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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Wir haben’s auch gehalten,“ begann Clarl wieder. „Er ist auf’m Hof bei seiner Mutter ’blieb’n; ich hab’ mich über’n See hinüber verdingt, und wir haben einander nimmer geseh’n. Ich hab’ meine Arbeit gethan als wie zertrellt, vom ersten Sonnenstrahl bis in die sinkende Nacht, und wenn’s so recht schwarz gewesen ist, das war mir’s Liebste, und hat mich g’wundert, wie’s nur wieder Tag werden kann. … Und wie der Auswärts wieder ’kommen ist, da hat’s geheißen, der Balthes hätt’ endlich seiner Mutter nach’geben und thät Hochzeit machen am nächsten Sonntag. Es ist aber anders ’kommen. … Am selbigen Sonntag bin ich im Grasgarten am See draußen gestanden und hab’ die Leinwand begossen, die zum Bleichen ausgespannt war. Die Bäum’ haben ’blüht über mir und die Blümeln unter mir. – Die Luft war weich und der Himmel so blau, als sollt’s gleich hinaufgeh’n in die ewige Glückseligkeit, in der Kirche aber haben’s g’läut’t, so feierlich, als wenn man schon von Weitem die Engel singen höret’. … Da ist von drüben ein Schiff ’rübergefahren; in dem ist eine Truhen gestanden, und in der ist der Balthes gelegen. … So gut er den Willen g’habt und sich vorg’nommen hat, er hat’s nit zwingen können. … Er ist auch ’rum’gangen, wie vor’n Kopf geschlagen, und am Abend vor der Hochzeit hat er sich hingelegt und ist nimmer aufgestanden – das Grämen hat ihm’s Herz ab’druckt. Jetzt haben s’ ihn, statt zu der Copulation, zu der Begräbniß ’rübergeführt über’n See, und ich hab’ das Schiff kommen seh’n und hab’ gewiß kein Wasser zu meiner Bleich’ ’braucht. Ich hab’ die Händ’ aufgehoben in die blühenden Bäum’ und den blauen Himmel hinein und hab’ hinaufgefragt, wie’s denn möglich ist, daß die Welt so schön und in der schönen Welt ein Mensch so unglücklich sein kann. …“

Wieder trat augenblickliche Stille ein. Corona reichte der Alten beide Hände, gleichsam als wolle sie widerrufen und ihr abbitten, was sie ihr durch ihre Scherzworte angethan. „Sei nit harb, Clarl,“ sagte sie. „Das hab’ ich nit wissen können, daß Du so was Traurig’s erlebt hast. Bist ja alleweil so vergnügt und lachst, als wenn Du Deiner Lebtag keinen betrübten Augenblick gehabt hätt’st.“

„Ja, Mein Herz ist härter g’wesen als dem guten Buben seins,“ antwortete Clarl. „Das hat’s ausg’halten und durchg’macht, und wie ich wieder Oberwasser gehabt hab’, da ist mir Alles in der Welt ganz klein vor’kommen. ‚Wie Du das überstanden hast,‘ hab’ ich zu mir selber g’sagt, ‚da ist nix der Müh’ werth, daß Du drum eine Zähre vergieß’st. … Es ist gescheidter, Du nimmst Alles auf die leicht’ Achsel und lachst drüber.‘ So hab’ ich’s gemacht bis heut’, und so will ich’s machen, bis sie mir die Hobelspähn’ unter’n Kopf legen.“

„Und ist Dir nie in den Sinn ’kommen, einen Andern z’ nehmen?“ fragte Corona nach einer Pause des Nachdenkens.

„Nie,“ sagte Clarl fest. „Ich hätt’s meinem Bub’n nit anthun mögen in der Ewigkeit. Es sind wohl noch ein Paar ’kommen, die nit ’glaubt haben, daß mir’s Ernst sei mit ’m Ledigbleiben; aber es waren lauter kleine Leut’: Tagwerker und Wegmacher, wo man mit ’m Mann auch die Noth g’heirath’t hätt’. Da hätt’ ich, wenn mir auch anders um’s Herz g’wesen wär’, den Leuten die Freud’ nit vergonnt, daß sie hätten sagen können: ‚Da schaut’s her – erst hat sie so hoch ’nausg’wollt, hat eine reiche Bäurin werden wollen, und jetzt ist sie doch zufrieden, weil sie nur wo unterkriechen kann.‘“

Sie stand auf, wendete sich kurz ab und ging hinweg, damit Corona nicht sehen sollte, wie die Augen naß geworden, in denen sonst nur die Funken der Freude geglitzert.

Die Sennerin versuchte nicht, sie zu halten; nachdenklich sah sie vor sich zu Boden, wie Jemand, der in dem Rücklasse eines theuren Todten ein demselben werth gewesenes Buch gefunden, der darin geblättert und nun zwischen den Seiten eine vertrocknete Blume ober ein welkes Kleeblatt entdeckt. Von der vergilbten Blume weht ein kaum spürbarer Athem wie ein Echo des Duftes, den sie zur Zeit ihrer Blüthe verhauchte, und durch die Seele des Beschauers geht die Ahnung dessen, was in dem Herzen gepulst, als die Hand die noch frische Pflanze gebrochen und vielleicht mit Zuversicht das Glück erwartete, das ihre fünf Blätter bedeuten sollen.

Geraume Zeit war es still in der Sennhütte und um diese herum. Die Sonne, schon höher heraufgekommen, legte sich warm auf die Matte, als wenn auch ihr das grüne Plätzchen zwischen Felsen und Wald gefiele, und sie gern da verweilen möchte. Die weidenden Thiere suchten gesättigt die kühleren Stellen am Waldesrande und streckten sich in das Gras nieder, so daß auch ihre Glöcklein wie einschlafend verstummten. Plötzlich fuhr die Sennerin aus ihrem Brüten empor. Es war nicht der Gedanke an die ihrer wartende Arbeit, was sie aufsuchte; denn sie eilte nicht zu der Hütte, sondern stand wie unwillkürlich fest auf der Stelle; draußen vom Freien aber, vom Waldwege her, schallte deutlich mehrmals wiederholter lauter, gellender Wachtelschlag. Was sollte das bedeuten? Um diese Zeit sind die Saaten längst gefallen und mit ihnen die Wachteln verstummt, die darin gehaust. … Ueberdies ist die Wachtel ein Vogel, der die Ebene liebt und nur selten, wie verloren und verscheucht, die Berghöhen aufsucht. … Sollte das nicht natürlicher Gesang, sondern die nachgeahmte Lockung eines Vogelstellers sein, der sein Garn aufgestellt, um streichende Schnepfen zu fangen, oder sollte gar – – Das Mädchen dachte die ganze Gedankenreihe nicht aus; denn die Lösung aller Vermuthungen und Zweifel stand bereits fest und deutlich unter den Tannen, aus denen der Waldweg heraufführte.

Es war der Wachtelschläger vom jüngsten Tegernseer Festabend.

Der Bursche sah einen Augenblick mit dem gewohnten und geübten Auge des Jägers über die ganze Alm; eine Secunde lang ruhte sein Blick besonders auf dem Steine mit den Blumenbüscheln; dann eilte er schnurgerade und raschen Schrittes der Sennhütte zu.

Corona stand noch immer auf der Schwelle, unentschlossen, ob sie entfliehen oder die Annäherung des kecken Burschen abwarten sollte. Für das Erste sprachen die Gefühle der Abneigung und einer gewissen unbestimmten Scheu, die sich in ihr gleich beim ersten Begegnen geregt, ohne daß sie vermocht hätte, sich über deren Grund Rechenschaft zu geben. Geschieht es doch öfter im Leben, daß beim ersten Begegnen einer fremden Person die Seele in uns zusammenschauert wie von einer Ahnung, daß dieses Wesen bestimmt sei, auf unser Leben Einfluß und Macht über uns zu gewinnen – ist es doch keine seltene Erscheinung, daß die Liebe, welche ein Paar beim ersten Anblicke, ihm selbst unbekannt, ergriff, die Gestalt der Abneigung, ja selbst des Hasses erwählt. Es ist der Widerstand der freien Seele, die sich unwissentlich aufbäumt gegen die von außen kommende Gewalt, die ihren mahnenden Schatten vor sich her wirft. Für das Bleiben dagegen sprach der Gedanke, daß das Entweichen leicht wie Feigheit aussehen und den Nahenden zu Voraussetzungen veranlassen könnte, deren keine auch nur im Entferntesten begründet war. Auch war es wohl jedenfalls das Beste, der ungesuchten Annäherung des Burschen ein für alle Mal dadurch ein Ende zu machen, daß man ihm Rede stand und in Wort und Benehmen keinen Zweifel darüber ließ, daß man nichts von ihm zu wissen begehre.

Schließlich mochte für das Bleiben auch der Anblick des Kommenden entscheiden, der gar nicht so aussah, als habe er Uebles im Sinne, und der offenbar darauf ausging, sich in so günstiger Erscheinung wie möglich zu zeigen. Sein Anzug war allerdings nichts weniger als kostbar. Man sah es der grauen Joppe wie dem grünen Spitzhute an, daß sie ihrem Herrn schon lang treue Dienste geleistet hatten; aber sie waren rein und sogar von gewisser Zierlichkeit, und was ihnen an Neuheit abging, ersetzte das zwar grobe, aber schneeblanke Hemd, von welchem der rothe Wollgurt des Hosenträgers sich ebenso gefällig abhob wie die schwarze Florbinde, die unter dem schmalen Hemdkragen durch einen bleiernen Ring zusammengehalten war. Die gestrickten Beinlinge, den Fuß von der Wade bis zum Knöchel deckend, waren dafür unverkennbar von der Nadel her; auch die Schuhe mit ihren schweren, benagelten Sohlen und den Lederschnüren daran zeigten, daß sie geschont und nur an Festtagen getragen worden, und als entgegengesetztes, aber entsprechendes Ende prangte auf dem verschossenen Hütlein ein Spielhahnstoß mit Adlerflaum, wie wohl ein zweiter im ganzen Gebirge nicht mehr zu finden war.

„Grüß Gott, Spötterl!“ rief er, als er in die Nähe gekommen. „Ich hab’ Dein Nest ausgegangen, wie Du siehst; jetzt wär’ ich halt da und klopf’ an. Wie wird’s jetzt werden mit uns Zwei?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_672.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)