahlt zu haben. Jeder zieht wieder den Beutel, was natürlich mit allerlei Späßen begleitet wird.

Nach dem Essen geht’s wieder zum Tanze bis zum Morgen, und was der erste Tag gebracht hat, das wird an den beiden folgenden fortgesetzt, bis endlich sogar diese Kraftnaturen es satt haben und ihr von der schweren Arbeit des Tages widerspenstiger Magen sich nach Ruhe sehnt.

Wenn obige Bilder, die mein Freund Pixis durch die drei hier bereits veröffentlichten prächtigen, wahrheitsgetreuen Zeichnungen illustrirt hat, Anklang gefunden haben sollten, überlasse ich die Schilderung des Meßti oder der Kirchweih, der Majstuben und anderer originellen Gebräuche im lieben Elsaß einer spätern Mußezeit und scheide mit freundlichen Grüßen aus dem schönen Elsaß von dem freundlichen Leser.

August Jäger.




Eine „wunderbare Erscheinung“ im Leipziger Rosenthal.


Zum hundertjährigen Gedächtniß eines alten Schwindels.


„Sie werden nicht alle, sag’ ich Dir, und wenn die schönsten ‚Diesterwege‘ alle Länder durchziehen, ‚Strauße‘ in Heerden kommen und ‚Feuerbäche‘ von allen Bergen rinnen – sie werden doch nicht alle.“ Mit diesem Zorn- und Klagerufe legte jüngst ein Freund mir ein Zeitungsblatt vor, auf welchem eine Stelle mit einem offenbar wildgewordenen Rothstift angestrichen war.

Ich las und konnte über den Inhalt jener Stelle meine aufrichtige Heiterkeit nicht verbergen. Der Spiritismus hat eine neue Entdeckung gemacht, welche für die Beweise der „Realität der Geisterwelt“ eine ganz erstaunliche Zugabe liefert. Man hat nämlich Möglichkeit und Mittel gefunden, um die Geister, mit welchen man Verkehr pflegt, sogar zu wägen, das heißt die Schwere derselben zu bestimmen. Von gewichtigen Geistern hat man schon früher gehört, dabei wohl aber weder das Apotheker- noch das neue Reichsgewicht vor Augen gehabt. Jetzt erst werden wir erfahren, wie schwer der Geist eines Moses oder wie leicht der einer Pompadour gewesen. „Und diese neue Errungenschaft der ‚Positiven Pneumatologie‘ (– denn unter dieser Firma behauptet der ,Spiritualimus aller Zeiten und Völker‘ nunmehr seine wissenschaftliche Würde –) ist im Stande, Deine alte redliche Seele so in Harnisch zu bringen? O, wie jung bist Du noch, mein alter Freund!“

„Aber, Mensch, läßt Dich denn diese Verhöhnung der gesunden Vernunft, diese Speculation auf die Dummheit und Verdummung des Volkes so ganz kühl? Siehst Du darin denn nicht die Gefahr für das, was uns so sehr am Herzen liegt, für die Volksbildung?“

„Nein, mein Lieber, diese sehe ich wirklich nicht,“ antwortete ich mit unbeirrter Gemütsruhe. „Vor Allem bedenke zu Deiner Beruhigung, daß zu solchen ,spiritistischen Arbeiten‘ Leute gehören, welche überflüssige Zeit dazu haben. Wir finden als Hauptzeugen und Mitwirkende bei all den ,Experimenten‘ zur Feststellung der ,Realität der Geisterwelt‘, sowie als Gläubige der damit zusammenhängenden Wundercuren in vorwiegender Menge vornehme Namen, Barone, Grafen, Minister und Generale a. D., alte und junge Damen der hohen und höchsten Aristokratie, kurz, lauter Leute, welche nach dem Frühstücke gleich Feierabend machen können. Das fleißige Volk hat keine Zeit für solche brodlose Künste. Und wenn wir, zweitens, mit den hochtrabenden Behauptungen und Hoffnungen die Erfolge vergleichen, welche die spiritistischen Schriftsteller bis jetzt aufzuzählen haben, so sehen wir auf den ersten Blick, daß ihre Geister sich an die Erfindungen der Menschen halten müssen, um ihre Kundgebungen (,Manifestationen‘) möglich zu machen. Erst gehörte ein besonderer ,Beschwörer‘ dazu, der die Geister citirte, unter höchst aufregenden Umständen erscheinen ließ und ihre Kundgebungen an die Betheiligten vermittelte. Dann regte sich die Lust der Geister zu directen Mittheilungen und äußerte sich durch ,Klopfen‘, und weil die Telegraphie durch Zählen der einzelnen Poche Silben und Wörter zusammensetzte, so kamen auch die Geisterverkehrer hinter das neue Geheimniß der Deutung der Klopferei. Zu einem weiteren Schritte veranlaßte die Benutzung des Storchschnabels; es begann das Schreiben, und zwar, wie bei allen Anfängern, sehr unbehülflich. Von diesem Schritte geschah der nächste große zum Schreiben mit Tinte auf Papier. Die menschliche Sitte, sich gegenseitig mit Photographien zu beschenken, fand ebenfalls bei den Geistern Anklang, und daß man sogar beim Wägen derselben angekommen sein soll, hat Dich ja eben erst zu Deiner Entrüstung veranlaßt.

Wenn wir nun aber das Kühnste, was der Mensch je wünschen konnte, diese directen schriftlichen Nachrichten aus dem Jenseits, in den Facsimilemittheilungen derselben in der ,Positiven Pneumatologie‘ des Herrn Baron von Güldenstubbe (Stuttgart, Lindemann, 1870) in der Nähe betrachten, so staunen wir, bei all diesen unsterblichen Schreibern nicht den geringsten Fortschritt, ja das Gegentheil, zu finden. Die Personen aus der Hieroglyphenzeit schämen sich nicht, noch heute in Hieroglyphen zu schreiben, diejenigen aus Zeiten, wo Schreiben noch eine Kunst war, schreiben ihre Namen, wie es kleine Kinder etwa thun. Und was erfahren wir von denen, welchen es besser von der Feder geht? Keinen Laut, keinen Schein vom geheimnißvollen Jenseits, schöne Grüße, billige Vermahnungen, ja mitunter alte Verse, wie sie Kinder sich auf die Stammbuchblättchen schreiben. Unter hundertvierundsechszig gesammelten ,Gedanken der Geister von jenseits des Grabes‘ kommen folgende vor:

Nr. 39: ,Geistige Leibeigenschaft und Unterdrückung einer Nation ist das Anzeichen des schmählichsten Verfalles.‘

Nr. 57: ,Der Thörichte beschäftigt sich nur mit unnützen und nichtigen Dingen.‘

Nr. 87: ,Die Leiden verfolgen den Menschen auf Erden von der Wiege bis zum Grabe.‘

Nr. 125 ,Die Hoffnung führt uns bis zur Schwelle der Ewigkeit.‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_662.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)